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Offensive gegen Kurden-Miliz in Syrien
"Die Türkei kann sich auf das Völkerrecht berufen"

Der AKP-Politiker Mustafa Yeneroglu hat die türkische Offensive gegen die Kurden-Miliz YPG in Nordsyrien verteidigt. "Es gibt hier einen Verteidigungsfall", sagte Yeneroglu im Dlf. Er gehe davon aus, dass Deutschland der Türkei als NATO-Bündnispartner beistehe.

Mustafa Yeneroglu im Gespräch mit Sandra Schulz | 25.01.2018
    Der AKP-Politiker Mustafa Yeneroglu in Rotterdam.
    Der AKP-Politiker Mustafa Yeneroglu in Rotterdam. (imago / Hollandse Hoogte)
    Sandra Schulz: Der Olivenzweig (*) gilt international als Symbol für Frieden und Versöhnung. "Operation Olivenzweig" (*) – so nennt die Türkei ihre Offensive im Norden Syriens gegen die Kurden-Miliz YPG. Mehrere hundert Angehörige von der Terrororganisation seien neutralisiert worden, heißt es aus Ankara. Neutralisiert – das kann vieles heißen: getötet, verletzt oder festgenommen. Und die YPG, die, wie gesagt, in der Türkei als Terrororganisation gesehen wird, ist ein wichtiger Verbündeter der USA im Kampf gegen die Terrormiliz IS. Gestern hat es dazu ein Telefongespräch gegeben zwischen US-Präsident Donald Trump und dem türkischen Präsidenten Erdogan.
    Weil Bilder öffentlich geworden sind im Zusammenhang mit der Offensive von Panzern, die aus Deutschland stammen, da ist der politische Wirbel in Deutschland umso größer. –
    Über das Vorgehen der Türkei in Nordsyrien können wir in den folgenden Minuten sprechen. Am Telefon ist Mustafa Yeneroglu, türkischer Abgeordneter und Mitglied der Regierungspartei AKP und Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarats. Schönen guten Morgen.
    Mustafa Yeneroglu: Ja, hallo! Einen schönen guten Morgen.
    Schulz: Die YPG hat geholfen, die Islamisten, den IS zu bezwingen. Und jetzt, da der IS als besiegt gilt, da kann die Türkei mit den Kurden kurzen Prozess machen?
    Yeneroglu: Nein! So wird es immer wieder in den europäischen Medien vermittelt. Leider ist das nicht der Fall, wenn man insbesondere vor Augen führt, dass zunächst einmal eine Terrororganisation wie die PYD auch in den deutschen Verfassungsschutzberichten als syrischer Ableger der PKK gilt, wenn das nicht unterdrückt wird und aus unserer Sicht eine Terrororganisation wie der IS nicht durch eine andere Terrororganisation bekämpft werden kann.
    Schulz: Herr Yeneroglu, da gehen die Einschätzungen nun mal durcheinander und auseinander. Sie sprechen von einer Terrororganisation.
    Yeneroglu: Nein, eben nicht!
    Schulz: Die US-Regierung, die arbeitet mit der YPG zusammen. Auf welcher völkerrechtlichen Grundlage läuft denn die Operation Olivenzweig mit Bodenoffensive?
    Yeneroglu: Auf Grundlage von Artikel 51 der UN-Charta, welcher jedem Land ein Recht zur Selbstverteidigung gibt und damit sich die Türkei auch auf allgemeines Völkerrecht berufen kann. Die Amerikaner – da gab es auch sehr viele Berichte zu – haben die PYD umetikettiert in Freie Syrische Armee. – Entschuldigen Sie: Syrisch-Demokratische Armee. Vorher hat die PYD immer wieder sich umetikettieren lassen, um das Gewand der Terrororganisation nicht nach außen erscheinen zu lassen.
