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Nichts geht ohne Nonna

Italien ist bekannt für seine Kinderliebe. Doch bis heute wurde sie nie in Politik umgesetzt. Es gibt kein Elterngeld, Kindergeld nur für Familien mit drei und mehr Kindern. Und weil Krippenplätze in Italien Mangelware sind, haben Oma und Opa eine tragende Rolle in der frühkindlichen Bildung und Erziehung.

Von Tilmann Kleinjung |
    Italien liebt seine Kinder. Sie werden verwöhnt, beschenkt, auf Händen getragen. Doch kurioserweise wurde diese Kinderliebe bis heute nie in Politik umgesetzt. Es gibt kein Elterngeld und Kindergeld nur für Familien mit drei und mehr Kindern. Steuerlich behandelt der Staat Eltern und Kinderlose weitgehend gleich. Und Kinderkrippenplätze sind in Italien Mangelware, mehr noch als im Rest der EU, sagt Goffredo Modena, Präsident der Stiftung "Hilfe für Kinder".

    "Staatliche Gelder sind praktisch nicht vorhanden, alle Regierungen haben wenig in die Kinderkrippen investiert. Heute gibt es 9800 Kinderkrippen. Wir bräuchten also mindestens 3000 weitere, um die Vorgaben der EU zu erfüllen, die vorsehen, dass mindestens jedes dritte Kind einen Kinderkrippenplatz hat."

    "Asilo nido" heißt die Kinderkrippe in Italien: Kinderasyl. Kinder zwischen einem halben und drei Jahren werden hier betreut von Erzieherinnen wie Federica di Venanzio. Sie arbeitet in einer kommunalen Kinderkrippe in Rom.

    "Die Sozialschwachen werden bevorzugt. Es gibt ein Punktesystem. Und nach dem bekommen Doppelverdiener weniger Punkte, haben also weniger Chancen, weil man eher Benachteiligte fördern will."

    Das heißt: Eltern, die einen Krippenplatz suchen, weil sie arbeiten müssen, haben bei den bezahlbaren kommunalen Krippen einen großen Nachteil. Die einzige Chance: ein privater asilo nido. In Städten wie Rom oder Mailand muss man da gut und gerne 500 Euro im Monat berappen. Kinderbetreuung ist in Italien ein richtiger Markt.

    Die Rolle der Erzieherinnen und Lehrer ist da undankbar: Von ihnen wird die strenge Erziehung der kleinen Prinzessinnen und Prinzen erwartet. Spätestens im Kindergarten, in der scuola materna oder scuola dell'infanzia, die Schule der Kindheit. In diesen Schulen gibt es auch Lehrerinnen und Lehrer; die müssen dasselbe Studium absolvieren wie Grundschullehrer. Der Staat sieht ein regelrechtes Curriculum für den Unterricht vor. Musikalische Früherziehung und erste Erfahrungen mit Fremdsprachen inklusive. Das liegt ganz im Interesse der Eltern, die ihren Kindern möglichst früh möglichst viel Bildung angedeihen lassen wollen. Aber nicht nur deshalb besuchen nahezu alle italienischen Kinder ab drei Jahren die scuola materna.

    "Vor allem für die Mütter ist es doch das große Problem: Wo lasse ich mein Kind während der Arbeitszeit. Vor allem dann wenn die Schule zu Ende ist. Oft kommen dann die Großeltern ins Spiel."

    Nonna und Nonno, Oma und Opa haben eine tragende und ganz selbstverständliche Rolle in der frühkindlichen Bildung und Erziehung. Ohne sie würden viele Eltern verzweifeln, weiß Amanda, selbst Mutter und Lehrerin. Sie ist allerdings weit davon entfernt, diese Form der Aufgabenteilung in der Großfamilie zum Ideal zu verklären.

    "Die Großeltern sind die eigentlichen Eltern. Sie sind eben nicht die Großeltern, die ihre Enkel verwöhnen, Ausflüge machen. Nein, auch sie müssen erziehen. Zuerst ihre eigenen Kinder, dann die Enkel, das ist doch nicht gut."

    Und selbst wenn Eltern es schaffen, die Kinderbetreuung durch Kinderkrippen, Babysitter, Tagesmütter irgendwie zu organisieren, bleibt am Ende des Schuljahres immer noch eine gewaltige Betreuungslücke. Die Sommerferien dauern in Italien etwa drei Monate. Spätestens dann müssen die Großeltern mit anpacken.