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Nolde-Ausstellung Frankfurt
Opfer, Täter oder beides?

Emil Nolde gilt als wichtiger deutscher Expressionist, der geheimnisvolle friesische Landschaften und knallbunte biblische Szenen malt. Das Frankfurter Städel zeigt nun eine andere Sichtweise: Nolde habe um die Gunst der Nationalsozialisten gebuhlt, sagt Ausstellungskurator Felix Krämer.

Felix Krämer im Gespräch mit Stefan Koldehoff | 05.03.2014
    Ein Mann steht am im Städel Museum in Frankfurt am Main vor Emil Noldes Meisterwerk "Das Leben Christi (1911/12)".
    Ein Mann steht am im Städel Museum in Frankfurt am Main vor Emil Noldes Meisterwerk "Das Leben Christi (1911/12)". (picture alliance / dpa / Arne Dedert)
    Stefan Koldehoff: Alles passte so schön im Nachkriegsdeutschland: Ein alter Mann, der schöne bunte Blumenbilder, geheimnisvolle friesische Landschaften und knallbunte biblische Szenen malte, dessen Bilder 1937 als "entartet" aus den deutschen Museen entfernt wurden, der danach angeblich nicht mehr malen durfte und an dem das demokratische Deutschland nach '45 alles wieder gut zu machen versuchen konnte, was die Nationalsozialisten der Kunst vorher angetan hatten. Bis in die Kanzlerzimmer der Republik fanden seine Bilder. Einen anderen Emil Nolde zeigt nun in einer großen Retrospektive das Frankfurter Städel: einen Nolde, der durchaus weitermalen und verkaufen konnte, der Mitglied einer NSDAP-Unterorganisation war und der bis zum Schluss Ergebenheitsadressen an den sogenannten "Führer" und seine Entourage richtete. Kurator der Ausstellung ist Felix Krämer. Ihn habe ich zunächst nach dem Maler Nolde gefragt: 1867 geboren, 1956 gestorben - war er ein Künstler des 19. oder des 20. Jahrhunderts?
    Stark aus dem 19. Jahrhundert geschöpft
    Felix Krämer: Was in der Beschäftigung mit Nolde mir deutlich wurde ist, dass er doch ganz stark aus dem 19. Jahrhundert schöpft. Als das 20. Jahrhundert anbrach, war er bereits ein erwachsener Mensch mit all den Erfahrungen, die das mit sich bringt, und wenn Sie sich die Kompositionen anschauen, die sind relativ klassisch gebaut. Das sagten Sie. Auch die Themen sind sehr klassisch. Das heißt, es sind letztendlich gemalte Utopien, wo die Gegenwart nur selten Zugang findet. Aber das ganze geschieht mit einer Malerei, die ist leuchtend, die scheint sehr spontan, mit einem sehr unruhigen Pinselduktus, und ich glaube, diese Kombination aus klassischen Themen, 19. Jahrhundert und dann einer Oberfläche, die aber sehr modern wirkt, ich glaube, das macht bis heute tatsächlich auch den Erfolg und die Popularität von Nolde aus.
    Koldehoff: Ich habe selten eine Ausstellung gesehen, bei der tatsächlich der Katalog so wichtig als Ergänzung ist wie bei dieser Nolde-Ausstellung. Es gibt wirklich eine Fülle von neuen Erkenntnissen über diesen Künstler, die referiert werden im Katalog. Was war für Sie die wichtigste Erkenntnis?
