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Noch immer ein Tabuthema

Homosexualität ist in Osteuropa noch immer ein Tabuthema. Glaubt man Umfragen wie dem Eurobarometer, sitzen die Vorurteile in Lettland besonders tief: 89 Prozent der Letten lehnen eine gleichgeschlechtliche Heirat ab. Als bei einer Kundgebung Homosexuelle 2005 durch die Hauptstadt Riga marschierten, kam es zu gewalttätigen Ausschreitungen. Seit einem Jahr versucht die Nichtregierungsorganisation "Mozaika" nun die lettische Öffentlichkeit zu informieren und mit den politischen Parteien zusammenzuarbeiten. Ob das gelingt schildert Matthias Kolb.

    Linda Freimane sitzt im Büro von "Mozaika" in der Altstadt von Riga. Ein Klingelschild auf der Straße gibt es nicht, das würde zu viel Aufmerksamkeit erzeugen. Die 39-jährige Anwältin wuchs als Kind von Exil-Letten in Schweden auf und lebt seit zehn Jahren in Lettland. Jahrelang haben sie und ihre dänische Partnerin keine Anfeindungen gespürt. Doch bei der ersten Gay-Pride-Parade im Sommer 2005 merkten sie, wie weit verbreitet die Homophobie in Lettland ist - bis hinauf in die höchsten politischen Ämter. Gemeinsam mit Freunden gründete Linda Freimane die Organisation "Mozaika". Sie ist überzeugt, dass sich hinter der feindlichen Haltung gegenüber Schwulen und Lesben ein größeres gesellschaftliches Problem verbirgt:

    "Viele Letten haben noch nicht verstanden, wie Demokratie wirklich funktioniert. Es bedeutet nicht, dass die Mehrheit entscheidet, sondern auch dass man die Meinung von Minderheiten achtet. Es passiert oft, dass die Menschen sagen: Wieso wollt ihr einen Umzug veranstalten, wenn die Mehrheit von uns das nicht sehen will? Die Leute müssen uns nicht mögen, aber sie müssen uns respektieren. "

    In der Sowjetunion wurde Homosexualität als Verbrechen angesehen und mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft. Bis heute sehen es die meisten lettischen Politiker nicht als ihre Aufgabe an, für Toleranz und Dialog zu werben, im Gegenteil: Im Dezember 2005 wurde die Verfassung geändert, um explizit festzuschreiben, dass nur Männer und Frauen heiraten dürfen. Zur Begründung hieß es damals, andernfalls werde die EU den Homosexuellen das Recht auf eine Homo-Ehe einräumen. Vorreiter der Antischwulen-Bewegung sind die Kirchen in Lettland:

    "Ich denke, viele Menschen bei uns sind verunsichert. Die Wirtschaft wächst schnell, aber im europäischen Vergleich sind viele Letten arm. Außerdem ist die Situation der Familien sehr schlecht: Es gibt immer mehr Scheidungen; die Hälfte aller Kinder wird unehelich geboren und häusliche Gewalt nimmt zu. Aber niemand redet über diese Themen. Ich denke, es ist ein Ablenkungsmanöver, wenn die Kirchen behaupten, dass Schwule und Lesben die traditionelle Familie zerstören wollen. Das ist leichter, als die Gründe bei sich selbst zu suchen. "

    Dennoch ziehen die 16 "Mozaika"-Gründer eine positive Bilanz des ersten Jahres: Die Zahl der Mitglieder ist auf 70 gestiegen, der Name der Organisation ist sehr bekannt, und die Medien berichten regelmäßig. Im Dialog mit den Parteien möchte "Mozaika" nun für eine eingetragene Lebenspartnerschaft nach westeuropäischem Vorbild werben. Und sie möchte die Gemeinschaft der Schwulen und Lesben weiter stärken, sagt Vorstandsmitglied Evita Gosa:

    "Man kann das Leben in Riga nicht mit der Lage im Rest des Landes vergleichen. In der Hauptstadt können sich Schwule und Lesben treffen, hier gibt es eigene Clubs und Bars. In den kleinen Städten und Dörfern hingegen kennt jeder jeden und wenn sich dort jemand als homosexuell outet, dann wird er oft ausgegrenzt. Unsere Website soll diesen Menschen eine Plattform geben."

    Noch immer hat sich kein lettischer Prominenter zu seiner Homosexualität bekannt. Linda Freimane hofft, dass sich bei der nächsten Parade am 2. Juni mehr Künstler, Sportler und Politiker solidarisieren. Nachdem die Teilnehmer der letzten Parade im Sommer 2006 mit Steinen und Beuteln voller Exkremente beworfen wurden, überlegte man kurz, den Umzug abzusagen. Linda Freimane:

    "Wir haben darüber diskutiert, aber wir sind uns einig, dass die anderen gewinnen, wenn wir aufhören. Es ist naiv, anzunehmen, dass wir drei oder vielleicht fünf Jahre warten müssen und dann wird alles friedlich sein. Wir müssen den Kampf jetzt aufnehmen und hoffentlich ist es wie in Polen, dass sich die Leute daran gewöhnen und irgendwann genug von dieser Konfrontation haben."

    Leider gibt es bisher keine Anzeichen dafür, dass sich die Lage beruhigt. Die Kirchen reagierten sehr kritisch, als der neue Termin bekannt wurde. Andere Gegner der Parade haben sich in einer eigenen Organisation zusammengeschlossen, die auf ihrer Website vor der Verschwörung der Homosexuellen gegen das lettische Volk warnt - das Ganze auf lettisch, russisch und englisch. Ihr Vorsitzender Igors Maslakovs möchte Gewalt zwar vermeiden, doch er kündigt Widerstand an:

    "Ich denke, wir werden die Parade verhindern, indem wir auf der Straße sitzen oder uns anketten. Es kann nicht sein, dass die Polizei, die wir mit unserem Geld bezahlen, gegen uns vorgeht. Sie kann nicht etwas beschützen, das die Mehrheit der Letten nicht will. Wir werden ohne Gewalt gegen sie kämpfen und wir werden sehr viele sein. "