    Wir haben gerade beim Abzugsdeal in Rakka erlebt, wo IS-Kämpfer mit der PYD/YPG einen Abzugsdeal ausgehandelt haben. Und die 4000 IS-Terroristen in Rakka, wo sind die heute? Wir wissen, haben Berichte, dass rasierte IS-Kämpfer nun auf der Seite der PYD kämpfen, denn Terroristen unterstützen nun mal andere Terroristen. Sie haben ihre eigenen Ziele. Ob sie hier heute von den USA oder morgen von anderen unterstützt werden, ist eine andere Geschichte. Wir finden es traurig, dass eben …
    Schulz: Es lässt sich von hieraus nicht klären, wer da, wie Sie sagen, umetikettiert wurde.
    Yeneroglu: Moment mal! – Moment mal!
    Schulz: Ich glaube, wenn man eine erste Plausibilitätsprüfung anlegt, dass Todfeinde auf einmal zusammenarbeiten und dass die YPG, die ja wirklich an vielen Stellen auch den Islamisten die Stirn geboten haben, dass die jetzt zusammenarbeiten, ich glaube, wie plausibel dieses Szenario ist, das kann jeder Hörer selbst entscheiden. Ich wollte den Schritt noch mal zurück machen.
    Yeneroglu: Ein Punkt ist wichtig. Sie können in den Berichten von Human Rights Watch, von Amnesty International und in den Berichten des UN-Hochkommissars für Menschenrechte lesen, dass die PYD bei der Einnahme vieler syrischer Dörfer Zivilisten umgebracht, willkürlich Menschen verhaftet und entführt, unzählige Dörfer zerstört hat und Kindersoldaten rekrutiert. All das wird leider in den Berichten vieler auch deutscher Medien unterdrückt.
    "Ich gehe davon aus, dass man der Türkei beisteht"
    Schulz: Jetzt habe auch ich die YPG nicht für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen. Aber diese Sortierung, die sollten wir sicherlich ganz genau auseinanderhalten. – Sie haben Ihre Einschätzung gerade genannt zur völkerrechtlichen Situation. Hier in Deutschland sehen viele das ja anders, zum Beispiel auch der Unions-Politiker Röttgen. Der hält Ihre Offensive, Ihre Bodenoffensive für klar völkerrechtswidrig. Gehen Sie davon aus, dass vor dem Hintergrund in der Diskussion, die wir jetzt haben, über die Wünsche der Türkei um noch weitere Aufrüstung aus Deutschland, dass das einfach so durchgeht?
    Yeneroglu: Deutschland ist Bündnispartner der Türkei im Rahmen der NATO. Es gibt hier einen Verteidigungsfall. Da gehe ich davon aus, dass es allseits selbstverständlich ist, dass man der Türkei beisteht.
    Zum anderen ist es so: Wenn man die deutsche Sicherheit am Hindukusch verteidigen kann und die amerikanische Sicherheit auch überall auf der Welt, dann dürfte es doch wohl selbstverständlich sein, dass die türkische Sicherheit zumindest an der eigenen Grenze auch verteidigt werden können muss.
    Schulz: Den Verteidigungsfall, den sehen Sie. Wie gesagt, das ist die völkerrechtliche Einschätzung, über die es auch einen Dissens gibt, einen Dissens mit Berlin. Da ist ja ein Punkt auch noch im Dunkeln. Da hat sich Berlin, da hat die …
    Yeneroglu: Es gab letztes Jahr über 700 Angriffe der PYD auf die Türkei.
    Schulz: Lassen Sie mich zur nächsten Frage kommen, dass wir inhaltlich auch ein bisschen weiterkommen. Da hat Berlin jetzt noch nicht für Klarheit sorgen können. Wir haben diese Bilder gesehen von Leopard-II-Panzern. Sind die aktuell im Einsatz gegen Kurden?
