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Oper im Hollywood-Stil

Die detailgetreu nachgestellte Wartezimmereinrichtung im Stil der frühen 40er Jahre ist nicht etwa die Kulisse eines Hollywood-Streifens, sondern Bühne für Musiktheater. Auch mit der szenischen Zusammenstellung von Komposition, Video- und Episodendarstellung beschreitet die Uraufführung von Michael Gordons "Acquanetta" in Aachen ganz eigene Wege - das letzte Stück unter der Intendanz Paul Esterhazys.

Von Frieder Reininghaus | 26.06.2005
    "Acquanetta" lässt sich vielleicht als "Filmoper" charakterisieren. Die Arbeit beschäftigt sich mit der Biographie einer Hollywood-Sternschnuppe, kreist um eine Episode des Films "Captive Wilde Woman" von 1943; die optische Realisierung basiert auf den Mitteln von Film und Video und die Komposition lässt sich von vorn bis hinten als insgesamt hoch ausgesteuerter und kräftig getönter Soundtrack goutieren.

    Der Aachener Intendant Paul Esterhazy hat sich zur Gewohnheit gemacht, die neuen Werke, die sein Haus präsentierte, allemal mit einer kurzen Einführung zu versehen. Das tat er auch diesmal - allerdings nicht als Vortragsredner, sondern als Hauptdarsteller eines Vorfilms: Wie Alfred Hitchcock sitzt er da in der Dämmerung im Regiestuhl; das Gesicht ist nicht zu erkennen; er erläutert die Hintergründe und die vordergründigeren Schichten der Produktion, von deren Probenarbeit der Generalmusikdirektor Marcus R. Bosch gleich noch einen Vorgeschmack gibt.
    Nach dem kurzen Zwischenspiel der Popcorn-Verkäuferinnen dann das Hauptprogramm auf dem Gaze-Vorhang, der als Kinoleinwand dient, und in einem Raum, der sich hinter dieser Projektionsfläche auftut: Elf Szenen - oder genauer gesagt: musikalische Sequenzen mit Live-Lichtspiel - entwickeln einen Bild- und Tonkommentar. Mit den Episoden "Gespannte Erwartung", "Schmerzliche Enthüllungen", "Verdrängte Erinnerungen" etc. geht es um eine einzige, allerdings zentrale Szene des Films "Captive Wild Woman" kreist – da verwandelt sich eine schöne junge Frau, die von einem verbrecherischen Arzt durch Mutation aus einem Gorilla-Weibchen gewonnen wurde, wieder in das Tier zurück. Das war die Paraderolle der Acquanetta.

    Bis zu ihrem Tod im Jahr 2004 blieb die Herkunft der Schauspielerin im Dunklen. Anfang der 40er Jahre reüssierte sie in Hollywood und prägte sich insbesondere durch ihre Mitwirkung bei Horrorfilmen ein, verschwand aus unerklärlichen Gründen jedoch rasch wieder von der Bildfläche. Sie hieß wohl eigentlich Mildred Davenport und war afroamerikanischer Abstammung, stilisierte sich freilich als Latino-Sexbombe – als "venezolanischer Vulkan".

    Pia Janssen baute - in Anlehnung an den Bühnenraum, den Wolf Münzner 1997 in Bonn Adriana Hölszkys "Tragödie" zudachte - ein Wartezimmer der Universal-Filmproduktion: schwarz-weiß und mit dem typischen Mobiliar und Lampen der frühen 40er Jahre, Garderobe, Ventilator und Normaluhr, seitwärts einer Naßzelle und der gebieterischen Leuchtschrift "Please Wait" über der Tür, die für keinen der fünf Arbeit suchenden Schauspieler aufgeht.

    Es ist Kriegs- und Depressionszeit. Virtuos bedient Regisseur Esterhazy diese dritte Erzählebene mit Judith Berning in der Titelrolle, Andreas Joost als Arzt-Darsteller und den anderen, die sich aus Edward Dmytriyks gut 60 Jahre altem Film verselbständigten.

    So ergibt sich ein heiteres Spiel: Kunst über Kunst, wenn man denn diesen alten Streifen, aus dem immer wieder zitiert wird, als Kunst ansehen möchte. Im Nachhinein jedenfalls wird er geadelt – auch durch den Hinweis auf Menschenversuche lange vor der Zeit der Stammzellenforschung; in jenen Jahren eben, in denen auch in Konzentrationslagern entsprechende Versuche unternommen wurden. So ergibt sich, bei allem Willen von Michael Gordon zum Unterhaltsamen, eine nachdenkliche Komponente der Produktion.

    Ins Werk gesetzt wurde das vielschichtige Unternehmen wohl vornehmlich um der Musik willen, die sich für ihr geschäftiges und mitunter mikrointervallisch geschärftes repetitives Treiben Angriffspunkte bei Stichworten wie "Gezielte Manipulationen", "Lähmende Kreisbewegungen" der "Unterdrückte Ängste" suchte.