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Oben glauben sie an Gott

Im bolivianischen Potosi suchen die Menschen bereits seit vielen vielen Generationen nach Metallen. Von Boom und Euphorie sprechen die Menschen hier allerdings schon lange nicht mehr.

Von Stephan Beuting |
    "Das ist eines der interessantesten Bilder des Hauses de la moneda, das ist eine Maria Himmelfahrt aber merkwürdigerweise, das ist auch der Berg von Potosí."

    In dem abgedunkelten, kühlen Zimmer der Casa de la moneda finden Touristen Zuflucht vor der Mittagshitze. Mit ausgestrecktem Arm erklärt der Bolivianer, Reiseführer und Geschichtswissenschaftler Agustin Echalar ein großformatiges Heiligenbild. Hier, in der ehemaligen königlichen Schatzkammer und Börse von Potosí, hängt sie, Maria, in einer für das Auge zunächst einmal ganz ungewöhnlichen, wenig vorteilhaften Darstellung. Der untere Teil ihres Körpers ist ganz aufgebläht und überproportional groß.

    "Und dieser Berg ist in dem Moment auch ein heiliger Berg geworden."

    Maria steht Pate für die Ausbeutung von Mensch und Erde. Die großen Schätze, die gefährliche und harte Arbeit, sie haben die Mythenbildung beflügelt.

    "Was man auch sehen kann, ist die Geschichte zur Entdeckung des Potosi Berges. Als er das Feuer gemacht hat, hat das Feuer das Silber geschmolzen hat und so wurde dieses Silber entdeckt."

    immer weiter kraxelt der Kleinbus, die steilen staubigen Serpentinen hinauf, der Motor kämpft und scheint zwischenzeitlich nach Luft zu schnappen. Ganz ähnlich den Minenbesuchern, die in 4.200 Meter Höhe konzentriert nach den verbleibenden Sauerstoffteilchen atmen.

    Ein Förderband häuft kleine Steinhügel, mit einer motorgetriebenen Winde fördern zwei Bergarbeiter Erzgestein aus einem senkrechten Schacht ans Licht.

    Cerro Rico, heißt er, der begüterte, gehaltreiche Berg: geht es so weiter, könnten die Zuschreibungen schon bald der Vergangenheit angehören. Seit mehr als 400 Jahren wird schließlich Silber aus dem Berg geholt, auch die Zink- und Zinnmengen, die die Mineros dem Berg abtrotzen können, sinken. Das, was noch da ist, vermuten Geologen vor allem in der Spitze des Berges.

    "Gipfelabbau: Der Berg ist mitlerweile wie ein Schweizer Käse."

    Und ob man ihn nicht ganz abtragen könne.

    "Aber im Moment ist er ein Symbol Südamerikas und das wird respektiert."

    Der Marien-Kult, der seit mehr als 300 Jahren den Abbau legitimiert, hilft heute als Argument gegen den Gipfelabbau. Überhaupt haben die Minenarbeiter in Potosí gelernt, dass ihr Berg, ihre Geschichte ein Rohstoff sind, der anders als die Metalle im Berg nicht zuneige zu gehen scheint.

    Dort drüben sei unser Eingang in den Berg. Mit ausgestrecktem Arm deutet Freddy Silver zu einer Stollenöffnung. Für jeden von uns gibt es grau-braune-Leinenanzüge und Gummistiefel gegen den Schmutz, auf den Kopf setzen wir Helm und Grubenlampe. An Freddys Overall ist kaum Dreck, früher schürfte er hier mit seinen Kollegen nach Metall, heute führt er Touristen.

    Gebückt betreten wir einen horizontalen Stollen, die Bewetterungsmaschine, die für etwas frischere Luft in den Gängen sorgen soll, lassen wir langsam hinter uns, gehen unter dem Querbalken durch und dann immer weiter, tief hinein in den heiligen Berg.

    "Atencion al la capeza!"