    Yeneroglu: Es mag sein. Ich kann Ihnen keine technischen Details nennen. Nur gab es auch bei der Übergabe der Panzer keine Voraussetzungen, wonach sie nicht gegen Terroristen der PKK/PYD genutzt werden dürfen.
    Schulz: Das ist – verstehe ich das richtig zwischen den Zeilen – die Bestätigung, die wir im Moment aus Berlin noch nicht bekommen?
    Yeneroglu: Wie gesagt, ich kann Ihnen keine technischen Details nennen. Ich kann Ihnen aber bestätigen, dass selbstverständlich die Türkei Waffen, die sie hat, gegenüber Angriffen auch nutzen wird.
    "Die Türkei hat als einziger NATO-Partner Bodentruppen gegen den IS eingesetzt"
    Schulz: Es hat im vergangenen Jahr ja erhebliche Aufregung gegeben, als eine interne Einschätzung bekannt wurde von deutschen Diensten, wonach die Türkei als eine Aktionsplattform für Islamisten gesehen wurde, so bezeichnet wurde. Wenn wir jetzt hören aus dem Norden von Syrien, dass die schärfsten Gegner des IS, dass die von Ihnen so deutlich bekämpft werden, ist das nicht ein ganz starkes Argument dafür, dass diese Interpretation doch stimmt?
    Yeneroglu: Im Gegenteil. Die Türkei hat als einziger NATO-Partner Bodentruppen eingesetzt, um den IS zu bekämpfen. Das haben weder Deutsche gemacht, noch Amerikaner, noch andere. Insofern kann man schon aus den gegenwärtigen Umständen, wo auch die Türkei nicht nur die PYD bekämpft, sondern auch den IS weiter zurückdrängt – ich habe eben gesagt, dass IS-Kämpfer gerade auch in der PYD als Söldner weiter ihren Dienst für eine andere Terrororganisation liefern. Insofern: Die Erzählung, dass die PYD dafür da ist, den IS zu bekämpfen, stimmt nicht. Die hat ihre eigenen Ziele. Die hat in den letzten Jahren große Bereiche von Nordsyrien ethnisch gesäubert, um einen eigenen Staat zu gründen, der von PKK/PYD, also einer anderen Terrororganisation geführt werden soll. Das muss die Türkei vermeiden, denn diese Organisation ist ein großes Risiko für die nationale Sicherheit der Türkei. Gerade letztes Jahr sind über 700 Angriffe von der PYD auf die Türkei verwirklicht worden. All das darf nicht unterdrückt werden. Man muss einfach nur auf die Karte schauen, um zu erkennen, wie groß die Gefahr für die Türkei ist.
    Schulz: Okay. Auch da noch mal der Hinweis darauf, dass das in Washington ganz anders gesehen wird. Das Telefonat, das überliefert ist, aus der letzten Nacht zwischen Trump und Erdogan, das ist ja ein Beleg dafür, Herr Yeneroglu. – Jetzt wollte ich gerne mit Ihnen das Thema noch leicht verschieben. Wir haben in Deutschland größere Aufregung und Empörung über Meldungen, wonach in vielen Moscheen in Deutschland, Moscheen des Islamverbandes Ditib dazu aufgerufen wird, für den Sieg in Syrien zu beten. Wie glücklich finden Sie diese Aufrufe?
    "Es wird nicht für den Krieg gebetet"
    Yeneroglu: Zum einen ist es so, dass jede einzelne Religionsgemeinschaft für sich selbst entscheidet, welche Predigten dort abgehalten werden. Zum anderen hat die Ditib selbst erklärt, dass es einen solchen Aufruf nicht gegeben hat. Zum dritten ist es so, dass eine solche Predigt oder solche Inhalte auch meinerseits kein Grund zur Aufregung sein dürften, zumal ich damals in Deutschland selbst erlebt habe, dass, nachdem deutsche Soldaten in Afghanistan gefallen sind, in den Kirchen in Deutschland auch dort für den Schutz und für die gefallenen deutschen Soldaten gebetet wurde, so dass es natürlich ist, dass in türkischen Moscheen für türkische Soldaten gebetet wird. Denn es wird nicht für den Krieg, sondern für das Überleben von türkischen Soldaten und ihren Verbündeten gebetet und für die Sicherheit des Landes, und das ist wohl das Selbstverständlichste, was es geben kann.
