An schönen Flüssen liegen besonders schöne Orte. Das habe ich in den Kindheitserinnerungen des Schriftstellers Hanns-Josef Ortheil gelesen; da erzählt er von seiner ersten Moselreise mit dem Vater. Der erklärt ihm, dass der Anblick eines schönen Flusses sehr beruhige und tief in die Seele gehe, die Menschen an solchen Orten seien ruhig und besonnen und nicht so nervös und - so steht es im Text - nicht so durchgerädert.
Dieses Wort rührte mich und ich bekam Heimweh nach dem Odenwald und nach meinem schönen Fluss. Wenn sich dann, nicht weit hinter Frankfurt, die Landschaft aufwölbt, in vielen Grüns schimmert und der Main schmal und geruhsam zwischen Weiden und Buschwerk auftaucht, als würde er Sonne und Luft anplätschern, dann weitet sich mir das Herz. Und ich komme in Miltenberg an.
"Oh, was für ein Fachwerkhaus!"
Miltenberg zeigt sich fast rein mittelalterlich, mit einem Fachwerkensemble voller Giebel und Erker, schmal, winkelig, mit heimeligen Gassen, und liegt so schön an Main und Odenwald geschmiegt, dass man, angesichts all dieser romantischen Beschaulichkeit, weich werden kann. Als der Main sich nämlich sein Bett grub, schürfte er hier einen enormen Mäander im Tal zwischen Odenwald und Spessart, was diesen Flussabschnitt außerordentlich anmutig aussehen lässt.
Wie gerne würde ich noch einmal mit dem DKW meines Großvaters ankommen. Er fuhr den großen 3=6 Meisterklasse, ein schnittiges Modell mit runden Kotflügeln und einem fratzenhaften Kühlergrill. Mein Großvater war Jäger und hatte sein Revier über Miltenberg, da oben auf der Höh' im Odenwald. Wenn wir von dort herunter auf Miltenberg zufuhren, ging es meinem Großvater um das, womit sich die Miltenberger auch heute noch am liebsten beschäftigen: mit fränkischen Gasthäusern, mit Bier und Wein.
Das Prunkstück Miltenbergs ist der Gasthof Riesen, die älteste Fürstenherberge Deutschlands, ein viergeschossiges Fachwerkjuwel mit hochgereckten Erkern. Herübergerettet aus einer Zeit, als der Mainzer Erzbischof den Miltenbergern das Stapel-, Umschlags- und Geleitrecht verlieh. Das war 1368, und der Ort stieg fortan zur wichtigen Handelsstadt auf. Im Hof des Riesen konnten 100 Pferde Quartier machen. Von König Ludwig dem Bayern über Kaiser Karl IV und Barbarossa haben viele Persönlichkeiten unter trutzigen Eichenbalken in der Giebelsuite genächtigt.
Der Gasthof wird von der alteingesessenen Bierbrauerfamilie Faust bewirtschaftet. Man klüngelt an langen Holztischen zusammen, es gibt fränkische Wildschweinbratwürste und Miltenberger Rossäpfel, sprich Leberknödel mit Kraut, oder Bierbrauerpfanne mit Schweinemedaillons an Dunkelbiersauce. Die Speisekarte nennt sich Wirtschaftszeitung und hat ein Journal für die Biere. Die heißen 1848er Auswandererbier, helles Kräusen oder dunkles Schwarzviertler, nach dem ältesten Quartier Miltenbergs. Man kann sie in putzig designten 0,1er Gläschen verkosten. Ein schöner Auftakt, um zum Wein überzugehen.
