Museumstag im Nolde-Haus Seebüll. Zum Bildersaal im oberen Stockwerk führt eine hölzerne Treppe. Die farbstarken Werke erstrahlen in raffinierter indirekter Beleuchtung - ein Effekt der Fenster oberhalb der gläsernen Decke. Heute führen Schulkinder die Besucher durch den Bildersaal.
"Ich stelle Euch heute die zwei Selbstporträts vor. Die hat er gemalt, als er 50 war. Ich finde an diesem Bild schön, dass die Augen blau leuchten aus dem Gesicht heraus. Und wie er den Schatten auf seinem weißen Malerkittel gemalt hat."
Wenige Kilometer von Seebüll entfernt überqueren wir die Grenze nach Dänemark und biegen rechts in den "Noldevej". Ein einsamer Feldweg, eine herbe winddurchtoste Gegend, flach wie ein Brett. Nur am Himmel spektakuläre Farbenspiele.
"Dieses Dunkelblau-Grün da im Hintergrund, das Helle drüber und dann das Gelb dagegen gegen das das Rot. Die Landschaft ist farblich gestaltet."
Manfred Reuther hat der frühere Leiter der Nolde-Stiftung, an dem Ort, wo einmal Noldes Geburtshaus stand. In diesem Nirgendwo kam Hans Emil Hansen am 7. August 1867 zur Welt. Eine Tafel weist auf das Geburtshaus hin. Sonst sind alle Spuren verwischt, denn Noldes Elterhaus brannte 1943 nieder.
Was bleibt: eine wilde Wiese, weißgraue Noldewolken, die sich zur Erde hinunterballen. Am Horizont die Kirchturmspitzen von Burkal. Dorthin ging Emil mit seinen Geschwistern täglich zur Schule, meist am Fluss entlang.
"Zurückschauend liegen vor mir die Knabenjahre wie ein sonniger Frühlingsmorgen, mit vielem fröhlichen Kinderspiel, licht und schön."
Emil wollte Kunstmaler werden, doch sein Vater schickte ihn in eine Möbelfabrik zur Ausbildung als Holzschnitzer. Nach Lehrjahren in Flensburg dann Wanderjahre in München, Karlsruhe, Berlin, schließlich St. Gallen in der Schweiz.
Nach der Heirat mit der dänischen Schauspielerin Ada Vilstrup nahm Emil Hansen den Namen Nolde an und zog mit Ada auf die Ostseeinsel Alsen.
"Dieses Bild heißt 'Frühling im Zimmer', es wurde 1904 von Emil Nolde mit Ölfarben gemalt. Ich finde toll, dass Nolde bedacht hat, dass durch das Fenster das Licht auch auf die Haare von Ada fällt und auch auf die Blätter der Pflanze."
Zehn Jahre verbrachte Emil Nolde die Sommer in Utenwarf. Manfred Reuther zeigt mir das weiß getünchte Gehöft inmitten von Wiesen, hinter einem hohen Deich. Und so sah die Landschaft zu Noldes Zeiten aus:
"Es war herrlich, wenn um uns in meilenweiter Sicht alles nur Wasser war, wenn der hohe Himmel sich spiegelte oder wenn in der Nacht der Mond mit seinem kalten Glanz ein Silbermärchenland bildete. Wenn unser Pferd so hoch, wie seine Beine waren, durch das Wasser den Wagen ziehen musste. Viel Romantik und viel Ungemach."
"In Utenwarf ist er bis 1926 geblieben. Es wurden Deiche gebaut, was ihn vertrieben hat. ...Die Abwässer aus der Stadt Tondern wurden in die Wiedau, das ist der Fluss, der hier vorbeizieht, gelassen. Das hat ihn dann doch bewogen, eine neue Bleibe zu suchen."
Und zwar fast in Sichtweite auf einem Hügel, Warft genannt.
"Wir standen auf unserer Warft Seebüll, die ganze weite Himmelswölbung über uns, nackte grüne Felder um das Haus herum. Ein Stück solches Grasfeld sollte unser Garten werden."
"Diese Landschaft entsprach seinen Vorstellungen einer naturnahen Landschaft mit vielen Vögeln, mit Schilfbeständen ..., die zwar von der Kultur her eine Kümmerlandschaft war, aber eine sehr reiche Naturlandschaft."
Noldes ganzer Stolz war sein Blumengarten
An einem sonnendurchglühten Maitag fahre ich mit dem Landschaftsexperten Horst Gransow zum sogenannten Gotteskoog, eine Heidelandschaft, die seit Anfang der 80er-Jahre wieder in den ursprünglichen Zustand versetzt wird, wie ihn Nolde noch erlebt hat.
"Schwebend über das flache Wasser der Gottesgeist, alle Himmelsherrlichkeiten um sich, spiegelnd die ziehenden Wolken. Und die Wildgänse, silbergrau auf den sattgrünen Herbstwiesen in ihren langen breiten Dreieckflügen."
