Mittwoch, 24. April 2024

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NSA-Untersuchungsausschuss
"Snowden allenfalls ein Teilaspekt"

Eine direkte Befragung von Edward Snowden in Deutschland birgt nach Ansicht des Transatlantik-Koordinators der Bundesregierung, Jürgen Hardt, für beide Seiten zu viele Risiken. Die bilateralen Beziehungen dürften durch eine solche Frage nicht zusätzlich schwer belastet werden, sagte Hardt im DLF.

Jürgen Hardt im Gespräch mit Bettina Klein | 08.05.2014
    Ein Aufkleber, mit dem Asyl für den Informanten Edward Snowden gefordert wird, klebt am 11.02.2014 auf einem Masten bei Beckedorf im Landkreis Schaumburg (Niedersachsen).
    Auf einem Aufkleber wird Asyl für Edward Snowden gefordert (dpa / picture-alliance / Julian Stratenschulte)
    Ein Gutachten der Bundesregierung habe dem Untersuchungsausschuss empfohlen, eine Befragung nicht auf deutschem Boden durchzuführen, sagte Jürgen Hardt (CDU), Koordinator der Bundesregierung für die transatlantische Zusammenarbeit, im Deutschlandfunk. Eine Einreisegenehmigung würde die Bundesregierung nicht erteilen.
    Das breite Bedürfnis in der deutschen Bevölkerung an einer direkten Befragung sei "voll nachvollziehbar, aber es gibt natürlich auch ein breites Bedürfnis, dass wir die Beziehungen zu den USA nicht durch eine solche Frage zusätzlich schwer belasten, was uns wiederum andere Nachteile und andere Schwierigkeiten bereiten würde", sagte Hardt. Zunächst würde Deutschland gegen die Passhoheit der Vereinigten Staaten verstoßen, sollte Snowden hier Asyl gewährt werden. Wäre dies der Fall, stelle sich zudem die Frage, ob Snowden tatsächlich an die USA ausgeliefert würde oder in ein Land seiner Wahl reisen dürfe. Die Entscheidung müsste letztlich ein Richter, nicht ein Politiker in Berlin fällen. Da ein Ausgang dann ungewiss wäre, könne eine solche Situation auch nicht unbedingt im Sinne Snowdens sein.
    "Es gibt auch andere Möglichkeiten zu befragen, was Herr Snowden zum Sachverhalt auszusagen hat", sagte Hardt. Andere Institutionen und Länder hätten den früheren Mitarbeiter der US-Geheimdienste per Videokonferenz oder Fragebogen interviewt. Der Transatlantik-Koordinator beklagt, "dass der NSA-Untersuchungsausschuss zu einem reinen Snowden-Vernehmungsausschuss geworden ist". Eigentlich sollte das Gremium vor allem klären, wie die Rechte der Bürger besser geschützt werden könnten. "Da ist die Frage, was Herr Snowden dazu beitragen kann, allenfalls ein Teilaspekt."
    Jürgen Hardt, geboren am 30. Mai 1963 in Hofheim am Taunus, ist seit 2009 Mitglied des Deutschen Bundestages. Der CDU-Politiker ist Koordinator für die transatlantische Zusammenarbeit im Auswärtigen Amt. Hardt war Mitglied des Untersuchungsausschusses zur Aufklärung der Vorgänge um den Luftangriff bei Kunduz. Von 2004 bis 2009 gehörte er dem Rat der Stadt Wuppertal an. Seit 2003 ist er Kreisvorsitzender der CDU Wuppertal und seit 2005 stellvertretender Vorsitzender des CDU-Bezirks Bergisches Land.

    Das vollständige Interview mit Jürgen Hardt:
    Bettina Klein: Jürgen Hardt (CDU), er ist der neue Koordinator im Auswärtigen Amt für die transatlantischen Beziehungen. Guten Morgen, Herr Hardt.
    Jürgen Hardt: Guten Morgen, Frau Klein.
    Klein: Keine Vernehmung von Edward Snowden in Berlin – ist das aus Sicht der Bundesregierung das letzte Wort nach Ihrem Eindruck?
