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Not-Games: Kontemplation statt Ballern

"Langweilig!" - das ist eigentlich das Schlimmste, was man über ein Computerspiel sagen kann. Die sogenannten Not-Games wollen aber genau das: Muße statt Action.

Von Christian Schiffer | 17.11.2011
    "Wir wollten es der Games-Industrie heimzahlen, die nie unsere Ideen unterstützt hat. Also haben wir gesagt: 'Wir machen jetzt ein Online-Rollenspiel in dem jeder einen Hirsch spielt'. Klar, das war eigentlich als ironischer Witz gemeint. Aber irgendwann wurde daraus mehr: Uns ging es darum, das Gefühl zu vermitteln, frei durch einen Wald zu laufen, ein Gefühl, das in einem Computerspiel noch nie auf eine solche Art hervorgerufen wurde. Das war dann der Kern des Gameplays. Es fing also als ironisches Spielchen an, aber es steckte schon viel von dem drin, was wir seither gemacht haben."

    Aurea Harvey ist Künstlerin und hat mit ihrem Freund die Computerspiel Schmiede "Tale of Tales" gegründet. Hier arbeiten sie an Spielen wie "Endless Forest". Das Spiel ist ein Online-Rollenspiel wie etwa "World of Warcraft", nur dass die Welt nicht von Elfen und Zwergen bevölkert wird, sondern von Hirschen. Also verbringt man die Zeit am Bildschirm damit, als Hirsch durch den Wald zu laufen und manchmal andere Hirsche anzuröhren.

    In anderen Spielen von "Tale of Tales" geht es darum, als alte gebrechliche Dame über einen Friedhof zu wandern oder sich als Rotkäppchen absichtlich im Wald zu verlaufen. Es sind Computerspiele, die nur noch wenig mit dem gemeinsam haben, was landläufig als Computerspiel angesehen wird. Diese Spiele werden deswegen auch als Not Games bezeichnet und sind mehr Kunst als Unterhaltung. Es geht darum, die Vorstellung von dem zu erweitern, was ein Computerspiel sein kann, sagt Katharina Tillmanns. Sie arbeitet beim "Cologne Game-Lab", einem Institut, das sich mit Computerspiel-Design beschäftigt:

    "Der Begriff ist dazu da um zu sagen: Wir öffnen das Ganze. Es geht darum, dass Computerspiele mehr sein können als "Shooter" oder Rätsel, dass es auch ohne klassische Spielmechanismen geht, ohne Gewinnen oder Verlieren. Es geht darum, zu zeigen, dass Spiele einen Erfahrungsraum bieten und die Neugierde des Spielers ansprechen."

    Noch etwas ist bei Not Games anders, als bei klassischen Computerspielen: Sie machen nicht besonders viel Spaß. Es gibt Not Games wie "Dinner Date" bei denen man zum Beispiel nichts anderes macht, als 20 Minuten an einem gedeckten Tisch auf den Gast zu warten. Man kann auch anfangen, sich richtig zu besaufen und genervt eine Zigarette nach der anderen rauchen, bis die Grafik verschwimmt, um Trunkenheit zu simulieren. Ja, man kann sogar lässig seine Kippe in die leere Weinflasche reinschnippen. Aber Spaß macht das trotzdem nicht. Aber darum geht es auch nicht, sagt Michaël Samyn von "Tale of Tales":

    "Es ist legitim zu fragen, wo da der Spaß bleibt, wenn man das als Computerspiel versteht. Das Problem ist nur, dass man es als Computerspiel versteht. Wir versuchen dieses Medium für alles möglich zu nutzen, wir glauben dass es sehr engstirnig ist zu glauben, man könne damit nur Spiele machen. In zehn Jahren werden wir zurückblicken und uns denken: 'Mein Gott, was waren wir nur für Idioten, wir saßen da mit diesem großartigen Medium und das einzige, was wir damit gemacht haben, waren Spiele!' Jetzt gibt es dieses neue Ding, mit dem man so viel machen kann, was wir uns heute noch gar nicht vorstellen können. Wir kratzen immer noch an der Oberfläche."

    Die Kunst hat immer wieder die Grenzen von Medien erweitert, etwa in der Malerei oder im Film. Oft ging es dabei abstrakt zu und schwer zugänglich. So ähnlich ist das auch bei den Not Games: Sie zeigen, dass man mit einem interaktiven Medium viel mehr machen könnte als nur Unterhaltung. Vielleicht wird es einmal Computerspiele geben, die keinen Spaß machen und genau deswegen faszinieren.