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Ohne Risiken und Nebenwirkungen

Doc Morris, die Versandapotheke aus den Niederlanden, hat den Einzug in den deutschen Markt geschafft. Pharmazeuten und deren Lobbyverbände warnen allerdings vor einem Apotheken-Sterben, wenn der Handel mit Medikamenten in Deutschland völlig freigegeben wird. Norwegen hat indes den Gegenbeweis angetreten. Marc-Christoph Wagner berichtet.

    Der Osloer Stadtteil Majorstua am späten Nachmittag; Die Straßenbahnen sind gefüllt, die Menschen auf dem Weg nach Hause. Viele haben den Schal bis ins Gesicht gezogen. Vom Meer her weht ein eisiger Wind. In der St. Georgs-Apotheke ist es warm, die Atmosphäre entspannt. Geduldig warten drei Kunden darauf, bedient zu werden.

    Eine Frau um die 50 mit geröteter Nase und fiebrigen Augen erzählt, seit der Liberalisierung der Apotheken 2001 habe sich für sie nichts Grundsätzliches geändert. Vielleicht seien die Angestellten etwas freundlicher, entgegenkommender, ja serviceorientierter geworden. Und ja, die Preise für Kopfschmerztabletten, Nasenspray und andere Kleinigkeiten seien gefallen. Die kaufe sie heute im Supermarkt, denn dort seien sie wesentlich billiger:

    30 Prozent Marktanteil, berichtet Apothekerin Hege Willoch, eine schlanke, fast hagere Frau Mitte 40 mit konzentriertem Blick, habe sie seit der Liberalisierung verloren, aber eben nur bei Produkten wie Schmerzmitteln oder Nikotinkaugummi. Der Großteil der Arzneimittel, sagt Willoch, werde aber nach wie vor in den Apotheken verkauft. Die Preise seien einheitlich und für den Verbraucher im europäischen Vergleich günstig, weil vom Staate reguliert.

    "Vor fünf, sechs Jahren verbrachte ich mehr Zeit im Büro. Heute bin ich permanent am Tresen in der Apotheke. Und den Papierkram mache ich früh morgens oder nach Feierabend."

    Egal, wo Medikamente verkauft werden: Während der Öffnungszeiten muss immer ein ausgebildeter Apotheker anwesend sein. Genau darum verbringt Hege Willoch selbst so viele Stunden mit den Kunden, denn extra Fachpersonal einzustellen, sei eben teuer.

    "Das alles hat sein Für und Wider. Natürlich würde ich gerne mehr Zeit für die Planung und Geschäftsentwicklung aufwenden, aber es geht ja auch so. Und vielleicht haben wir früher einfach zu viel Zeit mit Papierkram verbracht."

    Hege Willoch zuckt mit den Schultern, sie sieht die Dinge gelassen. Die Liberalisierung habe dazu geführt, dass jedermann eine Apotheke eröffnen könne, außer natürlich die Pharmaindustrie selbst.

    "Unsere Kunden sind hochzufrieden. Sie spüren, dass wir für sie da sind und nicht umgekehrt sie für uns. Der Kunde ist König und Service das Schlüsselwort. Das gilt für die Beratung, die erweiterten Öffnungszeiten und wie gesagt: Auch die Medikamente selbst sind alles andere als teuer."

    Nur wenige hundert Meter von der St. Georgs-Apotheke entfernt hat der norwegische Apothekerverband seinen Sitz. Mit Verwunderung verfolgt dessen Cheflobbyist Oddbjörn Tysnes, dass Norwegen in der deutschen Diskussion um die Liberalisierung von Apothekern immer wieder als Negativbeispiel angeführt werde. Tysnes' Einschätzung ist eine andere:

    "Man kann sagen, dass die norwegischen Apotheker kommerzieller, also bessere Geschäftsleute geworden sind. Und auch die fachlichen Anforderungen sind seit der Liberalisierung eher gestiegen."

    In die deutsche Diskussion, sagt Tysnes, möchte er sich nicht einmischen, mit Ratschlägen an die Kollegen hält er sich zurück. Die Erfahrungen in Norwegen mit der Liberalisierung aber seien durchweg positiv. Er und sein Verband seien selbst eines Besseren belehrt worden:

    "Damals waren wir dagegen, während es in der Politik einen überparteilichen Konsens für die Liberalisierung gab. Und ich muss sagen, die letzten Jahre haben gezeigt: Die Politiker hatten Recht, und wir Apotheker haben uns geirrt."