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Österreichische Literatur nach 1945. Ein Radioessay

"Was mich fasziniert hat, beim Durchschauen dieses Bildbandes ist, wie verheerend auf die Physis Kunst sich auswirkt."

Eva Schobel |
    So der Schriftsteller Robert Menasse im ersten Schreck nach einem flüchtigen Blick in den opulenten Foto-Band "Die österreichische Literatur nach 1945"

    "Wie ununterbrochen gutaussehende, attraktive, junge Menschen verwüstet werden nach einer bestimmten Zeit einer literarischen Karriere. Das hat mir schon zu denken gegeben."

    "The times they are a-changin" ist man versucht zu sagen, nicht nur Schriftsteller altern. Allerdings wird ihre Veränderung, wie die anderer Personen mehr oder weniger öffentlichen Interesses, penibler dokumentiert als die von sogenannten Normalsterblichen. Daß man diese Entwicklung retrospektiv wahrnehmen kann, liegt paradoxer Weise an der konservierenden Arbeit der Archive. Zehntausende Bilder haben die Herausgeber Christine Pfoser und Volker Kaukoreit, - er Mitarbeiter des österreichischen Literaturarchives , sie Mitarbeiterin des Wiener Literaturhauses - in zweieinhalbjähriger Recherche gesichtet. Selbstverständlich wurden auch die Bestände des deutschen Literaturarchivs Marbach durchforstet und darüber hinaus viele Fotos in privaten Beständen aufgestöbert. "Also der Anlaß zu dem Buch war recht kurios", berichtet Volker Kaukoreit, "ich saß im Literaturarchiv ....... Autor dessen Name ich kenne, aber dessen Gesicht ich nicht kenne ........ nicht nur Porträtfotos, sondern auch Schriftsteller in verschiedensten Kontexten zu zeigen."

    Daß wir uns kein Bild machen sollen heißt es schon in der Bibel. "Wenn wir kein Bild haben, machen wir uns eins", schreibt hingegen der österreichische Germanist Wendelin Schmidt-Dengler in seiner amüsant erhellenden Einleitung zur Bildrevue. Michel Foucaults "ethischen Grundprinzipien des heutigen Schreibens" folgend, hätte die Person des Schriftstellers lediglich durch Abwesenheit zu glänzen und im Text zu verschwinden. Doch ausgerechnet Samuel Beckett, der sich einerseits überhaupt nicht dafür interessieren wollte, wer in oder aus einem Text spricht, soll sich anderseits explizit dafür interessiert haben, wer Thomas Bernhard war. Eine sympathische Inkonsequenz, die auch ein Unterfangen wie dieses legitimiert.

    Mehr als ein Vierteljahrhundert umfaßt dieses literarische Bilderbuch. Schriftsteller in ihren Schreib- und Lebensräumen: Da sitzt Thomas Bernhard Mitte der Sechzigerjahre im Salzburger Cafe Bazar und lacht, ganz unpassend zu seinem ersten Roman "Frost", der das literarische Publikum zugleich begeistert und verstört hat, unverfroren fröhlich in die Kamera. Vielleicht ist er so froh, weil auf der benachbarten Druckseite die frischgebackene Büchnerpreisträgerin des Jahres 1964, Ingeborg Bachmann, unakademisch zerzaust, vom Winde verweht und so attraktiv wie sie nur sein konnte, zu ihm herüber zu lächeln scheint. Ein paar Jahre und Seiten später hält Thomas Bernhard, nun seinerseits mit dem Büchnerpreis geehrt, die obligatorische Dankesrede. Konterkariert wird dieses Foto aus dem Jahr 1970 durch eine Bernhardsche Beschimpfungstirade auf die Darmstädter Akademie aus dem Jahr 1979. Dort hieß es: "Seit Jahren habe ich mich nach dem Sinn dieser sogenannten Darmstädter Akademie gefragt und mir immer wieder sagen müssen, daß ein solcher Sinn doch nicht darin bestehen kann, daß eine Vereinigung, die letzten Endes doch nur aus dem kühlen Grunde der Selbstbespiegelung ihrer eitlen Mitglieder gegründet worden ist, jährlich zweimal zur Eigenbeweihräucherung zusammenkommt und da, nach vom Staat bezahlter teurer, weil Luxusanreise in guten Darmstädter Hotels großbürgerlich aufgetragene Speisen ißt und Getränke trinkt, um eine knappe Woche lang um ihren abgestandenen faden Literaturbrei herumzureden."

