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Offen schwul und optimistisch

In Berlin gingen am Wochenende Hunderte Menschen gegen das Anti-Homosexuellen-Gesetz von Kremlchef Wladimir Putin auf die Straße. Doch auch in Russland regt sich der Protest: Der schwule Eiskunstläufer Konstantin Yablotzkiy tritt offen für die Rechte der Homosexuellen in seinem Land ein und fordert Freunde und ehemalige Teamkameraden zum Outing auf.

Von Thorsten Jabs |
    Entspannt sitzt Konstantin Yablotzkiy in seiner Mittagspause auf der Parkbank – blonde kurze Haare, gebräunte Haut. Als Chemielehrer unterrichtet er körperlich behinderte Kinder. Heute trägt er ein kurzärmeliges blau-weiß kariertes Hemd, eine graue Hose und graue Lederslipper. In der Moskauer Sommersonne erzählt der 30-Jährige von den Ereignissen, die sein Leben komplett verändert haben – von den Umwälzungen nach dem Gewinn der Goldmedaille im Eiskunstlauf bei den Gay-Games in Köln im Sommer 2010:

    "Das Fernsehen begann, mich anzurufen und zu interviewen, verfolgte mich bei der Arbeit, in der Schule, zu Hause. Letztendlich kamen sie in meine Heimatstadt Archangelsk zu meinen Eltern und wollten mich interviewen. Also entschied ich, mich zu outen und die Wahrheit zu sagen. So hatte ich mein Coming-out zur Primetime im Staatsfernsehen."

    Mit einem Lächeln berichtet er, dass seine Mutter schon geahnt hat, dass er schwul sei – mit dem Outing wurden ihre Hoffnungen aber endgültig zerstört:

    "My mother told me: Of course I knew you are gay but you just broken my hopes."

    Trotzdem haben seine Eltern zu ihm gehalten – er besucht sie regelmäßig in der Hafenstadt Archangelsk im Norden Russlands. Seinen Job konnte er behalten. Auch gewalttätige Übergriffe hat er persönlich bisher nicht erlebt.

    "Ich habe mein Leben, wie es vorher war. Aber jetzt ist es noch besser, weil ich mich nicht mehr zurückhalten muss. Darum rate ich allen meinen Freunden und Mannschaftskameraden, sich zu outen. Denn je mehr Menschen sich outen, desto schneller werden wir die öffentliche Meinung über Schwule und Lesben vom Negativen ins Positive drehen."

    Konstantin Yablotzkiy ist Vize-Präsident der LGBT-Sportföderation in Russland – einer Vereinigung von Lesben, Schwulen, Bi- und Transsexuellen. Er kämpft gegen Homophobie und das neue Gesetz, das die Verbreitung von Informationen über Homosexualität unter Minderjährigen verbietet:

    "Dieses Gesetz deprimiert ganz viele Menschen. Selbst diejenigen, die sich nicht für nicht-traditionelle Familienwerte einsetzen. Sie fühlen sich herabgesetzt, als wären sie illegal."

    Er selbst fühlt sich eher selten bedrückt, weil er sein Coming-out schon hatte. Aber die ganze Situation findet er lächerlich. Für ihn sind alle Menschen gleich und es sollte niemanden interessieren, mit wem man schläft:

    "Vor 100 Jahren hatten Frauen auch keine Rechte und haben sie am Ende doch bekommen. Vor 50 Jahren gab es Rassismus und Faschismus. Inzwischen ist dieses Problem fast gelöst. Und es ist das Gleiche mit den Schwulenrechten."

    Deswegen hat er sich bei der Leichtathletik-WM in Moskau über die Aktion der schwedischen Hochspringerin Emma Green Tregaro gefreut, die sich in der Qualifikation ihre Fingernägel in Regenbogenfarben lackiert hatte. Und deswegen ist er auch gegen einen Boykott der Olympischen Winterspiele. Damit würden nur die Falschen, nämlich die Sportler, bestraft. Stattdessen hofft Konstantin Yablotzkiy auf weitere Signale in Sotschi – zum Beispiel darauf, dass viele Athleten eine von der LGBT-Bewegung geplante Aktion unterstützen: Männer sollen Männer und Frauen sollen Frauen bei der Eröffnungsfeier an den Händen halten und diese in die Luft recken. Derzeit organisiert er die "Open Games" im Februar 2014 – die ersten LGBT-Wettkämpfe in Russland. Sein Engagement treibt ihn an. Seine Antwort, ob er jemals auswandern wollte, fällt deutlich aus:

    "Nein – Naja, bevor ich mein Engagement beim LGBT begonnen habe, dachte ich, ich könnte nach Südfrankreich gehen. Aber mein Wertesystem hat sich nach den Gay-Games dramatisch verändert. Ich habe eine soziale Verantwortung, hier in Russland zu bleiben und mein Bestes zu geben, um den LGBT-Leuten zu einer freundlichen Berichterstattung zu verhelfen, damit sie weiter Sport machen können."

    Keinerlei Bedauern wegen seines Coming-outs, stattdessen absolute Zufriedenheit – so empfindet er seinen Weg. Als Wertungsrichter für Eiskunstlaufwettbewerbe ist er viel unterwegs. Er liebt es, zu reisen und zu tanzen. Bei einem Wettbewerb in Belgien bekamen sein Partner und er großen Applaus – für Yablotzkiy ein Zeichen, dass sich die Zuschauer der schwierigen Lage von Homosexuellen in seinem Land bewusst waren. Russland könne eine schlechte POlitik und schlechte Politiker oder Präsidenten haben, aber er liebe sein Land:

    "We can have bad politics, bad politicians, bad president, but I love my country."

    Konstantin liebt die russische Natur, das russische Essen und die russische Kultur – auch wenn sein Lieblingskomponist der Norweger Edvard Grieg ist. Seine Hoffnung schöpft er auch aus einem Gedicht des großen Schriftstellers Alexander Puschkin: Es sei möglich, Russland zu vertrauen, aber unmöglich es zu verstehen:

    "It is possible to trust Russia but it is impossible to understand Russia."