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Österreichs erste Kanzlerin
Respektsperson mit Vertrauensvorschuss

Österreichs Bundespräsident Van der Bellen hat die Verfassungsrichterin Brigitte Bierlein zur Interimskanzlerin berufen. Die Nachfolgerin von Sebastian Kurz soll das Land bis zu vorgezogenen Neuwahlen im Herbst führen. Applaus kommt von den Medien, aber auch vielen Bürgern der Alpenrepublik.

Von Srdjan Govedarica | 31.05.2019
Der österreichische Bundespräsident Alexander van der Bellen.
Offenbar ist ihm ein Glücksgriff gelungen: Bundespräsident Alexander Van der Bellen (images / Eibner Europa)
"Es fühlt sich an, als ob ein Regal mit Mickey-Mouse-Heften gegen Dostojewskij und Tolstoi getauscht wurde" - dieser Twitter-Nutzer schreibt, was viele in Österreich gerade denken. Mit Brigitte Bierlein bekommt das Land eine Übergangskanzlerin, mit der wohl alle leben können. Die österreichischen Medien jedenfalls beurteilen die Entscheidung von Bundespräsident Alexander Van der Bellen in seltener Eintracht fast durchweg positiv.
Doris Vettermann von der Kronenzeitung formuliert das so: "Brigitte Bierlein wird jetzt wahrscheinlich nicht die erste Wahl der SPÖ gewesen sein. Sie gilt politisch eher ein wenig rechts der Mitte aber natürlich – eine Frau wird die SPÖ schlecht haben ablehnen können." Auch die Tageszeitung der Standard greift den eher konservativen Ruf der Juristin auf. Doch das müsse in dieser Situation kein Nachteil sein, schreibt die Zeitung in einem Kommentar, der mit "gut besser weiblich" überschrieben ist.
Breite Zustimmung der Medien
"Es gibt eine rechtskonservative Mehrheit im Land. Und alles, was diese Mehrheit und deren Vertreter durch ihren Populismus in Verruf und durch ihre Skrupellosigkeit an den Abgrund gebracht hat, ist Bierlein fremd." Van der Bellen schreibt Geschichte, so der Standard und weiter, sei es eine überraschend gute Geschichte.
So sieht es auch Christoph Kotanko von den Oberösterreichischen Nachrichten: "Nun, wir haben anlässlich des Misstrauensantrags gehört, dass die Republik ins Chaos stürzt. Das ist erwiesenermaßen Unsinn. Wenn man alle diese Veranstaltungen verfolgt, die hier in den letzten Tagen stattgefunden haben, so läuft das alles in bester Ordnung ab. Und der Herr Bundespräsident macht hier eine hervorragende Figur, weil er die Gesetze genau kennt, sie befolgt und auch in der Auswahl der Personen sehr, sehr gut unterwegs ist."
Brigitte Bierlein ist gerade dabei, ihr Kabinett zusammenzustellen. Zwei Namen hat sie schon genannt. Vizekanzler und Justizminister soll der ehemalige Präsident des Verfassungsgerichtshofes Clemens Jabloner werden, Außen- und Europaminister Alexander Schallenberg, derzeit Leiter der Europasektion im Kanzleramt. Beide gelten als ausgewiesene Experten in ihren Fachbereichen und genießen hohes Ansehen.
Mehr als eine Übergangslösung?
Damit könnte das Kabinett Bierlein neue Maßstäbe setzen für die Auswahl künftiger Minister – sagt Nina Horaczek von Wiener Magazin "Der Falter": "Also ich hoffe, dass das Vertrauen in die Politik wieder ein Stück weit zurückgewonnen wird von der Bevölkerung. Ich erwarte mir jetzt nicht die großen Reformen, das ist auch nicht die Aufgabe dieser Expertinnen und Experten, das wurde ja auch klar gesagt. Aber natürlich wird die Latte im Herbst ein wenig höher hängen, was das Spitzenpersonal in der Regierung betrifft."
Bundespräsident Alexander Van der Bellen sprach davon, dass die neue Übergangsregierung eine "Vertrauensregierung" werden soll. Brigitte Bierlein scheint als Kanzlerin jedenfalls einen ordentlichen Vertrauensvorschuss im Land zu bekommen. Diese Wienerin könnte sie sich auch für eine längere Zeit als Kanzlerin vorstellen: "Ich finde es ein bisschen schade, dass die erste Rolle der Frau für die Interimsregierung verschwendet wird."