    Hardt: Dieses Gutachten, das der Untersuchungsausschuss ja angefordert hat bei der Regierung, wurde ja gemeinsam von den drei Ministerien Außenministerium, Führung Steinmeier (SPD), Justizministerium, Maas (SPD), und Innenministerium, Führung Thomas de Maizière (CDU), abgefasst. Es ist eine konsolidierte Meinung der Bundesregierung, die eben die außenpolitischen Aspekte einer Entscheidung, ob man ihm hier entsprechend Einreise gewährt oder nicht, gegen die Rechte und den Wunsch des Untersuchungsausschusses abwägt. Ich finde diese Abwägung nachvollziehbar. Ich glaube auch, dass die Regierung diesen Ermessensspielraum hat, und sie kommt zu der Empfehlung oder zu der Entscheidung, dass sie eine Einreisegenehmigung nicht erteilen würde. Ich glaube, das ist auch deswegen gerechtfertigt, weil hier andere Formen der Vernehmung von Herrn Snowden möglich sind. Das Europaparlament hat ihn entsprechend per Video meines Erachtens vernommen, der Europarat, der Rechtsausschuss des Europarats in Straßburg hat vor einigen Wochen auch eine Videoschalte mit ihm gemacht, das französische Parlament hat nach meinem Kenntnisstand auch einen Fragenkatalog ihm übersandt. Also es gibt auch andere Möglichkeiten, Herrn Snowden dazu zu befragen, was er zum Sachverhalt auszusagen hat, und von daher...
    Klein: Herr Hardt, lassen Sie mich dort noch mal einhaken. Können Sie gar nicht verstehen, dass es ein breites Bedürfnis hierzulande gibt, denjenigen direkt zu hören, dem wir diese Informationen zu verdanken haben?
    Hardt: Das breite Bedürfnis ist voll nachvollziehbar. Aber es gibt natürlich auch ein breites Bedürfnis in Deutschland, dass wir die Beziehungen zu den USA nicht durch eine solche Frage zusätzlich schwer belasten, was uns wiederum andere Nachteile und andere Schwierigkeiten bereiten würde, und ich glaube, die Bundesregierung, die ja auch die Verantwortung für die Außenpolitik trägt, hat hier in dem Gutachten, auch ohne das Problem inhaltlich zu verkleistern, klar gemacht, in der Abwägung sind wir der Meinung, zumal es die Möglichkeit der Vernehmung Snowdens auf andere Weise gibt, dass wir ihm die Einreise nicht gewähren wollen.
    Klein: Aber Umfragen sagen doch gerade, Herr Hardt, dass ein großes Misstrauen in der Bevölkerung unter anderem auch deswegen herrscht, weil es jetzt zum Beispiel zu keiner direkten Vernehmung Snowdens kommen wird und man den Eindruck hat, dass die Aufklärung der ganzen Affäre irgendwie stecken geblieben ist.
    Hardt: Der Untersuchungsausschuss will sich ja der Frage widmen, wie die Rechte der Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik Deutschland im Blick auf ihre Daten besser geschützt werden können. Und da ist die Frage, was Herr Snowden dazu beitragen kann, allenfalls ein Teilaspekt. Ich beklage an der Diskussion, wie wir sie jetzt führen, dass der NSA-Untersuchungsausschuss zu einem reinen Snowden-Vernehmungsausschuss geworden ist. Ich glaube im Übrigen, dass andere möglicherweise viel mehr dazu beitragen könnten, und deswegen würde ich eigentlich doch gerne eine Bewertung dieses NSA-Untersuchungsausschusses zum Ende der Beratungen vornehmen, und ich glaube, auch die deutsche Öffentlichkeit wird vielleicht im Laufe des Prozesses dieser Untersuchung im NSA-Untersuchungsausschuss zu dem Ergebnis kommen, dass es auch ohne Snowden konkret in Berlin zu vernehmen ein gutes Ergebnis gegeben hat.
    Klein: Aber was Edward Snowden noch genau zu sagen hätte, das wird man ja erst erfahren, wenn man ihn wirklich befragt. Das heißt, man könnte ja das durchaus anstreben. Was würde denn drohen für das transatlantische Verhältnis, wenn man Edward Snowden direkt befragen würde?
