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Nordgriechische Sehnsucht nach einer funktionierenden Regierung

Am 17. Juni in wird in Griechenland erneut gewählt. Es wird sich zeigen, ob eine regierungsfähige Mehrheit entsteht und ob diese sich an die vereinbarten Sparmaßnahmen halten will. Viele griechische Kommunen wie Komotini wissen schon jetzt nicht, wie sie über die Runden kommen sollen.

Von Panagiotis Kouparanis |
    Rund 65.000 Einwohner hat Komotini. Im Norden liegt in kaum 20 Kilometer die bulgarische, keine 100 Kilometer im Osten die türkische Grenze. Ohne die 10.000 Studenten wäre das Leben hier ziemlich trist. Der wirtschaftliche Niedergang seit dem Ende der 90er-Jahre wurde durch die aktuelle Wirtschaftskrise verschärft. Von den einst 100 Fabriken in der Industriezone sind kaum 20 übriggeblieben, die Arbeitslosigkeit liegt über dem Landesdurchschnitt. Die Quittung haben die beiden großen Parteien bei den letzten Wahlen erhalten: Die einst im Landkreis allmächtige sozialdemokratische PASOK aber auch die konservative Nea Dimokratia haben die Hälfte ihrer Wähler verloren. Das Linksbündnis SIRIZA hat hier nicht so zulegen können, wie anderswo, aber Stamatis Kouroudis schließt nicht aus, dass es am 17. Juni zulegen wird. Kouroudis ist einer der wenigen Unternehmer der Umgebung, dem es gut geht. Der Grund: Seine Baumwollfasern gehen nicht in den griechischen Markt, sondern ins Ausland. Kouroudis Problem liegt woanders.


    "Wir haben uns bislang überhaupt nicht über die Wirtschaftsprobleme des Landes verständigt und wie wir sie lösen wollen. Deshalb bin ich überhaupt nicht optimistisch – egal welche Regierung gebildet wird. Bislang ist es nicht gelungen, die Griechen von der Notwendigkeit umfassender Reformen zu überzeugen. Jede künftige griechische Regierung ist aber gezwungen, diese Reformen in die Tat umsetzen. Ich befürchte aber, dass es zu großen Widerständen in der griechischen Bevölkerung kommen wird. Die große Frage ist, wie wird die Regierung mit diesen Widerständen umgehen, wie wird sie sie überwinden und wie die Menschen von ihrer Notwendigkeit überzeugen?"


    100 Kilometer westlich von Komotini liegt die antike Stadt Philippi. Direkt hier verlief die alte Römerstrasse Via Egnatia, hier gründete Apostel Paulus die erste christliche Gemeinde in Europa und taufte die erste europäische Christin, die Heilige Lydia. In anderen Gegenden der Welt wäre ein solcher Ort touristischer Magnet. Nicht so in Philippi. Die eindrucksvollen römischen Bauten vor einer einzigartig schönen Landschaft stehen fast leer. Die einzige Informationstafel auf dem großen Terrain ist verwittert und deshalb unleserlich, im Faltblatt an der Kasse wird Paulus in einem Nebensatz erwähnt. Die griechischen Archäologen wollen die Antike nicht mit dem Christentum vermengen, so die Erklärung von Stefanos Amanatidis. Der Reiseführer leidet sichtlich über solche und andere Unzulänglichkeiten. Dabei hätte die Region Ost-Mazedonien und Thrakien viel zu bieten: große Nationalparks mit unberührter Natur, wundervolle Strände, antike Stätten.

    Reformen? Infrastrukturmaßnahmen? Ja, die seien sehr wichtig, sagt Stefanos Amanatidis, aber im Moment sei es viel wichtiger eine funktionierende Regierung zu bekommen.

    "Es muss jetzt mal eine endgültige Lösung her. Sehen sie, Griechenland ist auf den Tourismus angewiesen. Aber die touristische Saison hat mit schlechten Vorzeichen begonnen: Hotels werden nicht voll, andere wiederum, und zwar große Häuser, haben erst gar nicht eröffnet. In einigen Gegenden des Landes ist die Zahl der Touristen, um bis zu 70 Prozent zurückgegangen, insbesondere hier bei uns."


    160 Kilometer westlich von Philippi mitten in Thessaloniki auf der Aristotelous-Straße steht der Physiotherapeut Dimitris Aftosmidis mit weiteren 30 Kollegen in weißen Kitteln vor den Büros der staatlichen Soziaversicherungsbehörde. Seit fünf Monaten hat sie ihnen für erbrachte Leistungen kein Honorar mehr überwiesen. Jetzt drohen sie damit, keinen versicherungspflichtigen Patienten mehr zu akzeptieren. Die Apotheker tun es bereits: Sie geben Medikamente nur noch gegen Barzahlung ab. Schuld an dieser Situation sind für Dimitris Aftosmidis die ständigen Kürzungen im Staatshaushalt. Auf die hätten wiederum die Kreditgeber EU und IWF bestanden. Jetzt, so Aftosmidis, würden sie auch noch Druck auf die Griechen ausüben, wie sie sich bei den Wahlen verhalten sollen.

    "Das einzige was noch fehlt ist, dass sie uns empfehlen welche Person wir wählen sollen. Die griechischen Bürger haben nach den letzten Wahlen etwas sehr einfaches verstanden: ebenso wenig wie den alten Galliern ist auch uns nicht der Himmel auf dem Kopf gefallen, als wir uns weigerten die beiden großen Parteien zu wählen, die den Bedingungen für die Kreditpakete zugestimmt hatten. Nach einer solchen Erfahrung und dem andauernden Druck aus dem Ausland ist es gut möglich, dass die griechischen Wähler sich wieder einmal als die sogenannten bösen Buben erweisen und sich anders verhalten als die europäischen Führer empfehlen."