    Jenseits solcher Attacken sieht man den Autor auf derselben Druckseite friedlich in eine Zeitung vertieft, sowie sinnend in einer ungemähten Wiese stehen. Vielleicht guckt er aber auch mit interesselosem Wohlgefallen auf Peter Handke, der in seiner Blickrichtung den Fußball über kurz geschnittenen Rasen kickt. Daneben das Cover der Originalausgabe zu "Die Angst des Tormanns beim Elfmeter"

    Thomas Bernhard, geboren 1925, gestorben 1989, ein Einzelgänger wie er leibte und lebte. Mehr neben ihm als um ihn, die anderen großen Alten der österreichischen Literatur. Wie unglaublich jung die Klassiker von heute damals waren, da hat Robert Menasse schon recht. Ernst Jandl und Friederike Mayröcker in den Fünfziger Jahre entspannt und kein bißchen angekränkelt von der Blässe der Sprachkritik in ihren Liegestühlen, Ilse Aichinger und Ingeborg Bachmann inmitten der rundherum juvenilen Gruppe 47, H.C. Artmann 1957 im "Intimen Theater" bei der einzigen gemeinsamen Lesung der legendären "Wiener Gruppe", die es nach seiner bescheidenen Meinung nie wirklich gegeben hat. Kritisch-übermütige Menschen, die schreiben, weil sie wollen, weil sie müssen, weil sie nichts anderes gelernt haben, weil sie arm sind, weil sie der muffigen Welt des restaurativen Wiederaufbaus ihre schöpferische Kraft entgegensetzen wollen. Wie würdig, mit einem lebendigen Werk altern und wenn es sein muß, sterben zu können. Wie fragwürdig, ewig alterslos und opportunistisch die historischen Katastrophen zu überstehen:

    "In der Tat brauchen wir nur dort fortzusetzen, wo uns die Träume eines Irren unterbrochen haben, in der Tat brauchen wir nicht voraus-, sondern nur zurückzublicken."

    Also sprach Lernet Holenia, erster Präsident des österreichischen PEN-Clubs, eine stramm-elegante Verkörperung dieser geschichtslosen Worte. In der Tat, im Österreich nach 1945 hatten zuerst einmal erst recht wieder diejenigen Schriftsteller und Kulturfunktionäre das Sagen, die schon vor dem Krieg da waren und ihre Karrieren in und nach der Zeit des Nationalsozialismus bruchlos fortsetzen konnten, als wäre nichts geschehen. In seinem Beitrag "Tradition und Kontinuität, wie man es schafft sein eigener Nachfolger zu werden" widmet sich der Klagenfurter Germanist Klaus Amman den Anpassungskünsterln unter den Autoren - "men for all seasons" - wie Karl Heinrich Waggerl, Bruno Brehm oder Rudolf Henz. Es war nicht leicht für die damals junge, heute zum Teil bereits verstorbene Generation, sich gegen die immerpräsenten Altvorderen durchzusetzen.

    Ernst Jandl mit seinem 1962 verfaßten Gedicht "Heldenplatz". Einer von vielen Versuchen auf die Versuchung kollektiven Vergessens zu reagieren. Früher waren da auch schon Ilse Aichinger, mit ihrem 1947 publizierten legendären "Aufruf zum Mißtrauen", Ingeborg Bachmann mit der "gestundeten Zeit" und Otto Basil mit seinem Magazin "Der Plan", der sowohl Opfern des Nationalsozialismus als auch jungen Autoren ein Forum gab. Doch da wären - das macht dieser Bildband auf eindringliche Weise bewußt - noch viele andere gewesen. Zum Beispiel der zu früh verstorbene Herbert Zand, der im kulturpolitischen Klima der jungen 2. Republik kaum bekannt wurde oder der aus der Emigration zurückgekehrte, langlebige Albert Drach, der damals überhaupt nicht publizieren konnte, aber 40 Jahre später mit dem Büchner-Pre is geehrt wurde. Trotz dieser späten Ehre erinnert er sich noch im Jahr 1990 nicht ohne Bitterkeit an die vergeblichenVersuche nach seiner Rückkehr einen Verlag für den in der Emigration entstandenen Roman "Das große Protokoll gegen Zwetschkenbaum" zu finden. Da darf es nicht verwundern, wenn ihm der Name der Verlegerin, die im Biederstein-Verlag später Heimito von Doderer herausbringen würde, partout nicht mehr exakt einfallen will

