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OP-Simulator für knifflige Eingriffe

Medizin. – Kein Chirurg richtet das Messer gegen einen Patienten, wenn er nicht sicher ist, dass ihm die Operation auch gelingt. Übung tut also Not, doch das ist mitunter leichter gesagt als getan, denn besonders komplizierte und schwierige Eingriffe etwa an den filigranen Strukturen des Ohres müssen unter Umständen gar an Leichen ausreichend trainiert werden, bevor sie am Lebenden zum Einsatz kommen. Eine Hilfe könnten dabei Computersimulationen sein, die lebensnahe Bedingungen erzeugen. Zwar steckt dieses Gebiet der Medizin-Informatik noch in den Kinderschuhen, doch die Fortschritte sind erstaunlich. So können Hamburger Operateure an einem neuen Gerät Eingriffe am Ohr einüben, ohne Patienten zu gefährden oder die Pathologie zu bemühen.

    Das Tatwerkzeug liegt in der Hand wie ein Kugelschreiber und wird geführt wie ein echter chirurgischer Bohrer, auch wenn nur virtueller Schädelknochen – und im schlimmeren Fall - ebenso virtuelle, aber schützenswerte Organstrukturen in Mitleidenschaft gezogen werden. Das Ganze spielt sich auf einem Monitor ab, der dank einer speziellen Brille dreidimensionale Darstellungen liefert. Auch Forcefeedback beherrscht das System und vibriert den Stift, wenn der Bohrer durch den porösen Knochen des Felsenbeins dringt oder leistet gar bockigen Widerstand, wenn festere Strukturen im Wege sind. Selbst an den unangenehmen Klang des Bohrers dachten die Erfinder jenes neuen Simulators, an dem Ärzte schwierige Eingriffe am Ohr einstudieren können. Ein ausgesprochener Meister nicht nur am Simulator ist Oberarzt Rudolf Leuwer der Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde am Universitätskrankenhauses Hamburg-Eppendorf und führt vor, wie es richtig gemacht wird: "Ich muss zunächst die Bereiche anoperieren, in denen sich dann in der Realität Tumore oder Entzündungen befinden oder über die ich ins Ohr gelangen möchte, um Implantate einzufügen. Dabei begegne ich so genannten Landmarken, das sind Strukturen, die ich auf gar keinen Fall zerstören darf, wie etwa das Gleichgewichtsorgan oder der Gesichtsnerv."

    Das rund 20.000 Euro teure Gerät, der so genannte Voxelman, könne die Ausbildung von Fachärzten viel einfacher und vor allem billiger machen, ist Leuwer überzeugt: "Wir brauchen für die herkömmliche Ausbildungsmethode - die Präparation an menschlichen Knochen - einen ganz normalen Operationssaal, der nur dafür da ist, samt Mikroskop und Bohrsystemen." Unerlässlich seien daneben genügend menschliche Felsenbeine von Spendern, die ihren Körper nach ihrem Ableben der Wissenschaft vermacht haben. Doch dies sei eben fast ausschließlich an Universitätskliniken gegeben. Daher stellt der Operationssimulator, den Experten des klinikeigenen Instituts für Medizinische Informatik unter Leitung von Karl Heinz Höhne entwickelten, eine interessante Lösung dar. Weltweit einzigartig sei dabei vor allem, dass der angehende Arzt an diesem Gerät gleichzeitig sieht, fühlt und hört, was er tut, betont Professor Höhne. Eine der größten Herausforderungen sei dabei gewesen, das Gewebe bis ins kleinste Detail zu imitieren. " Wenn man in die zerklüfteten Knochengebilde dieser Region bohrt, muss man sie realistisch fühlen können – dazu mussten die Grate und Löcher exakt modelliert werden."

    Dabei konnten die Eppendorfer Informatiker auf ihre langjährigen Erfahrungen mit dreidimensionalen Computer-Modellen des menschlichen Körpers zurück greifen, erklärt Höhne: "Die Daten des Modells stammen aus einer Computer-Tomographie eines Patienten, aus der wir ein sehr detailliertes und hochaufgelöstes 3D-Modell gewannen." Doch nicht nur die angehenden HNO-Chirurgen kommen bei dem realistischen Training ins Schwitzen, auch der Computer muss dabei hart arbeiten, um ruckelfrei und in Echtzeit die dreidimensionalen Bilder zu erstellen und Geräusche und Vibrationen zu erzeugen. Denn das realistische Gefühl im Bohrstift könne nur entstehen, weil der Rechner mehr als 1000 Mal pro Sekunde ein neues Signal übertrage. Die Hamburger Mediziner wollen nun untersuchen, wie viele der vorgeschriebenen 40 Übungs-Operationen an echten Knochen sie mit der neuen Technik ersetzen können. Auch die Kieferchirurgen interessieren sich schon für das Verfahren. Allerdings eignet es sich bisher nur für Knochen-Operationen. Weil Weichteile viel komplexer auf Berührung reagieren, können Informatiker das Schneiden mit dem Skalpell noch nicht simulieren.

    [Quelle: Thomas Mösch]