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Noch stimmt die Chemie

Den deutschen Unternehmen geht es blendend - trotz der stetigen Warnungen vor einer möglichen Rezession im kommenden Jahr. Klar ist aber auch: 2012 wird es für die meisten schwieriger, etwa für die chemische Industrie.

Von Michael Braun |
    Der Blick voraus in der Branche ist nicht leicht. Schuldenkrise, verunsicherte Kunden, dazu die offene Frage, ob über den Winter ohne die acht abgeschalteten Kernkraftwerke genug Strom verfügbar sein wird.

    "Der Nebel ist dichter, die Sichtweite geringer geworden."

    So stöhnt der Präsident des Verbandes der Chemischen Industrie, Klaus Engel. Aber wenn die Annahme der Sachverständigen stimme, die gesamtwirtschaftliche Leistung im nächsten Jahr werde um 0,9 Prozent zulegen, und wenn es dabei bleibe, dass die Chemieindustrie schon ein Viertel ihrer Ausfuhren und zwar mit steigender Tendenz in die Wachstumsregionen außerhalb der EU exportiere, dann sollte die Branche so schlecht nicht durchs Jahr 2012 kommen:

    "Insgesamt hat das Risiko für einen konjunkturellen Rückschlag in jüngster Zeit zwar zugenommen. Wir gehen aber dennoch davon aus, dass das Chemiegeschäft im kommenden Jahr auf niedrigem Niveau wachsen wird. Unsere Prognose lautet: Die deutsche Chemieproduktion legt 2012 voraussichtlich um ein Prozent zu. Die Erzeugerpreise steigen mit einem Prozent ebenfalls nur noch leicht. Für den Branchenumsatz erwarten wir einen Zuwachs von rund zwei Prozent."

    Die Rohstoffpreise dürften mit einem Ölpreis zwischen 100 und 120 Dollar das Fass stabil bleiben, die Auftragslage der Kunden etwa aus der Autoindustrie sei noch gut, die Lagerhaltung der Kundschaft befinde sich keineswegs im Krisenmodus, Chemikalien würden kontinuierlich bestellt, wenn auch für kürzere Planungsabschnitte. Die Risiken sieht die Branche vor allem in den politischen Rahmenbedingungen. Natürlich wünscht sie dem EU-Gipfel morgen und am Freitag gutes Gelingen. Und sie erwartet, dass ihre Sonderkonditionen etwa bei der Nutzung der Stromnetze trotz Energiewende bestehen bleiben. Klaus Engel:

    "Jede Erhöhung des Strompreises um einen Cent pro Kilowattstunde kostet die Chemie rund 500 Millionen Euro zusätzlich pro Jahr. Das entspricht rund zehn Prozent der Gewinne der chemischen Grundstoffindustrie. Deshalb müssen die bestehenden Entlastungsregelungen dringend erhalten bleiben. Auch der Lackmustest, ob nach der Abschaltung von acht Kernkraftwerken die Versorgungssicherheit mit Grundlaststrom für unsere Unternehmen über
    die Wintermonate hinweg lückenlos funktioniert, steht uns noch bevor."

    Stromausfälle seien nicht auszuschließen, wenn schon im Sommer Strom importiert werden musste und der Beitrag der erneuerbaren Energien im Winter schmaler ausfalle. Doch insgesamt nimmt die drittgrößte deutsche Industriebranche viel Schwung aus dem Jahr 2011 mit ins neue Jahr: Höhere Produktion und höhere Preise haben den Umsatz 2011 um neun Prozent auf einen neuen Rekord von 186,5 Milliarden Euro anschwellen lassen. Die Exporte stiegen um sechs Prozent, die Importe um 7,5 Prozent.

    Die Chemie beschäftigt 425.000 Menschen, 2,5 Prozent mehr als 2010. Leiharbeit sei kein großes Thema. Die Unternehmen sorgten sich vielmehr darum, genügend Fachkräfte zu bekommen und hätten auch aus diesem Grund quasi vorsorglich neue Stellen geschaffen.