Donnerstag, 25. April 2024

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Notfallseelsorger im Katastrophengebiet
"Dann ist das Urvertrauen in die Welt gestört"

Durch die Unwetter-Katastrophe haben viele Menschen alles verloren, vom Fotoalbum bis zum eigenen Haus. Sie stehen unter Schock. In einer solchen Situation gehe Urvertrauen verloren, sagt Notfallseelsorger Albrecht Roebke im Dlf. Auch die vielen Helfer bräuchten entlastende Gespräche.

Albrecht Roebke im Gespräch mit Jessica Sturmberg | 16.07.2021
Eine Frau blickt auf die Zerstörungen in einem Ort im Kreis Ahrweiler am Tag nach dem Unwetter. Mindestens sechs Häuser wurden durch die Fluten zerstört.
Eine Frau blickt auf die Zerstörungen in einem Ort im Kreis Ahrweiler am Tag nach dem Unwetter. Mindestens sechs Häuser wurden durch die Fluten zerstört. (picture alliance/dpa | Thomas Frey)
Menschen werden tot in überfluteten Kellern gefunden, Angehörige sind nicht erreichbar und vielleicht Opfer geworden, es werden Personen per Hubschrauber von den Dächern ihrer Häuser geholt – das ist alles ein großer Schock und die Stunde der Seelsorgerinnen und –Seelsorger, die den Menschen beistehen.
Zwei Dinge seien an der Situation speziell, sagte der evangelische Pfarrer und Koordinator der Notfallseelsorge Bonn/Rhein-Sieg, Albrecht Roebke, im Deutschlandfunk. Er ist im Einsatz im Gebiet von Euskirchen. Da sei zum einen die Plötzlichkeit des Ereignisses: Erst war noch Sonnenschein, dann soll es regnen - und "dann ist plötzlich meine Welt zerstört". Solche Ereignisse nähmen den Betroffenen die Sicherheit, an die Zukunft zu glauben. Das wirke auch in andere Lebensbereiche hinein. "Wenn ich mich nicht darauf verlassen kann, dass mein Haus morgen noch steht, worauf kann ich mich in dieser Welt überhaupt noch verlassen?", beschreibt Roebke. "Dann ist das Urvertrauen in die Welt gestört. Und die Gefahr ist, dass das langfristig bleibt. Dann kann ich kein Vertrauen mehr in diese Welt haben."
Die Menschen stünden nicht nur finanziell vor dem Nichts und hätten im schlimmsten Fall einen Angehörigen verloren, sondern auch ihr altes Leben sei ausgelöscht, indem Fotoalben, Erinnerungsstücke, Möbel und vieles mehr vernichtet seien. "Das ist emotional, wenn ich keine Erinnerungsstücke mehr habe. Dann verliere ich auch meine emotionale Sicherheit."
Der Notfallseelsorger Albrecht Roebke bei der Aufzeichnung der ZDF-Talkshow "Markus Lanz" im Studio Stahltwiete. Hamburg, 06.10.2015
Der Notfallseelsorger Albrecht Roebke bei einer Talkshow (dpa / Geisler-Fotopress)
An den Sammelstellen brauche es erst einmal Gespräche, damit der Fluchtinstinkt, der in der extremen Gefahrensituation geweckt wurde, abgestellt werde, berichtete Roebke. Damit die Seele verstehe, dass die akute Gefahr vorüber sei, denn physisch seien die Menschen zwar schon an einem sicheren Ort, aber emotional noch nicht. Langfristig entstehe das Problem, dass die Menschen in diesem Alarmzustand bleiben. In dem Moment aber, wo sie erzählen könnten, "merkt die Seele, sage ich mal ganz vereinfacht gesprochen, dass die akute Lebensgefahr jetzt zumindest für den Moment vorbei ist".

Ein Detail kann die Wahrnehmung verändern

Die Einsatzkräfte bräuchen entlastende Gespräche mit jemandem, der ihre Sprache versteht, sagte Roebke. Der weiß, wie Einsätze ablaufen und einordnen kann, wovon sie sprechen. Die Belastung komme in der Regel 24 Stunden nach dem Einsatz. Was die Einsatzkräfte am meisten belaste, sei, wenn sie nicht helfen könnten, weil sie zum Beispiel fehlgeleitet wurden. Es könne auch ein Details sein, etwa wenn ein Opfer zufällig das gleiche T-Shirt an wie es in der eigenen Familie auch im Schrank liegt. Dann komme das Schicksal ganz nah an sie heran. Ansonsten seien sie total fokussiert, "aber so ein Detail kann die Wahrnehmung verändern."