    Ich kann nur wiederholen: Es geht hier um die Bekämpfung einer Terrororganisation. Da sollte man sich lieber oder eher darüber aufregen, dass in den letzten Tagen viele PKK-Anhänger Moscheen angreifen und türkische Muslime permanent auf deutschen Straßen belästigen, ohne dass sich die Öffentlichkeit darüber aufregt.
    Schulz: Herr Yeneroglu, sorry, dass ich Sie an der Stelle unterbreche, nur dass wir inhaltlich nicht zu viele Wiederholungen reinbekommen. – Ich möchte jetzt noch mal festhalten, dass die Darstellungen von Zeitungskollegen, von Agenturkollegen anders sind, nämlich dass sehr wohl diese Aufrufe belegt sind und dass keineswegs für die Soldaten gebetet werden soll, sondern für den Sieg. Sehen Sie nicht das Problem, wenn in Moscheen in Deutschland für einen Sieg gebetet werden soll, in einer Operation, die in Deutschland höchst kontrovers diskutiert wird, dass das der nächste Beitrag ist für die Spaltung der deutschen Gesellschaft?
    Yeneroglu: Wie gesagt, ich kann nicht bestätigen, dass es das in der Form gegeben hat. Ich kenne die Erklärung der Ditib. Aus der habe ich eben zitiert. Und wie gesagt, ich habe größere Sorgen, dass die Entfremdung auch dadurch stattfindet, dass türkische Moscheen und Einrichtungen, die gegenwärtig permanent durch die Terrororganisation angegriffen werden, aber in der Öffentlichkeit nicht thematisiert werden. Das ist für mich ein großes Risiko für eine mögliche Befremdung von Muslimen gegenüber deutschen Sicherheitsbehörden.
    "Es geht um den Schutz der NATO-Grenzen"
    Schulz: Aber mit Verlaub, Herr Yeneroglu. Wir sprechen über ein Dementi der Ditib, das offenkundig nicht stimmt, weil diese Meldungen ja belegt sind, weil zahlreiche Kollegen genau diese Aufrufe gelesen haben. Ich würde vor dem Hintergrund gerne noch mal fragen: Ist das nicht ein Problem, wenn der Islam jetzt in Erscheinung tritt als eine Religion, die für Sieg in einem Krieg instrumentalisiert wird?
    Yeneroglu: Ich wiederhole mich ungern, aber es wird nicht für den Krieg instrumentalisiert, sondern für die Verteidigung gegenüber einer Terrororganisation. Und so dezidiert Sie diese Frage auch immer wieder anders formulieren, ich kann nur wiederholen, dass wir hier in der Frage viel mehr erwarten, dass eine größere Solidarität angezeigt wird. Denn es geht nicht nur um den Schutz der Türkei; es geht letztendlich auch um den Schutz der NATO-Grenzen, und da ist auch Deutschland mit drin. Insofern hat die Türkei auch in den letzten Jahren wahnsinnig viel dafür getan, dass die Sicherheit Europas geschützt wird.
    Schulz: Entschuldigung! An der Stelle muss ich Ihnen leider ins Wort fallen, weil die Nachrichten nahen.
    Yeneroglu: Bitte.
    Schulz: Mustafa Yeneroglu, Abgeordneter der Regierungspartei AKP im türkischen Parlament, heute Morgen hier bei uns im Deutschlandfunk. Ganz herzlichen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    (*) In der Audio-Version ist in der Anmoderation vom Ölzweig die Rede, es muss aber Olivenzweig heißen.