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Olympia-Glosse
Gold für Minderbegabte

Wer ist der größte Gewinner, wer der größte Verlierer? An Superlativen fehlt es bei Olympischen Spielen selten. "Hochgejazze und Hochgejuckel" nennt das unser Autor Jürgen Roth. Er ist mit dem Tonfall der Berichterstattung gar nicht einverstanden, wie er uns in seiner Glosse verdeutlicht.

Von Jürgen Roth | 16.02.2014
    Spätestens als ZDF-Reporter Nils Kaben am dritten Tag der herrlichen Olympischen Winterspiele in Sotschi die Parole ausgab, man müsse "der möglichen Sensation einen langen Atem geben“, fragten wir uns, seit Anbeginn eisern auf Horch- und Guckposten, was man uns und den Millionen von gepeinigten Zuschauern draußen im lieblichen Lande eigentlich noch als Journalismus, als Sportjournalismus vorsetzen und verkaufen will.
    Unbestritten, einer der letzten Fachmänner der Zunft, Günter-Peter Ploog, verweigerte sich tapfer der offenbar streng verordneten Doktrin des Hochgejuckels und -gejazzes selbst solcher vollendeten Torheiten wie Slopestyle und Skeleton, bei dem irgendeine Kreischsäge von einer "Nervenschlacht nationaler Dimension“ faselte; und Ploog, der noch die altehrwürdige Klarsprache eines Oskar Klose und Arnim Basche pflegt, bezeichnete Dameneishockey wahrheitsgemäß als "Kleingeldsportart“ und sinnierte darüber, "ob Fraueneishockey olympisch Sinn hat“, denn: "Bronze beim Fraueneishockey, das ist das Gold der Minderbegabten.“
    Und, zweifellos, der Langlaufreporter Peter Leißl ist - gleich Aris Donzelli und Wilfried Hark - ob seiner Kenntnisse, seiner grundsympathischen neutralen Haltung, seines angenehm dosierten Engagements eine Wohltat, und man nimmt ihm ab, wenn er raushaut: "Wow, was für ein Skiathlon!“ Aber sonst?
    Ploog, Leißl, Donzelli und Hark können leider schwerlich 40 Stunden pro Tag im Einsatz sein. Also mutet man uns ungerührt eine Heerschar von wildgewordenen Gute-Laune-Backen und zu allem entschlossenen Sprachzertrümmerern zu. Der Tonfall? Nahezu unausgesetzt überdreht, reißerisch, pathetisch. Die Sportanlagen werden allesamt als "gigantisch“, "wunderbar“, "wunderschön“ und "großartig“ ausgeschrieen, nicht selten in Trailern, die billigsten, mit Bumsfalleramusik aufgemaschelten Propagandaspots aufs Haar gleichen. Wüsteste Naturvernichtung? Versklavung von Arbeitern? Verbrecherische Enteignungen? Ach was. Nebbich.
    Statt dessen grient und plappert etwa ein Gerhard Delling die Berichterstattung in Grund und Boden. Man müsse "’nen richtigen Sonnenschutzfaktor auflegen“, es folge "ein unbedingter Leckerbissen“, der "natürlich super und ’n richtiges Ereignis“ ist, noch superer als seine, Dellings, Superhammererlebnisse in einem stehengebliebenen Fahrstuhl, die Kollege Michael Antwerpes freilich schrottlustig zu kommentieren sich untersteht. Was ist das? Kinderfernsehen? Mit der sogenannten Biathlonexpertin Kati Wilhelm, die offensichtlich glaubt, die Zuschauer trügen noch Lätzchen, so kindisch sind ihre Erläuterungen? Auch. Vor allem aber Jubel- und Jodelfernsehen, in dem alberne Blumenzeremonien und vom Publikum vor Ort mehr oder minder gemiedene Medaillenverleihungen mit deutscher Beteiligung gerne auch mal, teutonisch tremolierend, zehnmal pro Stunde wiederholt werden, während Sportler, man wage es zu sagen, anderer Nationen ihre Kräfte messen, was man eventuell ja übertragen könnte.
    Oder wie heißt es in einem Teaser? "Olympia im ZDF zergeht förmlich auf der Zunge“, derweil wir vor Scham und Fassungslosigkeit schier zergehen - angesichts einer Katrin Müller-Hohenstein zum Beispiel, die ein sagenhaft blödes GEZ-Gebührenvernichtungsmaskottchen knuddelt und ihm attestiert, es höre "etwas schlecht“, könne indes schon "Sitz!“ und "Platz!“; oder angesichts des zu den alpinen Pisten verfrachteten Norbert König, dessen Dauerlaune wie eh und je die penetrant prächtigste ist und der tatsächlich an uns hinquatscht: "Morgen also die Superkombination - und jetzt eine Supermoderation im Studio“, in dem der stahlharte Sinnzerschredderer Rudi Cerne Spezialinterviews führt, die "Stichflammenjournalismus“ (Bernhard Pörksen) mit läppischer Nullkommunikation kombinieren, am allerschönsten dann, wenn der Sportpsychologe Hans-Dieter Hermann seine umwerfend bescheuerten, blähexpertokratischen Banalitäten verbreitet.
    Es ist zumal im ZDF eine mätzchenüberfrachtete Zeitkaputtmacherei ohnegleichen. Die ganze, von einem Reigen knallfröhlicher Kasperfiguren inszenierte Irrsinnsveranstaltung erklimmt die Gipfel der geistigen Absenz, wenn Gerhard Delling Felix Neureuthers mutmaßliche Fahrerflucht entschuldigt, weil es der Skimensch "ganz, ganz eilig hatte“; wenn zum "Happy Dance“ animiert wird, um die "glücklichsten Olympiamomente“ zu feiern; und wenn Wolf-Dieter Poschmann Frau Claudia Pechstein dergestalt anstachelt, jeder Erfolg von ihr sei ein "Tritt in den Hintern der Internationalen Eislaufunion“.
    "Lillehammer? Hör mir doch auf!“ schrieb Eckhard Henscheid vor zwanzig Jahren. In Anbetracht des heurigen Quarkfernsehens und der laut Zeit "öffentlich-rechtlichen Olympiahygiene“ müssen wir uns nach einer Woche voller Wörter- und Bilderkompott endlich selber - und in Übereinstimmung mit der Wochenzeitung - zum "Einschaltboykott“ aufrufen. Oder aufraffen.
    Es sei denn, Ploog, Leißl, Donzelli und Hark übernehmen den Laden handstreichartig.