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Ökosysteme vor der Umwälzung

Ozeanographie. - Die Weltmeere werden immer saurer. Um insgesamt ein Viertel nahm der Säuregrad des Ozeanwassers seit Beginn der Industrialisierung zu, weil sich gewaltige Mengen Kohlendioxid in ihm lösen. Was dieses chemische Faktum für die Ökosysteme bedeuten wird, erforschen Wissenschaftler erst. Ein Blick in die Erdvergangenheit und an besondere Stellen im Weltmeer hilft bei der Prognose.

Von Dagmar Röhrlich | 30.12.2011
    Je mehr Kohlendioxid der Mensch in die Luft bläst, desto saurer werden die Meere. Das ist simple Chemie und lässt sich einfach berechnen. In solchen Ozeanen dürften vor allem Lebewesen, die Kalk beim Bau ihrer Körper einsetzen, Probleme bekommen. Die Frage ist, wie groß diese Probleme sein werden, erklärt Adina Paytan von der University of California in Santa Cruz. Weil Laboratorien und Modellrechnungen nur erste Hinweise geben, hat sie mit ihrem Team eine Art natürliches "Labor" besucht:

    "Wir hatten die Möglichkeit, in Mexiko ein besonderes Riff zu untersuchen. Dort schwanken die chemischen Bedingungen stark, weil an einigen Stellen Grundwasser mit einem niedrigen pH-Wert aus dem Meeresboden quillt. Wir haben uns in diesem Ökosystem die Artenvielfalt angeschaut, welche Korallen dort wie schnell wachsen und wie viele Korallen es gibt."

    Mit sinkendem pH-Wert gingen die Korallenkolonien zurück, auch die Artenvielfalt nahm ab. Paytan:

    "Zu unserer Überraschung fanden wir aber drei Korallenarten, die in diesem Riff auch dort leben konnten, wo das Meerwasser einen niedrigen pH-Wert hat. Die Korallen werden also nicht gänzlich vom Planeten verschwinden. Allerdings bauen diese unempfindlicheren Arten keine Riffe, so dass ein sehr saurer Ozean einen gewaltigen Einfluss auf Strukturen wie das Große Barriereriff vor Australien mit seine vielfältigen Lebensräumen haben könnte. Wenn unsere Daten repräsentativ sind, könnten an die Stelle der großen Riffe kleine, artenarme, wie Flickenteppiche verteilte Kolonien treten."

    Wo die sauren Quellen in diesem Riff den pH-Wert sinken lassen, wachsen die widerstandsfähigen Arten langsamer, bauen schwächere Skelette auf, sind also zerbrechlicher als ihre Artgenossen in unbeeinflussten Riffzonen. Die Biogeochemikerin Adina Paytan beschäftigt sich mit einem modernen Riff, das sich durch ungewöhnliche Rahmenbedingungen in Teilen sozusagen bereits in einem saureren Zukunftsozean befindet. Der Geologe Robert Riding von der University of Tennessee schaut hingegen in die Erdgeschichte, um die kommenden Entwicklungen abschätzen zu können:

    "Wir haben in ein Riff vor Tahiti gebohrt und dabei Bohrkerne gezogen, die bis zu 15.000 Jahre weit zurückreichen. Damals waren Stromatolithen Teil dieses Riff-Ökosystems. Stromatolithen sind kalkabscheidende Bakterien, die - anders als Korallen beispielsweise - ihre Kalkabscheidung überhaupt nicht kontrollieren können. Ihr Verhalten ist einfacher zu interpretieren. Die Stromatolithen bauten dicke Bakterienmatten auf, die das Riff und damit die Korallen vor Wellen und Stürmen schützten. Vor 12.000 Jahren nahmen diese Stromatolithen sehr stark ab."

    Im Lauf von 4000 Jahren wurden die Matten immer dünner und verschwanden schließlich vollkommen. Weil diese Veränderungen inzwischen auch an anderen Riffen beobachtet werden, muss es sich damals um ein globales Phänomen gehandelt haben. Riding:

    "Wir glauben, dass das Verschwinden dieser kalkabscheidenden Bakterien eine natürliche Meeresversauerung widerspiegelt, denn vor 12.000 Jahren begann die Kohlendioxidkonzentration in der Atmosphäre anzusteigen. Zwischen 10.000 und 8000 Jahren vor heute gab es einen steilen Anstieg des Kohlendioxids. Der senkte den pH-Wert des Meeres, und deshalb hatten es die Bakterien immer schwerer, Kalk zu produzieren."

    Schließlich verschwanden sie aus dem Ökosystem. Wenn sich die Beobachtungen aus Mexiko und Tahiti auf die kommenden Jahrzehnte übertragen lassen, dürfte sich der Lebensraum Riff mit sinkendem pH-Wert also stark verändern.