Im Sommer die Boote, bei Frost die Schlittschuhe - das waren die üblichen Fortbewegungsmittel. Nur ein Weg führte von Noldes Wohnhaus aufs feste Land.
"Hinter dem Nolde-Museum ist noch ein Weg erhalten, das ist heute ein schmaler Fußweg und Radweg und dort konnte er dann zur Wiedingharde fahren, das ist die vorgelagerte ehemalige Insel und da war Bahnanschluss in Emmelsbüll. Von dort konnte er nach Berlin fahren. Hier im Koog selbst konnte er das Auto nicht benutzen."
Noldes ganzer Stolz war sein Blumengarten, den er selbst entwarf. Die Anordnung der Beete folgt den Initialen von Emil und Ada, alles ist ausgeklügelt bis ins letzte Rosenbeet. Seitlich liegt das windgeschützte Gartenhäuschen, von Nolde "Mein Seebüllchen" genannt.
"Hier konnte er sitzen und malen im Garten, auch wenn es etwas stürmisch war, was hier ja oft der Fall ist", sagt die Kunstpädagogin Mechthild Gransow.
"In jeder Jahreszeit hat der Garten eigentlich auch ein anderes Aussehen. Mal dominiert das Rot, mal dominiert Blau, wenn der Rittersporn blüht oder so zum Herbst hin oder Spätsommer die Sonnenblumen, dann ist so ein Gelb-, Orangeton hier im Garten oder die Dahlien. Es ist also immer eine Augenweide."
Auf einer kleinen Anhöhe in Seebüll begann Nolde 1926 mit der Gartenanlage und zugleich dem Bau eines modernen Backsteinhauses. Wohntrakt und Atelier im Erdgeschoss waren als erstes fertig. Die Fenster folgen dem Sonnenlauf.
Zehn Jahre ließ Nolde über die sogenannte "Werkstatt" ein Obergeschoss setzen. Hier realisierte er einen Bildersaal. Für sich selbst und seine Freunde hängte und stellte er in zwei Reihen seine Gemälde aus. Bis heute sieht man eine kleine Auswahl der über 1.300 Ölgemälde - neben den berühmten Landschaften eine Reihe von Porträts.
"Dieses Bild heißt 'Doppelbildnis'. Und ich finde daran schön, dass die Frau ein blaues Kleid hat und der Mann ein schwarz-weißes Hemd. Und man sieht, dass sie sich gerne haben."
In den Räumen des ehemaligen Wohnhauses erzeugen Noldes Werke geradezu einen Formen- und Farbenrausch. Doch fehlt das Flair einer Künstlerwohnung, wie es beispielsweise das Rembrandthaus Amsterdam vermittelt. Vom Flur des Nolde-Hauses Seebüll erhasche ich lediglich einen Guckkastenblick ins Wohnzimmer. Farbige Wände, ein Flügel, was noch? Der ortskundige Horst Gransow erläutert Details der Einrichtung:
"Nolde hatte empfindliche Augen, erstaunlich für einen Maler. Er liebte immer nur indirektes Licht und dazu passten auch diese trichterförmigen Trompetenlampen, die das Licht an die Decke warfen und von dort wieder zurück."
Als seine Frau Ada 1946 starb, baute Nolde den Kriegsbunker am Garten um zur letzten Ruhestätte.
"Es gibt dann diese Briefe nach Adas Tod, wo Nolde bitterlich klagt über die Einsamkeit, über die Verlorenheit hier in Seebüll. Und er begegnet dann Jolanthe bei einem Konzert an der Ostküste abends. Und da hat es ihn erwischt."
Auf Hochzeitreise in der Schweiz
Emil Nolde wagte einen zweiten Frühling und ging mit seiner 26-jährigen Frau Jolanthe auf Hochzeitreise in die Schweiz.
"Das Bild heißt "Hohe See, bewegte Wolken". Das hat Emil Nolde 1948 gemalt, da war er 81 Jahre alt."
"Ich finde das schön, weil im Himmel sind ganz viele bunte Farben: Gelb, Orange, dunkleres Rot, Pink, Rosa, Hellblau und Dunkelblau. Und dass sich das so in den Wellen ganz oft widerspiegelt. Und dass in dem Schaum auch noch Orange ist vom Himmel. Und dass auch im Meer noch so schwarz ist."
Zwischen den Meeren, auf seiner Warft Seebüll, starb Emil Nolde am 13. April 1956. Er wurde neben seiner ersten Frau Ada in der Gartengruft beigesetzt.
"Mit Begabung gesegnet, von innerem Rausch und Leidenschaften durchglüht und gehetzt, bin ich tastend, stolpernd vorwärtsschreitend meinen Weg gegangen."