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Ohne Aktualisierung oder Zuspitzung

Der Filmregisseur Volker Schlöndorff inszeniert Tolstoi auf dem Theater für ein Projekt, das vor drei Jahren auf höchster Ebene, bei den Dresdner Gesprächen der Bundeskanzlerin mit dem Präsidenten der Russischen Föderation lanciert wurde. Der Titel des Stücks lautet: "Und das Licht scheint in der Finsternis".

Von Hartmut Krug |
    Tolstoi hielt sein nach 1894 entstandenes, stark autobiografisch geprägtes Stück "Und das Licht scheint in der Finsternis" für sein wichtigstes. Wie in "Meine Beichte", Tolstois religiös-ethischem Traktat von 1892, geht es um die Frage, wie der Mensch im Sinne der moralischen Maximen der Bergpredigt leben könne.

    Der "kluge und gebildete" Gutsbesitzer Nikolaj Ivanovic will all all seinem Besitz entsagen, will seinen "geraubten" Boden an die notleidenden Bauern "zurückgeben" und sich von eigener Arbeit ernähren. Der vom Elend der Armen tief Betroffene stößt mit seinem eifernden Moralismus bei den meisten Menschen, vor allem aber bei seinen Familienmitgliedern, auf völliges Unverständnis:

    Alexandra: "Ja, aber Nikolai, wenn man nichts besitzen darf, alles weg geben muss, die Kleider, Brot, - so kann man doch nicht leben."

    Nikolai: "Man kann auch nicht so leben, wie wir leben."

    Stjopa: "Das heißt, man muss sterben? Also taugt diese Lehre nichts fürs Leben."

    Nikolai: "Doch. Doch. Sie ist das Leben. Man muss alles hingeben, auch seine Kleider und sein Stück Brot."

    Alexandra: "Auch das der eigenen Kinder?"

    Nikolai: "Ja, auch das der eigenen Kinder. Aber nicht nur das Brot, sich selber muss man hingeben. Darin liegt die ganze Lehre Christi."

    Es ist merkwürdig, Tolstois Drama über einen Mann, der aus moralischen Gründen seinem Reichtum entsagen will, vor all den Politikern, Kulturschaffenden und Wohlhabenden der Berliner Gesellschaft zu erleben, die aus der nur 75 Kilometer entfernten Hauptstadt angereist sind.

    Das historische Schloss- und Parkensemble von Neuhardenberg in Märkisch-Oderland wurde nach der Wende vom neuen Eigentümer, dem Deutschen Giro- und Sparkassenverband, zu alter Pracht restauriert. Wer sich einen Aufenthalt im Tagungshotel vor dem 1786 erbauten und später von Schinkel umgestalteten klassizistischen Schloss mit seinem von Fürst Pückler und Josef Peter Lenné gestalteten Landschaftspark erlauben kann, wird, wie die Publikumsreaktionen auf die Inszenierung zeigten, eher schmunzeln über Tolstois Ideendrama mit einem religiösen Moralisten als Zentralfigur. Leider vermeiden sowohl die Textfassung, die Schlöndorff und sein Dramaturg Gerhard Ahrens von Tolstois unvollendetem Stück hergestellt haben, wie auch Schlöndorffs Inszenierungsstil jede Aktualisierung oder Zuspitzung. Das in Deutschland wohl nur dreimal in Berlin, zuletzt 1947 aufgeführte Stück, braucht eine stark eingreifende Regiehand, Denn es ist, zumal in dieser Fassung, ein statisches Stück, dessen Figuren sich nicht entwickeln, sondern nur Thesenträger und Haltungsverkörperer sind. In lose aneinandergereihten Szenen tritt Nikolaj unter anderem an gegen einen fundamentalistischen Geistlichen, gegen seinen opponierenden Sohn, gegen seine pragmatische Schwägerin, er disputiert mit seinem politisch denkenden Schwager und versucht vergeblich, bei seiner Frau Verständnis zu finden:

    Marja: "Ich versteh dich überhaupt nicht mehr."

    Nikolai: "Wir können so nicht weiter machen!"

    Marja: "Aber es war doch sehr schön, wie wir gelebt haben. Das war doch sehr schön."

    Nikolai: "Mascha, wir leben von fremder Hände Arbeit. Wir leben, indem wir andere zwingen, für uns zu arbeiten, und wir setzen Kinder in die Welt, die dieses verderbte Leben fortsetzen. Ja, und dann kommt das Alter und der Tod, und ich frage mich, wozu ich überhaupt gelebt habe. Um Parasiten zu züchten, wie ich einer bin?"

    Marja: "Aber alle leben doch so."

    Nikolai: "Ja, und alle sind sie unglücklich."

    Marja: "Ach, überhaupt nicht."

    Hans-Michael Rehberg, im langen weißen Hemd und mit schwarzen Stiefeln, gibt den Nikolai mit kräftigen Theatermitteln als einen moralisch Verbohrten, der an dem fehlenden Verständnis seiner Mitmenschen verzweifelt. Weil aber Angela Winkler als seine Frau nur eine Variation ihrer bekannten Schmerzensfiguren spielt und sich in eine verhuschte Verwirrungshaltung begibt, fällt das Familiendrama weitgehend aus. Das elegische Kostümdrama, das Schlöndorff im alten Konservationsstil inszeniert, hängt mit seinen lose aneinandergereihten Szenen immer wieder arg durch. Es gibt einige schöne, auch komödiantische Szenen mit Max Hopp, Naomi Krauss und Traute Hoess, aber meist klingt der Text, als raschele altes Pergament.

    Eines aber ist so einfach wie wunderbar: das den weiten Raum des Parks öffnende Bühnenbild. Mark Lammert stellte vier verschiedenfarbig helle Wände auf das niedrige Bühnenpodest. Die verschiebbaren Wände schaffen immer neue Raumsituationen, sie ermöglichen simultanes Spiel und erlauben Durchblicke in den Park. Doch das museale Kostümtheater von Volker Schlöndorff vermag auch Lammerts Bühnenbild nicht zu retten.

    Infos:

    Lew Tolstoi, "Und das Licht scheint in der Finsternis"