Auf der anderen Mainseite, wo sich der Spessart erhebt, klettern die Weinreben schwungvoll und weich wie hingetuscht die Hänge hinauf. Und der Anblick der Weinterrassen geht mir wieder tief in die Seele mit ihrer Ruhe und diesem stillen, sonnenumhüllten Leuchten. Ich stelle mir vor, mit dem 40 PS Zweitakter hier entlang zu fahren. Durch Großheubach nach Kleinheubach und Erlenbach geht die Fahrt. Und wie es schon der Großvater gemacht hat, grüßt man und redet mit den Leuten und steigt in den Wingert, weil es froh macht, mitten in den Reben zu sein. Warum, das erzählt mir Winzer Reinhold Hillerich aus Erlenbach auf dem Weinwanderweg überm Tal.
"Wir gehen mal hier durch. Sie sehen also die Triebe zwischen die Drähte, damit sie gerade hoch wachsen. Ansonsten so - jeder Trieb würde acht Meter lang wachsen, wenn man den net kappen würde. Die würden hier alles zuwachsen. So´n Traubenstock wächst net von sich aus gerade, sondern der braucht des Spalier, in dem die Triebe gehalten werden. Und des is so die Arbeit, damit die alle schön grade wachsen, damit dann der Wind durchzieht und das ganze schnell abtrocknet. Und wenn wir dieses Ergebnis, was wir jetzt hier haben, über die nächsten sechs bis acht Wochen retten können, dann gibt das wieder einen tollen Herbst."
Hundert Meter tief scheinen die Weinstöcke bei fast 90 Prozent Steillage ins Flusstal zu fallen. Neben uns liegt ein kleiner Haufen Buntsandstein, rund 1000 Euro wert und ausreichend für gerade mal drei Meter Mauer.
"Hier haben seit Jahrhunderten die Winzer eine unfassbare Leistung vollbracht. Wir haben hier etwa 300 Kilometer Trockenmauern stehen, wenn man sie aneinander reihen würde. Und ich gehe mal davon aus, dass man für jeden Quadratmeter Trockenmauer eine halbe Tonne Sandsteine braucht, um so eine Mauer zu errichten. Und das wurde früher in reiner Handarbeit hier den Hang hinaufgeschleppt und damit erst die Voraussetzung geschaffen, dass hier Weinbau entstehen konnte."
Der Buntsandsteinboden ist es auch, der dem Wein seinen ureigenen Geschmack gibt, zusammen mit der althergebrachten Anbauweise ohne Maschinen, die gar nicht zwischen die Rebzeilen passen würden. So ist es hier oben friedlich, wie aus der Zeit gefallen, und in verschworener Absicht rückständig geblieben.
Ich mag den Menschenschlag hier. Sie erzählen gerade heraus, und sie klüngeln gerne zusammen. Und erschaffen dabei nicht nur den Wein, sondern auch sich selbst. Weil sie schon so lange in der Englage zwischen den Waldgebieten leben, die sich die Churmainzer Erzbischöfe als Jagdreviere vorbehalten hatten, und weil sie irgendwann Bayern zugeschlagen wurden, aber doch eindeutig Franken sind, bezeichnen sie sich heute einfach als Churfranken. Und wo lässt es sich - wie schon zu meines Großvaters Lebzeiten - am besten klüngeln? In den Häckerwirtschaften.
"Ja wir sind jetzt hier in einer typischen Häckerwirtschaft, der Namen leitet sich ab von dem früheren Begriff für Winzer, den Häckern. Häckern, weil die einzige Möglichkeit den Boden im Weinberg zu bearbeiten, war die Hacke, mit denen man die Weinbergsböden unkrautfrei gehalten hat. Das ist hier eine traditionelle Weinwirtschaft, etwa seit dem 16. Jahrhundert, hat sich hinüber gerettet hier in die neue Zeit und erfreut sich ständig wachsender Beliebtheit."
