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Öcalans Schatten

Etwa 700.000 Kurden leben in Deutschland. Viele setzen große Hoffnung auf einen Friedensprozess in der Türkei. Nicht alle sehen dabei aber in dem inhaftierten PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan den alleinigen Heilsbringer.

Von Dorothea Jung | 18.04.2013
    Am vergangenen Sonntag im Berliner Veranstaltungszentrum Tempodrom. Die Bühne ist mit Luftballongirlanden und Papierblüten in den kurdischen Nationalfarben rot-gelb-grün geschmückt. Vor einem überlebensgroßen Porträts Abdullah Öcalans wiegen sich zwei kurdische Sängerinnen im Takt der Musik.

    Die Zahl der in Deutschland lebenden Kurden wird auf 700.000 geschätzt, etwa 6000 von ihnen haben sich hier in Berlin versammelt und feiern den PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan, den hier alle "Apo" nennen; das heißt "Onkel".

    "Biji, Serok Apo!" - "Es lebe der Anführer Apo!" - skandiert die Menge. In einem kleinen Raum des Veranstaltungszentrums diskutieren Berliner Kurden mit einem Abgeordneten der türkischen Kurdenpartei BDP – dem legalen Arm der verbotenen PKK. "Sie wollen wissen, ob der Frieden eine Chance hat", sagt Nikolaus Brauns, der wissenschaftlicher Mitarbeiter der linken Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke, die für eine Aufhebung des auch in Deutschland gültigen PKK-Verbots eintritt:

    "Einerseits ist auch unter den Kurden in Deutschland der Wunsch nach Frieden in ihrer ehemaligen Heimat sehr, sehr stark, weil es ganz konkret eben um Verwandte, um Freunde geht, die noch in den Gefängnissen sind, die rauskommen sollen. Weil es um Cousins, um Onkel, um Cousinen geht, die bei der Guerilla in den Bergen sind und auch einmal in einen zivilen Beruf zurückkehren wollen. Aber auch den Kurden hier in Deutschland ist klar, dass es hier natürlich unterschiedliche Interessen gibt zwischen Erdogan und Öcalan."

    Nach Auffassung der PKK-Anhänger in Deutschland will Erdogan keine Lösung der kurdischen Frage, sondern Ruhe vor seinem Wahlkampf zur Präsidentschaft. Aber auch Kurden, die in der PKK – wie die Sicherheitsbehörden – eine Terrororganisation sehen und ihre Geldbeschaffungsmethoden wie Drogenhandel und Schutzgelderpressung kritisieren, sind skeptisch. Der Journalist Fayad Osman, nach eigenem Bekunden kein PKK-Anhänger, glaubt, dass Erdogan mit der Unterstützung der kurdischen Abgeordneten im Parlament rechnet, wenn er den Kurden mehr Autonomie gewährt. "Viele Kurden in Deutschland befürchten aber, dass Erdogan sich nicht an seine Zusagen halten wird", sagt Fayad Osman:

    "Viele sind der Meinung, Erdogan, türkische Regierung, hat schlechte Absichten mit den Kurden, spielt mit den Kurden. Sie sagen: Es gibt keine Garantie. Man verlangt Waffenniederlegung. Diese Waffenniederlegung ist tödlich, ist Selbstmord. Sie sagen: Man soll im Dialog klare Forderungen festlegen. Damit man nicht enttäuscht wird, nicht reingelegt wird."

    In den vergangenen Jahren war es auch in Deutschland immer wieder zu Gewaltaktionen gekommen, wenn kurdische Einwohner sich vom türkischen Staat betrogen gefühlt hatten. Nach Angaben des Bundesamtes für Verfassungsschutz gehören etwa 13.000 Kurden zum gewaltbereiten PKK-Spektrum. In den vergangenen Monaten sei die Lage aber sehr unauffällig, sagte eine Sprecherin der Behörde.

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    Ganz gleich, ob PKK-Anhänger oder nicht: Alle Kurden in Deutschland registrieren, dass sich in jüngster Zeit die politischen Rahmenbedingungen im Nahen Osten verschieben. Der Frieden in der kurdischen Welt wird nicht allein in der Türkei entschieden, gibt Fevzi Aktas zu bedenken. Er ist der Vorsitzende des Kurdistan Kultur- und Hilfsvereins Komkar in Berlin und ein erklärter PKK-Gegner. Fevzi Aktas glaubt, dass sowohl Öcalans Friedensappell als auch die anstehenden Friedensgespräche allein vom türkischen Geheimdienst verantwortet werden:

    "Ein Mann, Staatsfeind Nummer eins in einem Gefängnis, verhandelt mit dem türkischen Staat. Entweder muss man blind sein und nicht wissen, was der türkische Staat ist. Oder man muss blind sein, was Öcalan ist. Also diese Äußerungen, diese Briefe, die von Öcalan geschrieben worden sein sollen, sind eigentlich für uns vom türkischen Staat diktiert worden."

    Fevzi Aktas kritisiert, dass viele Kurden in Deutschland ihr Heil allein in Öcalan sehen und dass der inhaftierte PKK-Führer als die zentrale Friedensfigur betrachtet wird, während die PKK-Führung außerhalb des Gefängnisses nicht den Mut hat, Verantwortung zu übernehmen.

    Doch trotz all dieser Kritik begrüßt der Berliner Kurde den Appell. 30 Jahre Krieg, das heißt 40.000 Tote, 4000 zerstörte Dörfer. Das heißt traumatisierte Familien und ein Alltag voller Angst und Misstrauen. "30 Jahre sind genug", sagt er. Es sei an der Zeit, dass sich etwas ändert.

    *Aufgrund der falschen Interpretation eines Gesprächs durch die Autorin musste eine Passage des Berichtes entfernt werden.