    Hardt: Zunächst einmal sind alle politischen Parteien im Ausschuss der Meinung, dass er befragt werden soll. Ich habe ja dargelegt, es gibt verschiedene Formen. Es geht um die Frage, ob er in Deutschland hier vor dem Untersuchungsausschuss persönlich erscheinen soll. Wenn er nach Deutschland einreisen würde, müsste die Bundesrepublik Deutschland zunächst einmal vermutlich gegen die Passhoheit der Vereinigten Staaten verstoßen, denn er hat ja keine gültigen Reisepapiere. Das heißt, wir müssten Ersatzpapiere ausstellen. Damit verletzen wir die Passhoheit der USA. Das wäre schon mal der erste Punkt, der in Amerika sauer aufstoßen würde.
    Und zum zweiten: Wenn er dann hier wäre, müssten wir uns die Frage stellen, wird er denn entsprechend des Auslieferungsgesuches der Amerikaner vom Sommer letzten Jahres dann auch tatsächlich ausgeliefert, oder lassen wir ihn anschließend zurückgehen an einen Ort seiner Wahl. Und diese Frage wird ja möglicherweise auch gar nicht von der Bundesregierung zu entscheiden sein, sondern das wird ja dann ein Richter in einem Gericht hier zum Beispiel in Berlin entscheiden müssen, und das wird völlig neue Implikationen aufwerfen, die vielleicht auch nicht im Interesse von Herrn Snowden sind. Von daher, glaube ich, ist die Entscheidung klug zu sagen, man rät dem Untersuchungsausschuss, die Vernehmung nicht in Deutschland durchzuführen, sondern anders.
    Klein: Was, wenn der Untersuchungsausschuss das doch heute beantragt und möglicherweise die ganze Frage vor dem Bundesverfassungsgericht entscheiden lassen wird?
    Hardt: Dann muss das Bundesverfassungsgericht entscheiden und es muss sich natürlich die Koalition die Frage stellen, warum man in der Frage nicht einstimmig abgestimmt hat. Ich bin schon der Meinung, dass die Koalitionsfraktionen auf der Basis eines Gutachtens der Koalitionsregierung auch zu einem gemeinsamen Ergebnis kommen werden. Ich bin im Übrigen sicher, dass das auch am Ende des Tages so sein wird.
    Klein: Sie sind als Koordinator auch in der Rolle eines Vermittlers, Herr Hardt, in der Rolle desjenigen, der auf beiden Seiten des Atlantiks um Verständnis werben muss. Was hat da für Sie im Augenblick Vorrang?
    Hardt: Ich glaube, dass wir das NSA-Thema oder die Frage generell, wie wir in den unterschiedlichen Kulturen, Nordamerika einerseits und Europa andererseits, mit persönlichen Daten umgehen im Verhältnis zum Staat, dass wir das aufarbeiten müssen. Es gibt ja den Cyber-Dialog, den die beiden Außenminister Kerry und Steinmeier verabredet haben. Der startet im Juni und ich finde es gut, dass der amerikanische Präsident sich klar hinter diesen sogenannten Cyber-Dialog, wo wir ausloten, was möglicherweise Basis für gemeinsame Vereinbarungen zum Thema Datenschutz sein könnte, dass er sich da dahintergestellt hat. Das hat er in seiner Pressekonferenz klar gesagt. Das ist ein konkretes greifbares Ergebnis auch des Kanzlerbesuchs gewesen. Und ich glaube auch, dass das der einzige Weg ist, zurande zu kommen, denn die Amerikaner haben grundsätzlich wesentlich weniger Probleme damit, dass der Staat Daten, private Daten seiner Bürger sammelt und nach klaren gesetzlichen Regeln auswertet.
    Klein: Und die Frage an Sie wäre jetzt in der Rolle des Koordinators: Wer muss da eher umdenken, die Amerikaner, für die der Datenschutz nicht den gleichen Stellenwert hat wie hier in Deutschland, oder die Deutschen, bei denen die ganze Diskussion über die Frage, was nützt eigentlich diese Überwachung, welchen Schutz vor Terror bietet das, ganz anders gesehen wird?