Silvaner, Riesling, Portugieser, Spätburgunder werden in nicht kleinen Gläsern verkostet. Während der Sommer- und Herbstzeit öffnen die Häckerwirte abwechselnd ihre Gaststuben bis in den späten Abend und jeder hat seine Spezialitäten auf der rustikalen Speisekarte wie Winzerpastete oder Wildschweinbratwürste. 250 Häckern gibt es entlang des Mainbogens. Bei Winzer Hillerich ist es der Bacchus, ein Wein aus einer alten Rebsorte mit würzigem Geschmack und herrlicher Frische, der mich für diesen Tag in die Weinseligkeit bringt.
Am nächsten Morgen stellt mir Evy, die Gastgeberin im Landhotel zu Bürgstadt, ein Fahrrad hin. Ich würde schon sehen, wie es damit bergauf geht, sagt sie, rauf zum Wein-Fürst auf den Bürgstädter Centgrafenberg.
Und wie es bergauf geht! Das Rad ist ein Elektro-Bike mit Antriebshilfe. Wie von Geisterhand zieht oder schiebt es mich am verträumten Nebenflüsschen des Mains, der Mud, entlang und den Berg hinauf. Winzer Fürst gilt allen in der Gegend als gemachter Mann. Er hat in den 80er Jahren als erster begonnen, mit den vielen nur noch als Hobbywinzer arbeitenden Nachbarn die verwucherten Steillagen freizulegen und den Weinbau professionell wiederzubeleben. In seinem Degustationsraum riecht es schon wieder verlockend nach Rebensaft.
"Die Entscheidung war sehr frühzeitig, das anzupflanzen, was auch schon die Alten gemacht haben. Sprich, die alten Rebsorten in Weiß, Riesling, die Rieslingrebe als Weißwein und die Spätburgundertraube, die es hier schon immer gab. Da haben wir also voll drauf gesetzt. Und sehr früh, schon als ich in Geisenheim studiert hab', hab' ich mich auf des besonnen, was hier die alten Winzer erzählt haben, dass man Frühburgunder anbaut. Und der Frühburgunder, des kann man so als autochthone Rebsorte bezeichnen, also eine Rebsorte, die auf der roten Liste steht."
Den Riesling solle man zur Erfrischung trinken, den Früh- und Spätburgunder für die Muse und im Winter, sagt er auch und zieht flugs einen Frühburgunder vom Centgrafenberg 2009 auf. Der wird um elf Uhr morgens zur Offenbarung. Kein tiefer, schwerer Rotwein, sondern ein eigenes Gewächs mit lichter Öffnung, der lange im Gaumen bleibt. Himmlisch wäre das richtige Wort.
"Spaß machen tut sowieso nur was, wenn man was sehr Schönes produzieren kann. Und Gott sei Dank haben wir auch eine Klientel in Deutschland, die Wert drauf legt. Und da ist die Eigenständigkeit dieser Gegend, hier mit den roten Sandsteinböden, die geben dem Wein schon eine ganz eigene Prägung. Und es gibt nicht sehr viele Weinberge, die auf so einem roten Sandstein wachsen wie hier. Es sind Weine, die sehr filigran sind, sehr appetitlich sind und einen Tick mehr Säure haben als in schwereren Böden."
Wie gut er daran getan hat, der Fürst, das kleine Churfranken und den Mainbogen etwas größer angeschaut zu haben und seine alte Substanz in die Moderne hinein zu retten.
Ist es Zufall oder Fügung? Zurück in der Großstadt, lese ich in der Geschichte des DKW, dass die einstige Auto Union im Jahr 1921 den ersten serienreifen Fahrradhilfsmotor entwickelte. Mit dem Werbespruch "DKW - Das Kleine Wunder - fährt bergauf wie andere runter" wurden schon im ersten Jahr 10 000 dieser motorisierten Fahrräder verkauft.
Das werden die Churfranken mit ihrem Talent zur Nostalgie auch noch schaffen. Hunderte schnurrender Elektro-Räder an den großen Mäander des Mains zu bringen. Als ich mit Evys E-Bike in fröhlichen frühburgundischen Bögen an den Weinbergen entlang sauste, roch ich wieder Hasenpfeffer, Zweierlei vom Wild und den Traubenmost im Keller des Großvaters. Und war überhaupt nicht mehr so durchgerädert wie zuvor in der Großstadt, als mich das Heimweh auf den richtigen Weg brachte.