    Albert Drach, einer der Vertriebenen, die nach 1945 ungebeten in ihre österreichische Heimat zurückgekehrt sind. Niemand hat ihn und andere aufgefordert zurückzukommen, viele sind für immer weggeblieben, manche, wie Erich Fried, haben vom Emigrationsland aus wieder intensiven Kontakt mit der alten Heimat aufgenommen. Doch - auch das dokumentiert dieser Band auf eindrucksvolle Weise - das vom Ständestaat über die Hitlerdiktatur in die Nachkriegszeit hinein restaurierte Glashausklima hatte a la longue keine Zukunft. Kapitelüberschriften mit Titeln von Handke, Haslinger, Menasse und Jonke markieren inhaltlich und atmosphärisch die weiteren Entwicklungsstufen bis zur Gegenwart: "Publikumsbeschimpfung" (1966-1973), "Politik der Gefühle " (1974-1989), "Schubumkehr" (1990-95) und Stoffgewitter (1996-99). Eingebettet in eine chronologische Grundstruktur, entfaltet sich das literarische Leben Österreichs nach 1945 personell, thematisch und geographisch im Neben- und Gegeneinander konkurrierender Strömungen. 840 Bilder haben die Herausgeber mit oft subtil pfiffigen Kommentaren und signifikanten Textzitaten arrangiert, fundierte Kurzessays beleuchten die assoziativ miteinander verknüpften Fotografien. Viele davon bleiben im Augenhintergrund hängen:

    Friedrich Achleitner mit Friederike Mayröcker im Literatencafé Hawelka, Albert Drach mit seiner Frau Gerty auf dem Eislaufplatz. H.C.Artmann und Gustav Peichl beißen in je eine Burenwurst, Peter Turrini hält Zwiesprache mit der Statue von Ferdinand Raimund, André Heller trifft Peter Alexander, Reich Ranicki küßt Hilde Spiel die Hand, Barbara Frischmuth, Inge Merkel und Jochen Jung feiern das 30jährige Bestehen des Residenzverlages, Julian Schutting hilft Friederike Mayröcker in den Mantel, Peter Henisch sitzt am Kultgrab Jim Morrisons auf dem Pariser Friedhof Pére-Lachaise, Michael Köhlmeier schlägt die Gitarre, Elfriede Jelinek hat ein Klavier im Rücken, Gerhard Roth betrachtet das Mysterium des Zettelkatalogs, Christoph Ransmayr und Reinhold Messner besteigen den Gipfel des Südtiroler Ortler. Schriftsteller treten an und altern, arbeiten alleine, mit-und gegeneinander.

    Nein, die österreichische Literatur ist kein idyllisches Stilleben. Sie ist aber auch nicht auf den Widerspruch von Avantgarde und Realismus, Sprachkritik und Engagement zu reduzieren und schon gar nicht, wie vor kurzem anläßlich einer Rezension von Jelineks "Gier" in der "Zeit" zu lesen war - auf einen in allen ihren Autoren waltenden Selbst- und Welthaß. H.C. Artmann jedenfalls, am 4. Dezember 2000 verstorbener Dichter soll sich noch aus ganzem Herzen am vorliegenden Bilderbuch erfreut haben.

    Die von Volker Kaukoreit und Kristina Pfoser herausgegebene Bildgeschichte der österreichischen Literatur nach 1045 hätte Becketts Neugier vielleicht diskret befriedigt, vielleicht weiter angeregt. Da Sitzt Thomas Bernhard Mitte der Sechziger Jahre im Salzburger Café Bazar und lacht ganz unpassend zu seinem ersten Roman Frost, der das Publikum zugleich begeistert und verstört hat, unverfroren fröhlich in die Kamera. Vielleicht ist er so froh, weil auf der benachbarten Druckseite die frischgebackene Büchnerpreisträgerin des Jahres 1964, Ingeborg Bachmann, unakademisch zerzaust, vom Wind verweht und so attraktiv wie sie nur sein konnte, zu ihm herüber zu lächeln scheint. Ein paar Seiten und Jahre später hält Thomas Bernhard, nun selbst mit dem Büchnerpreis geehrt, die obligatorische Dankesrede. Konterkariert wird dieses Foto aus dem Jahr 1970 allerdings durch die Bernhardsche Schimpftirade auf die Darmstädter Akademie aus dem Jahr 1979.