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Nordkorea und die Atombombe
Kims Lebensversicherung

Nordkorea bezeichnet sich selbst als Atommacht. Eine tatsächlich einsetzbare Atombombe hat das isolierte Land nach Einschätzung von Fachleuten aber noch nicht. Warum strebt Machthaber Kim Jong Un so sehr danach?

Von Jürgen Hanefeld |
    Nordkoreaner sehen auf einem riesigen Bildschirm in der Hauptstadt Pjöngjang die Nachrichten über den jüngsten Atomwaffentest ihres Landes
    Das Foto zeigt angeblich, wie Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un den Befehl für den Test einer Wasserstoffbombe unterzeichnet. (picture alliance/ dpa/ Kyodo/ MAXPPP)
    Sie gehören zu jeder Parade in Pjöngjang: Bataillone von Soldaten mit Rucksäcken, auf denen das gelb-schwarze Atom-Symbol prangt. Was da drin ist, weiß niemand, aber die Botschaft ist klar: Wir haben die Bombe.
    Folgt man der Propaganda, dann hat Nordkorea die gefährlichste Waffe der Welt schon seit geraumer Zeit. In der jüngsten Version der Staatsverfassung von 2012 bezeichnet sich das Land als "Atommacht". Nur ist dieser Begriff nicht eindeutig. Alle Fachleute gehen davon aus, dass Nordkorea an verschiedenen Typen von Nuklearwaffen arbeitet, aber einsetzbar sind sie wohl noch nicht.
    Vor allem mangelt es an der entsprechenden Trägerrakete. Vereinfacht gesagt: Die Bombe ist viel zu groß, um sie übers Meer zu schießen. Deswegen die ganzen Tests. Sie dienen dem Ziel, Sprengkopf und Rakete so aufeinander abzustimmen, dass sie das anvisierte Ziel punktgenau erreichen.
    Wozu Nordkorea die Bombe brauche, hat zuletzt Ky Cheong Jong, der Botschafter Pjöngjangs in Indien, bündig beantwortet. Im Juni sagte der Diplomat: "Korea ist ein kleines Land mit einer Fläche von rund 220.000 Quadratkilometern. Man könnte also sagen, dass so ein kleines Land keine so gefährlichen Massenvernichtungswaffen braucht. Aber für die Demokratische Volksrepublik von Korea ist der Besitz von Atomwaffen unverzichtbar - zur Sicherung unserer Existenz."
    "Militär zuerst"
    In Wirklichkeit ist Nordkorea noch viel kleiner. Der Botschafter hat Südkorea gleich mitgerechnet. Die Halbierung des Landes am 38. Breitengrad war das Ergebnis des Koreakriegs in Fortsetzung des Zweiten Weltkriegs. Die damalige Sowjetunion und China wollten die gesamte koreanische Halbinsel in den kommunistischen Machtbereich einbeziehen, die USA bremsten den Vormarsch in letzter Minute.
    Staatspräsident im Norden wurde der Partisanen-Führer Kim Il Sung. Er hatte gegen die japanischen Besatzer gekämpft und sich dann der Sowjetarmee angeschlossen. Nun setzte ihn Moskau als Regenten in Pjöngjang ein. Kim Il Sung, der Großvater von Kim Jong Un und Begründer der Familiendynastie, erfand die bis heute gültige Juche-Ideologie - ein Konzept absoluter Autarkie.
    Sein Sohn und Nachfolger Kim Jong Il ergänzte und verengte diesen Ansatz auf die Parole "Militär zuerst". Auf beide berief sich Kim Jong Un, der dritte Kim also, bei seiner Rede vor dem 7. Parteitag der Nordkoreanischen Arbeiterpartei am 8. Mai 2016:
    "Der Parteikongress ist eine historische Gelegenheit, um einen Meilenstein zu setzen im Kampf um die Konsolidierung und Entwicklung der ruhmreichen Partei, die verbunden ist mit der Ideologie von Kim Il Sung und Kim Jong Il, sowie um die großen Errungenschaften des Sozialismus zu vervollständigen. Im Jahr des 7. Parteitages haben das Militär und das Volk große Erfolge gefeiert beim Test einer Wasserstoffbombe und der Platzierung eines Weltraumsatelliten."
    USA sollen Großmanöver einstellen
    Was wie eine geradlinige Entwicklung erscheint, wurde in Wahrheit mehrfach in seinen Grundfesten erschüttert. Der Zusammenbruch der Sowjetunion, die Anlehnung an China, die massive Hungersnot in den 1990er-Jahren, die am Ende zum Aufblühen marktwirtschaftlicher Strukturen führte und zu weitreichender Korruption, all das brachte Bewegung ins das angeblich so fest gefügte Reich der Kims.
    Doch das Konzept der totalen Einigelung wurde nie aufgegeben, sondern allenfalls ausgesetzt, wenn nötig. Als es den USA 1994 gelang, ein Moratorium zum Stopp des nordkoreanischen Atomprogramms auszuhandeln, schien die akute Gefahr sogar gebannt. Aber dann, 2001, beschimpfte US-Präsident George W. Bush Kim Jong Il als "Pygmäen" und erklärte Nordkorea zum "Schurkenstaat".
    Eindeutige Signale, die durch die Tötung von Despoten wie Saddam Hussein und Muammar al-Gaddafi unterstrichen wurden. Das alles veranschaulichte den Machthabern in Nordkorea, was passieren kann - ohne atomare Abschreckung. Längst hatten sie die Baupläne aus Pakistan gekauft. Abdul Khadir Khan galt als "Vater der muslimischen Kernwaffe" und Chefentwickler der pakistanischen Bombe. Mit seiner Hilfe erzeugte Nordkorea am 9. Oktober 2006 seine erste Atomexplosion.
    Elf Jahre - und sechs Atomtests - später sagt Kim Jong-uns Botschafter in Indien: "Unter bestimmten Bedingungen können wir darüber reden, die Atomtests und die Raketentest einzufrieren. Falls beispielsweise die USA ihre Großmanöver in der Region einstellten. Ob vorübergehend oder vollständig. Dann könnten wir über ein solches Moratorium reden."
    Korea-Krieg wäre ein Atomkrieg
    Wohl wissend, dass das unter der derzeitigen Regierung in Washington undenkbar ist. Nordkoreas Außenminister Ri Yong Ho erklärte erst vor vier Wochen, sein Land sei eine - so wörtlich - "verantwortungsvolle Atommacht". Es habe nicht die Absicht, irgendein Land außer den USA mit Atomwaffen anzugreifen oder mit Atomwaffen zu bedrohen, es sei denn, es beteilige sich an Militäraktionen der USA gegen Nordkorea.
    Diktator Kim hatte bereits vor einem Jahr ein Angebot unterbreitet, über das sich westliche Beobachter damals köstlich amüsierten: Sobald Nordkorea als Atommacht anerkannt sei, wäre er bereit, über Abrüstung zu verhandeln. Eine vielleicht etwas hochgegriffene Formulierung, die aber zeigt, worum es Kim geht: anerkannt zu werden und unangreifbar zu sein.
    Die Alternative beschreibt Botschafter Ky klipp und klar: "Ein Korea-Krieg wäre auf jeden Fall ein Atomkrieg - mit schlimmen Konsequenzen. Einen solchen Krieg sollten wir also mit allen Mitteln verhindern."