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Niederlagen auf dem Feld des ungezügelten Kapitalismus

Andreas Marber ist ein Autor, der seine Stücke nicht für Regisseure schreibt, sondern für Schauspieler. Als er mit der Arbeit für sein neues Werk startete, da hat er sich seine Wunschbesetzung aus dem Jahrbuch des Hamburger Thalia-Theaters ausgeschnitten: Peter Jordan und Maren Eggert hatte er sich ausgesucht. Beide waren nun tatsächlich in der Uraufführung von Marbers neuem Stück "Die Beißfrequenz der Kettenhunde" zu erleben.

Von Eberhard Spreng |
    Peter Vischer hat es nach Bangladesh verschlagen. Eine Firmenpleite hat er gerade hinter sich und nun sitzt er apathisch in einem abgehalfterten Club. Dort begegnet ihm ein Freund seines Vaters, der Geschäftsmann Rudolph Klaase, der in dem Dritt-Welt-Land Billig-Unterwäsche für Aldi-Nord herstellen lässt und in dem gescheiterten jungen Mann das Talent für die Umstrukturierung seines mittelständischen Unternehmens zu entdecken glaubt. Als neuer Geschäftführer soll Vischer frischen Wind in den eingefahrenen Betrieb bringen.

    Nach Deutschland zurückgekehrt und bei "Power-Clothing" aktiv, macht sich der junge Mann sofort unbeliebt: Er stellt einer Mitarbeiterin nach, mobbt die Sekretärin, und er verärgert einen alten Kunden des Unternehmens. All das begleitet er mit einem Gerede, das heutzutage normalerweise Consulter von sich geben: Grausamkeiten im Dienste der vermeintlichen Innovation. Das Un-Wort "ent-einstellen" hat er erfunden, um "entlassen" und "freisetzen" zu umgehen. Peter Vischer ist ein Mann ohne Eigenschaften, bereit, mit Inbrunst den herrschenden Jargon nachzubeten und sich selbst zum Büttel dessen zu machen, was er als modernes Management versteht.

    Aber er ist auch die Hauptfigur einer Komödie, die mit burlesken Überspitzungen aus dem trüben Realzustand der derzeit herrschenden Arbeitswelt ins Lachen der Erkenntnis führen will. Da gibt es eine Firma, die das Computer-Netzwerk reparieren soll und sich dafür Clownsmasken aufsetzt. Ihr Support soll Event-Charakter haben, die Leute unterhalten und amüsieren aber darunter leidet ihre Dienstleistung bis zur Wirkungslosigkeit. Ständig verschieben sich unter dem Marktdruck Funktionen und Rollen bis hin zur Unkenntlichkeit. Selig, wer da noch seinen Job benennen kann.

    Marbers Stück will auch Farce sein, rückt aber nur mit geringem Erfolg ab von der eigenen Wirklichkeitsverhaftung. Stefan Kimmig lässt dies in relativ realistischen Dekors mit einem Spiel beglaubigen, das durchaus auf die psychologische Kohärenz der Figuren abzielt und sie nur in einzelnen überdrehten Monologen vorübergehend zu Karikaturen ihrer selbst werden lässt: Den Unternehmer Klaase - er ist quasi der Vertreter der traditionellen hemdsärmeligen Geschaftelhuberei - spielt Werner Wölbern mit komischem Furor und immer hochrotem Kopf - ein Mann an der Grenze zum Herzinfarkt. Die alteingesessene Angestellte mit Hoffnung auf Beförderung und mit Mann und zwei Kindern daheim wehrt sich in der Darstellung der Maren Eggert zäh und förmlich gegen die Nachstellungen Vischers. Peter Jordan spielt die Hauptfigur als hochnervöses Ekelpaket, ein Mann ohne inneren und äußeren Halt, ein ungeliebter Sohn, ins Leben geworfen, um Schaden anzurichten. Gelegentlich ahnt er sein Unheil: "Überall wo ich auftauche hab ich den Eindruck, die Leute warten bloß, bis ich vorbei bin", sagt er. Am Ende, wenn er seine Gunst bei Klaase verspielt hat, wenn er wieder mal gescheitert ist, malt er sich aus, wie er sämtliche Bekanntschaften beendet, seine Konten und seinen E-Mail-Account kündigt, nach Irland reist, seine persönlichen Habseligkeiten auf diverse Mülleimer verteilt und sich an einem Felsen über dem Meer die Pulsadern aufschneidet, um anschließend in die Fluten zu stürzen - Die Geschichte einer penibel genau geplanten Auslöschung, mit der Marbers Komödie im Drama endet. Ein Nichtsnutz vollendet sein Schicksal.

    Aber haftet dieser Selbst-Tilgung nicht auch insgeheim die Rehabilitierung des alten Modells, der Welt der Väter, des deutschen Kapitalismus' von früher an? Symbolisch jedenfalls ist die wütende Selbst-Vernichtung dieses Apologeten der neuen Rationalität eindeutig: Das personalisierte Böse des triumphierenden Kapitalismus' wird mit den Mitteln von Komödie und Drama gebannt. Ist aber, so möchte man Marber, Stephan Kimmig und das Thalia-Theater fragen, Vischers Projekt der ungehemmten Ausbeutung fremder und eigener Ressourcen nicht gerade die weitgehend akzeptierte, aktiv betriebene und täglich zu beobachtende Normalität, Persönlichkeitsverlust und Identitätslosigkeit attraktiv, weil erfolgreich und eben leider alles andere als die singuläre Verhaltensanomalie eines besonders ungeliebten Menschen. Wo Andreas Marber seinen Kettenhund mit grotesker Wut um sich beißen lässt, trifft er in Wort und Handlung ziemlich genau deutsche Zustände in der globalisierten Welt, wenn er den Hund dann aber ins Meer wirft, kehrt das Theater etwas zahnlos in seine menschelnde Konsensecke zurück, weil sich das Böse verbraucht hat, psychologisch abgeklärt wurde und vom Erdboden verschwindet. In Hamburg jedenfalls, wo man mit dem Welthandel bestens vertraut ist, hat man anfangs herzlich gelacht und zum Schluss dankbar applaudiert.