    A lado, ruft ein Bergmann von hinten, also "auf die Seite", wir quetschen uns an die Wand, kurz bevor zwei Männer eine Lore polternd auf uns zuschieben. Der Gang ist zu eng, in letzter Sekunde kann ich mich in eine Felsnische reinpressen. Ein leerer, etwa eine halbe Tonne schwerer Wagon zieht nur wenige Zentimeter an meiner Nase vorbei.

    Nach 500 Metern führt uns Freddy Silver in einen Nebenstollen, darin, ein kleiner Raum, nicht mehr als zweimaldrei Meter groß. An der rückseitigen Wand sitzen zwei Figuren, aus großen Augen glotzen sie uns an, auf ihren roten unförmigen Fratzen strubeliges Haar, ungepflegter Bart, ihre Backen sind vom Koka-Kauen ganz aufgebläht. Vor den Teufelsfiguren liegen Zigaretten, Kokablätter und Schnapsflaschen.

    "Der Tio ist ganz wichtig, er repräsentiert einen anderen Chef. Er ist der Herr des Silbers und aller Mineralien, er ist auch heilig und ihr Gott, denn es ist auch ihr Beschützer. Alle Arbeiter glauben an ihn. Freitags kommen die Mineros hierher, nach der Arbeit, versammeln sich so, wie wir das jetzt tun, und geben ihm Zigarren, Koka und Alkohol.
    In jeder Mine gibt es ein, zwei oder drei Teufel, er hat einen großen Penis, und das bedeutet Fruchtbarkeit."

    Die Teufel sind noch jung, etwa 25 Jahre alt. Modelliert aus feuchtem Erdreich, dann getrocknet, rot angestrichen.

    "Alle Teufel ähneln den alten Spaniern, mit dem Bart, große Augen, sie sehen das Silber, dass es hier gegeben hat, reißen die Augen auf."

    In dem kleinen Gewölbe wird es langsam stickig, als Freddy mit einem Feuerzeug eine Zigarette für den Tio entzündet, atmen einige scharf ein. Glücklicherweise keine explosive Konzentration von Grubengas.

    "No es peligroso fumar aqui, no amigo!"

    "Die Mineros sind Polytheisten. Mehr als 95 Prozent der Bolivianer sind Katholiken, aber hier in den Minen ist es etwas anders. Morgens gehen die Mineros hier her, und dann ändern sie ihre Religion. Denn der Tio ist ihr Beschützer. Dann gehen sie nach oben, dann sind sie Katholiken, man sagt, Gott hat den Himmel, aber unter der Erde regiert der Teufel."

    Weder Gott noch Teufel verhindern, dass es in der Mine viele schwere Unfälle gibt. Pro Jahr sterben in etwa 12 bis 15 Menschen im Cerro Rico, meist unter Alkoholeinfluss. Wer davon verschont bleibt, bekommt oft nach einigen Jahren als Bergmann die Staublunge.

    Von den Bolivianos, die wir für die Führung bezahlen, soll auch ein Teil an die Minenarbeiter gehen. Das ändert aber nichts daran, dass ihre Existenz eng an die Entwicklung der weltweiten Preise für Zinn und Zink gebunden ist. Im Moment stehen diese hoch, ein Arbeiter verdient je nach Stellung 50-80 Bolivianos, also etwa fünf bis acht Euro pro Tag, Mitglieder der Kooperative werden anteilig danach bezahlt, was die Mine abwirft.

    Wie schwer sich die Bergbauregion aber mit der Gestaltung einer nachhaltigen Zukunft tut, zeigt der internationale Flughafen Potosí. Eine Rollbahn, eine Abfertigungshalle, aber: kein Flugzeug, kein Fluggast. Die massenhafte touristische Erschließung der kleinen Stadt, die Anknüpfung an die glorreichen Zeiten im 17. Jahrhundert, ebenso wie die letzten Silberadern im Berg, ist der Weg dorthin für die Menschen in Potosí verborgen und schwer zu finden.