    Hardt: Ganz klar ist natürlich meine Auffassung, dass die europäische Sicht der Dinge diejenige ist, die im 21. Jahrhundert Bahn brechen, den Weg finden sollte. Aber es ist natürlich so, dass wir die amerikanische Öffentlichkeit überzeugen müssen, damit wir die amerikanischen Politiker in dieser Frage auch auf unsere Seite bekommen, und das ist ein Prozess, der wird über Monate und Jahre gehen. Ich habe gerade das Stichwort genannt, dieser Cyber-Dialog ist ein wichtiger Baustein darin. Und wenn wir dann am Ende des Tages feststellen, dass man auch in Amerika der Meinung ist, dass man etwas ändern muss, dann, glaube ich, haben wir eine Basis auch für gemeinsame Vereinbarungen. Im Augenblick sehe ich das nicht, dass ein amerikanischer Kongressabgeordneter umfassende Zusagen gegenüber den Europäern im Blick auf Datenschutz macht, wo der amerikanische Bürger sagt, was habe ich als amerikanischer Staatsbürger davon, dass mein Abgeordneter das im Kongress so beschließt.
    Klein: Sie haben den Cyber-Dialog angesprochen als ein Ergebnis der Reise der Kanzlerin nach Washington vergangene Woche. Sie haben sie ja dorthin auch begleitet. Aber wirklich konkrete Zusagen, was andere Wünsche der deutschen Regierung angeht, zum Beispiel, was ein No-Spy-Abkommen angeht, auch andere Erklärungen, was die ganze Überwachung betrifft, hat es nicht gegeben. Kann man damit wirklich zufrieden sein?
    Hardt: Ich hätte mir schon gewünscht, dass die amerikanische Seite deutlichere Signale der Vertrauensbildung sendet. Das geht jetzt nicht so sehr um die Frage NSA, da gibt es unterschiedliche Rechtskulturen, sondern da ging es konkret um die Frage des Abhörens von Telefonen der Kanzlerin und möglicherweise anderer Personen in Deutschland. Da hätte ich mir ein stärkeres vertrauensbildendes öffentliches Signal auch gewünscht. Ich weiß nicht, ob es solche Signale ohne Öffentlichkeit an die Kanzlerin gegeben hat, aber es war klug von der Bundeskanzlerin, dieses Thema nicht zum Kill-Argument für gute Zusammenarbeit mit den Amerikanern zu machen, denn es gibt wirklich Fragen, die wir gemeinsam zu regeln haben, die von vitaler Bedeutung für uns hier in Deutschland und Europa sind und die dadurch nicht belastet werden sollten. Aber ich glaube, dass das auf der Tagesordnung der deutsch-amerikanischen Beziehungen auch auf höchster Ebene bleibt, dass das wechselseitige Abhören von Handys von Regierungsmitgliedern ein absolutes No-Go ist.
    Klein: Bleibt auf der Tagesordnung, Herr Hardt. Für viele hier hat sich offenbar der Eindruck eingestellt, das Ganze war eher eine Verbeugung vor Obama, vor der Regierung in Washington, und die Bundesregierung hätte dort gerade auch letzte Woche theoretisch ihre Haltung viel deutlicher machen können und sollen. Ein Abhören unter Freunden, das geht gar nicht, diesen O-Ton haben wir nicht mehr gehört von Frau Merkel.
    US-Präsident Barack Obama und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sprechen am 02.05.2014 nach einem Treffen auf einer Pressekonferenz im Rosengarten des Weißen Hauses in Washington (USA) zu den Medienvertretern.
    Obama kündigte bei einem Treffen mit der Kanzlerin Rechtsänderungen an. (dpa picture alliance / Kay Nietfeld)
    Hardt: Ja, sie hat ihr Wort dazu gemacht. Obama hat gesagt, Angela, Dein Handy wird nicht mehr abgehört. Mehr ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt an wechselseitiger Zusage nicht zu erreichen. Der amerikanische Präsident hat ja angekündigt eine Rechtsänderung, was den Datenschutz angeht. Allerdings sind wir der Meinung, dass die Interessen ausländischer Staatsbürger nicht in dem Maße mit einbezogen sind in diese beabsichtigten Gesetzesänderungen, wie das für amerikanische Staatsbürger gilt. Das ist sicherlich ein Thema, was ganz konkret im Juni im Cyber-Dialog auch auf den Tisch muss.Klein: Jürgen Hardt, der neue Koordinator im Auswärtigen Amt für die transatlantischen Beziehungen, heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Hardt.Hardt: Ja danke schön, Frau Klein.Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.