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Offline für einen Tag

Netzpolitik.- Am 18. Januar ging die englischsprachige Ausgabe von Wikipedia einen Tag lang offline. Der Grund: In den USA hatten Bürgerrechtler und Unternehmen zum Protest gegen den Stop Online Piracy Act aufgerufen: ein Gesetzentwurf, der schon seit Wochen die amerikanische Online-Gemeinde umtreibt.

Von Achim Killer | 21.01.2012
    WWW – World Without Wikipedia. Eine Welt ohne Wikipedia. So überschreibt der britische Independent seine Berichterstattung über den vergangenen Mittwoch. Die US-Internetwirtschaft demonstriert an diesem Tag gegen den geplanten Stop Online Piracy Act. Die meisten sind sehr betulich. Bei Google etwa steht unter dem Suchfenster, an die Adresse des amerikanischen Gesetzgebers gerichtet: Bitte, zensieren Sie das Web nicht. Wütender Protest sieht anders aus. Auch offline gehen mag keiner der großen Konzerne. Das würde schließlich Werbeeinnahmen kosten. Wegen so etwas könne man doch kein weltweites Geschäft schließen, twittert der Chef des Kurznachrichtendiensts. Nur Wikipedia geht in die Vollen. Die englische Ausgabe zeigt am Mittwoch nichts außer einer Resolution gegen den Gesetzentwurf. Wikipedia-Gründer Jimmy Wales sagt, warum:

    "Es geht darum, dass Websites blockiert werden sollen, Sites, die eventuell Urheberrechte verletzen, und dass Sites wie Wikipedia, die von den Anwendern erstellt werden, behindert und überwacht werden sollen. Ich finde schon, dass wir uns mit Urheberrechtsverletzungen befassen müssen. Aber wir sollten das seriös tun. Und das ist nicht das richtige Gesetz."

    Die USA führen zurzeit eine Debatte, die durchaus vergleichbar mit jener ist, die in Deutschland im Jahr 2009 geführt wurde. Der Nationalstaat gerät in Konflikt mit dem grenzenlosen Internet. In Deutschland ging es damals um Kinderpornografie auf ausländischen Servern. In den USA geht es um Raubkopien auf Rechnern im Ausland, die also von Standorten bezogen werden können, wo das nationale Recht nicht gilt. Den Stop Online Piracy Act auf den Weg gebracht hat der republikanische Abgeordnete Lamar Smith.

    "Meiner Ansicht nach, ist es im Interesse unser Wirtschaft, wenn wir effektive Möglichkeiten schaffen, um den Online-Diebstahl von geistigem Eigentum zu bekämpfen. Der Digital Millennium Copyright Act ist hier zwar hilfreich, aber nur unter bestimmten Bedingungen. Er greift nicht, wenn Schurken ihre Web-Site im Ausland betreiben wie Pirate Bay. Die Nummer 89 unter den meistbesuchten Sites in den USA."

    Ähnlich den Vorschlägen, die seinerzeit in Deutschland diskutiert wurden, versuchen die Befürworter des Stop Online Piracy Act denn auch Grenzen im Internet einzuziehen. Missliebige Sites sollen blockiert, sämtliche Verbindungen dahin gekappt werden, und zwar auf allen Ebenen des Internet-Protokoll-Stacks. Smith' Parteifreund Darrell Issa führte im Dezember im Rechtsausschuss des Repräsentantenhauses aus, welche Konsequenzen das Gesetz haben würde:

    "Wenn die Los Angeles Times in ihrer Online-Ausgabe einen Artikel über eine Site bringt, die vielleicht auch Urheberrechtsverletzungen fördert, dann dürfte Google nicht mehr zur Los Angeles Times verlinken, weil man über diesen Link ja zu dem anderen kommen kann. Es liegt in der Logik dieses Gesetzes, dass es einen Schneeball-Effekt nach sich ziehen würde, dem man nicht mehr entkommen könnte."

    Und Jimmy Wales illustriert die möglichen Folgen für Wikipedia:

    "Es gibt verschiedene Versionen des Gesetzes. Im schlimmsten Fall würde Wikipedia als Suchmaschine definiert. Dann dürften wir nicht auf Pirate Bay verlinken, selbst im Rahmen einer lexikalischen Beschreibung dessen, was The Pirate Bay ist, nicht. So etwas wirft doch schwerwiegende Grundrechtsfragen auf."

    Das Vorhaben, Grenzen im Internet einziehen zu wollen, gerät in Konflikt mit dem Grundrechtskatalog freiheitlich verfasster Staaten. Darüber wird in den USA debattiert. Insofern holen die Vereinigten Staaten jetzt die Diskussion nach, die in anderen Ländern schon vor Jahren geführt wurde, in Schweden und in Deutschland etwa. Neu an den amerikanischen Protesten ist, dass die Autoren eines Lexikons eine tragende Rolle dabei haben. Aber auch dafür gibt es historische Parallelen. Ein sehr lesenswerter Artikel zu den Enzyklopädisten des 18. Jahrhunderts findet sich auf Wikipedia.