Dieses Wort rührte mich und ich bekam Heimweh nach dem Odenwald und nach meinem schönen Fluss. Wenn sich dann, nicht weit hinter Frankfurt, die Landschaft aufwölbt, in vielen Grüns schimmert und der Main schmal und geruhsam zwischen Weiden und Buschwerk auftaucht, als würde er Sonne und Luft anplätschern, dann weitet sich mir das Herz. Und ich komme in Miltenberg an.
"Oh, was für ein Fachwerkhaus!"
Miltenberg zeigt sich fast rein mittelalterlich, mit einem Fachwerkensemble voller Giebel und Erker, schmal, winkelig, mit heimeligen Gassen, und liegt so schön an Main und Odenwald geschmiegt, dass man, angesichts all dieser romantischen Beschaulichkeit, weich werden kann. Als der Main sich nämlich sein Bett grub, schürfte er hier einen enormen Mäander im Tal zwischen Odenwald und Spessart, was diesen Flussabschnitt außerordentlich anmutig aussehen lässt.
Wie gerne würde ich noch einmal mit dem DKW meines Großvaters ankommen. Er fuhr den großen 3=6 Meisterklasse, ein schnittiges Modell mit runden Kotflügeln und einem fratzenhaften Kühlergrill. Mein Großvater war Jäger und hatte sein Revier über Miltenberg, da oben auf der Höh' im Odenwald. Wenn wir von dort herunter auf Miltenberg zufuhren, ging es meinem Großvater um das, womit sich die Miltenberger auch heute noch am liebsten beschäftigen: mit fränkischen Gasthäusern, mit Bier und Wein.
Das Prunkstück Miltenbergs ist der Gasthof Riesen, die älteste Fürstenherberge Deutschlands, ein viergeschossiges Fachwerkjuwel mit hochgereckten Erkern. Herübergerettet aus einer Zeit, als der Mainzer Erzbischof den Miltenbergern das Stapel-, Umschlags- und Geleitrecht verlieh. Das war 1368, und der Ort stieg fortan zur wichtigen Handelsstadt auf. Im Hof des Riesen konnten 100 Pferde Quartier machen. Von König Ludwig dem Bayern über Kaiser Karl IV und Barbarossa haben viele Persönlichkeiten unter trutzigen Eichenbalken in der Giebelsuite genächtigt.
Der Gasthof wird von der alteingesessenen Bierbrauerfamilie Faust bewirtschaftet. Man klüngelt an langen Holztischen zusammen, es gibt fränkische Wildschweinbratwürste und Miltenberger Rossäpfel, sprich Leberknödel mit Kraut, oder Bierbrauerpfanne mit Schweinemedaillons an Dunkelbiersauce. Die Speisekarte nennt sich Wirtschaftszeitung und hat ein Journal für die Biere. Die heißen 1848er Auswandererbier, helles Kräusen oder dunkles Schwarzviertler, nach dem ältesten Quartier Miltenbergs. Man kann sie in putzig designten 0,1er Gläschen verkosten. Ein schöner Auftakt, um zum Wein überzugehen.
Auf der anderen Mainseite, wo sich der Spessart erhebt, klettern die Weinreben schwungvoll und weich wie hingetuscht die Hänge hinauf. Und der Anblick der Weinterrassen geht mir wieder tief in die Seele mit ihrer Ruhe und diesem stillen, sonnenumhüllten Leuchten. Ich stelle mir vor, mit dem 40 PS Zweitakter hier entlang zu fahren. Durch Großheubach nach Kleinheubach und Erlenbach geht die Fahrt. Und wie es schon der Großvater gemacht hat, grüßt man und redet mit den Leuten und steigt in den Wingert, weil es froh macht, mitten in den Reben zu sein. Warum, das erzählt mir Winzer Reinhold Hillerich aus Erlenbach auf dem Weinwanderweg überm Tal.