    Begeisterung für die neuen NS-Machthaber
    Krämer: Für mich war tatsächlich auch dann die wichtigste Erkenntnis, wenn man Richtung Drittes Reich schaut, also zu sehen, mit welcher Begeisterung Nolde die neuen Machthaber, das Dritte Reich begrüßt, dass er wirklich um die Gunst der Nationalsozialisten buhlt, dass er auch nicht davor zurückschreckt, Künstlerkollegen, Max Pechstein, als Juden zu denunzieren bei den Behörden, dass er wirklich doch im Prinzip sämtliche Register zieht, um sich lieb Kind bei den Nationalsozialisten zu machen. Dieses Werben aber hat überhaupt keinen Erfolg. 1937 wird durch die Ausstellung der entarteten Kunst und der Fehme-Ausstellung in München für alle sichtbar, dass die Nationalsozialisten nichts von ihm wissen wollen, dass die ihn als Gegner betrachten und seine Werke in deutschen Museen werden beschlagnahmt. Die Geschichte der ungemalten Bilder, die setzt erst ein Jahr später ein. 1938 beginnt er mit dieser Serie der ungemalten Bilder. Das sind kleinformatige Aquarelle, 1300 Stück an der Zahl. Er beginnt aber schon 1938 auch mit der Umsetzung ins Gemälde von diesen Arbeiten, also schon sehr, sehr früh. Und 1941, als man auf seinen hohen Verdienst aufmerksam wird, wird über ihn ein Berufsverbot, ein sehr drastisches Berufsverbot verhängt. Aber er malt weiter, sowohl die ungemalten Bilder, aber er malt eben auch Gemälde und es entstehen großformatige Gemälde den ganzen Krieg hindurch und er verkauft auch weiterhin. Er verkauft noch 1944 Gemälde. Das heißt also, auch dieses Berufsverbot hindert ihn nicht wirklich daran, mit dem Malen aufzuhören, und das ist eine Erkenntnis, die ist zumindest, glaube ich, in der Deutlichkeit für viele neu, wobei ich da einschränkend auch sagen muss, dass das Werkverzeichnis, was seit den 70er-Jahren verfügbar ist, auch in sämtlichen Bibliotheken, dass einfach ein Blick in dieses Werkverzeichnis schon zeigt, dass diese Bilder auch nach dem Berufsverbot noch entstanden sind.
    Koldehoff: Das heißt, ein Mythos, die ungemalten Bilder beziehungsweise das Malverbot?
    Mythos Malverbot
    Krämer: Das Malverbot in der Drastik, wie das beschrieben wurde, ist ein Mythos. Es ist allerdings so: Das Berufsverbot war schon sehr umfassend. Es wurde ihm untersagt, Mal-Utensilien zu erwerben. Er durfte seine Arbeiten nicht verkaufen, nicht ausstellen. Aber die Tätigkeit selbst, das Malen, das war nicht verboten, und das hat er auch weiterhin getan. Aber er hat eben auch verkauft, hinter dem Rücken der Nationalsozialisten, und die Farben wurden dann von Freunden besorgt.
    Koldehoff: Und trotzdem hat sich nach dem Krieg dieser Mythos vom ausschließlich verfolgten Künstler hartnäckig gehalten. Wie erklären Sie das?
    Krämer: Ich glaube, das ist eine bestimmte Sehnsucht nach Helden, die nach dem Krieg vorhanden war, und man hat Nolde – das war der bekannteste Künstler seiner Generation in der Weimarer Republik, dessen Werke dann während des Dritten Reiches aus der Öffentlichkeit sukzessive verschwanden und die, das darf man nicht vergessen, wahnsinnig ästhetischen Reiz auch haben. Die sind richtig schön, richtig faszinierend und man konnte sich, glaube ich, nicht vorstellen, dass dieser Mensch tatsächlich auf die Nationalsozialisten gehofft hat.
    Koldehoff: Und dann müssen Sie uns jetzt natürlich sagen: Kann man einen Künstler und seine politische Einstellung vom Werk trennen?
    Politische Einstellung des Künstlers nicht vom Werk trannbar
    Krämer: Ich glaube, das kann man nicht. Das ist so, wie wenn man einen Schriftsteller oder einen Journalisten fragen würde, den Beitrag, den er gerade produziert hat, ob der nichts mit seiner Person zu tun hat, und ich glaube, da ist die Antwort immer eindeutig.
    Koldehoff: …, sagt Felix Krämer, Kurator am Frankfurter Städel, über seine Emil-Nolde-Retrospektive. Unterstützt werden die Ausstellung und ein Forschungsprojekt zu Nolde übrigens von der Nolde-Stiftung, deren Archive in den vergangenen Jahrzehnten nicht immer Jedermann zugänglich waren.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.