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"Ohne die gewohnte Nachweistiefe"

Seit März hat die Reaktor-Sicherheitskommission die Risiken für die 17 deutschen Atomkraftwerke bewertet. Das Gutachten sorgt für kritische Stimmen, die vor allem die Kürze der Zeit der Prüfung bemängeln.

Axel Schröder im Gespräch mit Theo Geers |
    Theo Geers: Es dauert noch Jahrzehnte, bis in Fukushima wieder halbwegs normale Verhältnisse herrschen. Peter Kujath berichtete aus Tokio (Audio-Beitrag) und sein Bericht zeigt, dass es gute Gründe gibt, die Hochrisikotechnologie Atomkraft hierzulande abzuschalten, denn Fukushima hält jedem eindringlich Risiken vor Augen, die bisher bei Risikoabschätzungen hierzulande keine Rolle spielten. Genau diese Risiken hat seit Mitte März die Reaktorsicherheitskommission für die 17 deutschen Atomkraftwerke bewertet. Um zwölf Uhr kommen die Ergebnisse, aber es gibt schon vor der Veröffentlichung des Gutachtens sehr kritische Stimmen.

    Axel Schröder ist derzeit unser Landeskorrespondent für Schleswig-Holstein. Herr Schröder, eine kritische Stimme kommt aus Kiel, von der dortigen Atomaufsicht. Was kritisiert man dort?

    Axel Schröder: Ja. Immerhin der Leiter der Behörde für Reaktorsicherheit in Kiel, Dr. Wolfgang Cloosters, kritisiert in seinem Brief an das Bundesumweltministerium gleich mehrere Dinge. Das sind zum einen die mangelnde Einbindung der Atomaufsichten der Länder in diese jetzt anstehende Studie der RSK, der Reaktorsicherheitskommission, obwohl diese Behörden natürlich sehr nahe dran sind an den Anlagen. Die kennen diese Anlagen in den Ländern am besten.
    Zweiter Kritikpunkt ist die Kürze der Zeit, in der die Überprüfungen ablaufen mussten. Fünf bis sechs Wochen Zeit hatten die Gutachter, und um mal einen Vergleich zu bringen: Bei einer normalen Revision eines einzigen Atomkraftwerks brauchen die Prüfer einen Vorlauf von einem halben Jahr, um dann in einem mehrmonatigen Verfahren die Prüfungen vorzunehmen.
    Dritter wichtiger Kritikpunkt, dass es diese Einzeluntersuchung gab, Absturz von Flugzeugen auf Atommeiler. Für die war sehr, sehr wenig Zeit.

    Geers: Nun kritisiert ja auch der SPD-Vorsitzende Gabriel das Verfahren. Was ist denn sein Kritikpunkt?

    Schröder: Der SPD-Chef kritisiert vor allem, dass die Bundesregierung immer noch ein 30 Jahre altes Regelwerk für die Sicherheitsüberprüfung der Meiler nutzt. Tatsächlich gibt es schon seit Jahren ein aktuelles strengeres Regelwerk, das hat Gabriel selbst als Bundesumweltminister auf den Weg gebracht. Das liegt in Röttgens Schubladen und findet trotzdem keine Anwendung.

    Geers: Zurück, Herr Schröder, zum kritischen Brief aus Kiel. Da heißt es, da ist von "Einschätzungen ohne die gewohnte Nachweistiefe" die Rede. Heißt das jetzt unter Umständen, das Gutachten ist gar nichts wert?

    Schröder: Das würde ich so nicht sagen. Das sind natürlich alles Fachleute, die da zusammengezogen werden unter Federführung der Gesellschaft für Reaktorsicherheit. Die verfügen allesamt über eine exzellente Expertise. Mit "geringer Nachweistiefe" ist gemeint, dass diese Studie der Reaktorsicherheitskommission tatsächlich insofern nur begrenzte Aussagekraft hat, weil die Grundlagen fragwürdig sind. Natürlich mussten sich die Gutachter unter diesem immensen Zeitdruck damit zufrieden geben, dass sie von den Betreibern der AKW immer nur Schätzwerte bekommen haben. Das heißt aber nicht, dass die Gutachter schlecht gearbeitet haben, aber ihre Arbeitsgrundlagen schon zu hinterfragen sind. Zusammenfassend könnte man sagen, es geht hier weniger um eine grundsolide Bestandsaufnahme, sondern eher geht es in Richtung so eines politischen Schaulaufens.

    Geers: Nun ist es ja dennoch so, Sie sagten es vorhin selbst, Herr Schröder, das alles sind ausgewiesene Atomexperten, die dieses Gutachten heute Mittag vorlegen. Auf der anderen Seite: Wenn es jetzt Kritik an dem Gutachten gibt, spielt das nicht möglicherweise den Betreibern der Atomkraftwerke insofern in die Hände, als dass diese Betreiber ja ihre Meiler gerne länger am Netz laufen lassen? Dieser Wunsch ist ja immer noch in der Welt.

    Schröder: Ich glaube nicht, dass es den Betreibern in die Hände spielt, denn es sind ja nur Empfehlungen, die jetzt abgegeben werden. Gegen diese Empfehlungen selbst können die Betreiber natürlich nichts tun. Es kommt im Kern darauf an, was macht die Bundesregierung daraus, welche Schlussfolgerungen zieht sie? Und es könnte natürlich sein, dass die Bundesregierung einfach sagt: Wir setzen die Sicherheitsmargen nach oben und zum Beispiel gegen Flugzeugabstürze müssen die Meiler dann gesichert werden, und das kann natürlich für die Betreiber den Weiterbetrieb einzelner Anlagen einfach unrentabel machen, und so könnte man eben diesem Druck der Betreiber widerstehen.

    Geers: Danke schön! – Das war Axel Schröder zur Kritik am Sondergutachten zum Restrisiko beim Betrieb deutscher Atommeiler. Und zu diesem Interview passt eine Meldung von heute Vormittag. Danach ist die Energiewende inzwischen offenbar auch in den Köpfen der Spitzenmanager angekommen. Einer Umfrage des "Handelsblatts" zufolge sind 59 Prozent der Topmanager in Deutschland inzwischen für den Atomausstieg. Vor zehn Jahren war das noch ganz anders; damals waren nur 30 Prozent dafür und 70 Prozent wollten von einem Atomausstieg überhaupt nichts wissen. Wie sich doch die Zeiten ändern.