"Wir gehen mal hier durch. Sie sehen also die Triebe zwischen die Drähte, damit sie gerade hoch wachsen. Ansonsten so - jeder Trieb würde acht Meter lang wachsen, wenn man den net kappen würde. Die würden hier alles zuwachsen. So´n Traubenstock wächst net von sich aus gerade, sondern der braucht des Spalier, in dem die Triebe gehalten werden. Und des is so die Arbeit, damit die alle schön grade wachsen, damit dann der Wind durchzieht und das ganze schnell abtrocknet. Und wenn wir dieses Ergebnis, was wir jetzt hier haben, über die nächsten sechs bis acht Wochen retten können, dann gibt das wieder einen tollen Herbst."
Hundert Meter tief scheinen die Weinstöcke bei fast 90 Prozent Steillage ins Flusstal zu fallen. Neben uns liegt ein kleiner Haufen Buntsandstein, rund 1000 Euro wert und ausreichend für gerade mal drei Meter Mauer.
"Hier haben seit Jahrhunderten die Winzer eine unfassbare Leistung vollbracht. Wir haben hier etwa 300 Kilometer Trockenmauern stehen, wenn man sie aneinander reihen würde. Und ich gehe mal davon aus, dass man für jeden Quadratmeter Trockenmauer eine halbe Tonne Sandsteine braucht, um so eine Mauer zu errichten. Und das wurde früher in reiner Handarbeit hier den Hang hinaufgeschleppt und damit erst die Voraussetzung geschaffen, dass hier Weinbau entstehen konnte."
Der Buntsandsteinboden ist es auch, der dem Wein seinen ureigenen Geschmack gibt, zusammen mit der althergebrachten Anbauweise ohne Maschinen, die gar nicht zwischen die Rebzeilen passen würden. So ist es hier oben friedlich, wie aus der Zeit gefallen, und in verschworener Absicht rückständig geblieben.
Ich mag den Menschenschlag hier. Sie erzählen gerade heraus, und sie klüngeln gerne zusammen. Und erschaffen dabei nicht nur den Wein, sondern auch sich selbst. Weil sie schon so lange in der Englage zwischen den Waldgebieten leben, die sich die Churmainzer Erzbischöfe als Jagdreviere vorbehalten hatten, und weil sie irgendwann Bayern zugeschlagen wurden, aber doch eindeutig Franken sind, bezeichnen sie sich heute einfach als Churfranken. Und wo lässt es sich - wie schon zu meines Großvaters Lebzeiten - am besten klüngeln? In den Häckerwirtschaften.
"Ja wir sind jetzt hier in einer typischen Häckerwirtschaft, der Namen leitet sich ab von dem früheren Begriff für Winzer, den Häckern. Häckern, weil die einzige Möglichkeit den Boden im Weinberg zu bearbeiten, war die Hacke, mit denen man die Weinbergsböden unkrautfrei gehalten hat. Das ist hier eine traditionelle Weinwirtschaft, etwa seit dem 16. Jahrhundert, hat sich hinüber gerettet hier in die neue Zeit und erfreut sich ständig wachsender Beliebtheit."
Silvaner, Riesling, Portugieser, Spätburgunder werden in nicht kleinen Gläsern verkostet. Während der Sommer- und Herbstzeit öffnen die Häckerwirte abwechselnd ihre Gaststuben bis in den späten Abend und jeder hat seine Spezialitäten auf der rustikalen Speisekarte wie Winzerpastete oder Wildschweinbratwürste. 250 Häckern gibt es entlang des Mainbogens. Bei Winzer Hillerich ist es der Bacchus, ein Wein aus einer alten Rebsorte mit würzigem Geschmack und herrlicher Frische, der mich für diesen Tag in die Weinseligkeit bringt.
