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Null Meter in 105 Tagen

Raumfahrt. - Der Weg zum Mars ist lang und einsam, und er führt über Moskau: Dort simulieren sechs Astronauten eine bemannte Mission zum Mars. "Mars 500" heißt das Langzeitisolationsprojekt, an dem die europäische Raumfahrtagentur Esa, das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt und die russische Raumfahrtbehörde Rosskosmos beteiligt sind. Der Start der simulierten Mars-Mission fand am Moskauer Institut für biomedizinische Probleme statt.

Von Erik Albrecht |
    "Die Mannschaft des Experiments Mars 105 ist bereit zum Start."

    Rapport des Kommandanten der Mars-Expedition vor dem Aufbruch in die Isolation. Kurz darauf schreiten die sechs Astronauten in ihren blauen Overalls durch eine schwere Eisentür in ihr neues Zuhause für die kommenden 105 Tage. Bewegungsmangel, Veränderung des Biorhythmus und Langeweile sind nur einige der Herausforderungen, die sie in dem Experiment erwarten.

    Zwar konnten Forscher bereits auf der Internationalen Raumstation ISS gut den Effekt der Schwerelosigkeit auf Raumfahrer untersuchen, doch wichtige Erkenntnisse über die Auswirkungen von Isolation und Bewegungsmangel auf Körper und Psyche der Astronauten fehlen ihnen noch. Dafür seien die Bedingungen beim dem Moskauer Mars-Projekt gut, sagt Martin Zell von der Esa.

    "Diese Studie zielt auf einen Langzeitflug ab, in Verbindung mit Isolationsbedingungen, wo die gleiche Crew in einem relativ engen Raum für einige Monate zusammen ist, ohne dass sie allzu viel zu tun hat. Auf der ISS sind die Bedingungen signifikant anders. Man hat sehr viel zu tun, die Abwechslung ist sehr groß. Es kommen neue Transportvehikel, neue Crews, so dass die Interaktion auch mit dem Boden deutlich anders ist."

    Statt zahlreicher Experimente wie auf der ISS wird für künftige Mars-Fahrer vor allem warten angesagt sein. Immerhin dauert ein Flug zum Roten Planeten und zurück etwa 520 Tage. Die gesamte Reise - inklusive eines 30-tägigen simulierten Aufenthalts auf der Marsoberfläche - wollen die Forscher jedoch erst in der nächsten Etappe des Experiments nachspielen. Die soll Ende des Jahres starten. Während der jetzigen 105 Tage Isolation soll der Versuchaufbau noch weiter optimiert werden.

    Unter Applaus schließt sich die Verbindung zur Außenwelt. Von nun an wird die Crew nur noch über Funk mit der Bodenstation kommunizieren. Und das unter erschwerten Bedingungen: 50 bis 100 Millionen Kilometer ist der Mars je nach Position auf der Umlaufbahn von der Erde entfernt. Bis zu 20 Minuten braucht deshalb ein Funkspruch von der Bodenstation zur Raumkapsel. Auch im Moskauer Experiment. Ein spezielles Email-System dient zum Informationsaustausch. Igor Uschakow, Direktor des Instituts für biomedizinische Probleme, erhofft sich Aufschluss darüber, was der ständige Mangel an Informationen in den Weiten des Weltraums für die Crew bedeutet:

    "Der Mensch spielt die kompliziertesten Varianten durch, wenn ihm Informationen vorenthalten werden. Deshalb erwarten wir bestimmte emotionale Veränderungen. Die werden wir untersuchen und daraus Methoden entwickeln, um solchen Stimmungstiefs in zukünftigen Experimenten aber auch bei richtigen Flügen vorzubeugen."

    Der simulierte Marsflug spielt sich in drei Modulen ab: Holzvertäfelte, fensterlose Röhren zum Leben, Schlafen und für medizinische Untersuchungen. Schlaf- und Wachrhythmen sind wie auf dem Flug zum Mars rein künstlich. Die Crew muss sich also entsprechend anpassen, so Martin Zell:

    "Es gibt ein spezielles Experiment dafür, das mit einem blauen Licht mit einer speziellen Wellenlänge hier agiert, um damit die Stimulierung des menschlichen Körpers in Bezug auf Hormonhaushalt und auch auf die Leistungsfähigkeit zu untersuchen."

    Neben Schlafstudien wollen die Forscher der Esa, des DLR und von Roskosmos auch die Auswirkungen von Isolation und Bewegungsmangel auf Knochen, Herz-Kreislauf- und Immunsystem untersuchen. 15 Millionen Euro ist ihnen die Studie wert, zwei Millionen kommen von Esa und DLR. An den sechs Astronauten - vier Russen und jeweils ein Deutscher und ein Franzose - interessieren die deutschen Forscher vor allem die Folgen des Bewegungsmangels auf den Knochenaufbau. Ein Team von der Uni Erlangen will zudem untersuchen, ob zuviel Kochsalz den Blutdruck hochtreibt. Mars 500 bietet dafür Bedingungen, die in klinischen Versuchen nie erreicht werden können, so Rolf Densing vom DLR:

    "Die Probanden in der Isolationszelle sind ja einer perfekten Kontrolle ausgesetzt. Die Wissenschaftler können sehen, was an Nahrung reingeht und was an Nahrung raus geht. Das ist das perfekte Labor für einen Wissenschaftler. Andere besondere Bedingungen der Isolation sind, dass man Stress in Korrelation zum Blutdruck sehen kann."

    Insgesamt werden die Probanden über 100 Experimente durchführen, bis sich die Tür zum perfekten Labor am 14. Juli wieder öffnet.