Am nächsten Morgen stellt mir Evy, die Gastgeberin im Landhotel zu Bürgstadt, ein Fahrrad hin. Ich würde schon sehen, wie es damit bergauf geht, sagt sie, rauf zum Wein-Fürst auf den Bürgstädter Centgrafenberg.
Und wie es bergauf geht! Das Rad ist ein Elektro-Bike mit Antriebshilfe. Wie von Geisterhand zieht oder schiebt es mich am verträumten Nebenflüsschen des Mains, der Mud, entlang und den Berg hinauf. Winzer Fürst gilt allen in der Gegend als gemachter Mann. Er hat in den 80er Jahren als erster begonnen, mit den vielen nur noch als Hobbywinzer arbeitenden Nachbarn die verwucherten Steillagen freizulegen und den Weinbau professionell wiederzubeleben. In seinem Degustationsraum riecht es schon wieder verlockend nach Rebensaft.
"Die Entscheidung war sehr frühzeitig, das anzupflanzen, was auch schon die Alten gemacht haben. Sprich, die alten Rebsorten in Weiß, Riesling, die Rieslingrebe als Weißwein und die Spätburgundertraube, die es hier schon immer gab. Da haben wir also voll drauf gesetzt. Und sehr früh, schon als ich in Geisenheim studiert hab', hab' ich mich auf des besonnen, was hier die alten Winzer erzählt haben, dass man Frühburgunder anbaut. Und der Frühburgunder, des kann man so als autochthone Rebsorte bezeichnen, also eine Rebsorte, die auf der roten Liste steht."
Den Riesling solle man zur Erfrischung trinken, den Früh- und Spätburgunder für die Muse und im Winter, sagt er auch und zieht flugs einen Frühburgunder vom Centgrafenberg 2009 auf. Der wird um elf Uhr morgens zur Offenbarung. Kein tiefer, schwerer Rotwein, sondern ein eigenes Gewächs mit lichter Öffnung, der lange im Gaumen bleibt. Himmlisch wäre das richtige Wort.
"Spaß machen tut sowieso nur was, wenn man was sehr Schönes produzieren kann. Und Gott sei Dank haben wir auch eine Klientel in Deutschland, die Wert drauf legt. Und da ist die Eigenständigkeit dieser Gegend, hier mit den roten Sandsteinböden, die geben dem Wein schon eine ganz eigene Prägung. Und es gibt nicht sehr viele Weinberge, die auf so einem roten Sandstein wachsen wie hier. Es sind Weine, die sehr filigran sind, sehr appetitlich sind und einen Tick mehr Säure haben als in schwereren Böden."
Wie gut er daran getan hat, der Fürst, das kleine Churfranken und den Mainbogen etwas größer angeschaut zu haben und seine alte Substanz in die Moderne hinein zu retten.
Ist es Zufall oder Fügung? Zurück in der Großstadt, lese ich in der Geschichte des DKW, dass die einstige Auto Union im Jahr 1921 den ersten serienreifen Fahrradhilfsmotor entwickelte. Mit dem Werbespruch "DKW - Das Kleine Wunder - fährt bergauf wie andere runter" wurden schon im ersten Jahr 10 000 dieser motorisierten Fahrräder verkauft.
Das werden die Churfranken mit ihrem Talent zur Nostalgie auch noch schaffen. Hunderte schnurrender Elektro-Räder an den großen Mäander des Mains zu bringen. Als ich mit Evys E-Bike in fröhlichen frühburgundischen Bögen an den Weinbergen entlang sauste, roch ich wieder Hasenpfeffer, Zweierlei vom Wild und den Traubenmost im Keller des Großvaters. Und war überhaupt nicht mehr so durchgerädert wie zuvor in der Großstadt, als mich das Heimweh auf den richtigen Weg brachte.