Womöglich ist die Berücksichtigung von Bellinis „Puritaner“ im Programm der Pariser Nationaloper ein später subtiler Beitrag zum Verdi-Jahr, das seinem Ende zugeht: Kein anderes Werk hat Giuseppe Verdis Œuvre so geprägt wie dieser Schwanengesang. Einige prägnant-kraftvolle Einsätze des Orchesters, heroische Trompetensoli zu Patria-Chören, die Ablösung des Rezitativs durch neue Formen der narrativen Episoden - all das findet sich bereits in „I puritani“; selbst das in „Don Carlos“ idealtypisch ausgeprägte Männerfreundschafts-Duett hat hier sein Vorbild - in einer Air von Giorgio, dem Onkel der jugendlichen Liebhaberin Elvira und Riccardo, dem diese versprochen wurde, den sie aber nicht liebt. Der stimmfulminante Bassist Michele Pertusi und der fast auf gleicher Stimmbandhöhe mithaltende Bariton Mariusz Kwiecien in der weit weniger dankbaren Rolle des Sir Riccardo Forth nähern sich in der Bastille angesichts von Elviras Wahnsinnsattacken menschlich an.
In der Konstruktion von Elviras lebensbedrohlicher Herzensangelegenheit und in einem bürgerkriegerischen Handlungsrahmen könnte eine hochgradige Aktualität dieses Werk aufgezeigt werden. Ein Historien-Panorama der religiös fanatisierten, mithin höchst blutrünstigen Ära wurde interessanterweise mit dieser opera seria durchaus anvisiert. Die Inszenierung von Laurent Pelly aber putzt selbst die diskreten Spuren des historisch Materiellen und der Region Plymouth weg. Sie beschränkt sich darauf, die Fußsoldaten Oliver Cromwells wie desinformierte Playmobilfiguren über die Bühne tapern bzw. hin und her stürmen zu lassen, als wären die englischen Roundheads deutsche Nachtwächter gewesen.
Der neuen Pariser „Puritaner“-Premiere ging ein Großeinsatz der Schlosserei voran: Die Werkstatt der Nationaloper schweißte ein gewaltiges Gestänge zusammen, das die Konstruktionslinien einer Schlossfestung und deren fein ziselierte Umrisse andeutet. Dieses transparente Gehäuse vor leerem Horizont, d.h.: in geographischem und historischem Niemandsland, erweist sich als Voliere für Elvira, die ihren Hochzeitsschleier der eigentlich als Gefangener herbeigeschafften und zum Tode verurteilten Königin burschikos überhängt – der royalistische Lord Arturo, der eigentliche Liebhaber und Verlobte, lässt die Braut im Stich und rettet seine Königin, was nun eben die Brüskierte und Frustrierte zu den stimmschönsten Wahnsinnsschüben treibt. Auch wenn Maria Agresta alles andere als koloraturensicher ist – wenn sie nicht forciert, gelingen ihr ansprechende Leistungen, die sie mit strahlenden Spitzentönen krönt.
Michele Mariotti leitet diese sorgfältig instrumentierte „Sängeroper“ bravourös. Das bereits in der Ouverture anklingende Martialische lässt er elegant wegtupfen, den Hörnersatz als Inbegriff des „Romantischen“ in der Musik par excellence aufblühen. Bestens ausbalanciert sind die zu keinem Zeitpunkt ungebührlich solistisch hervortretenden Bläser gegenüber dem formidablen Streichersatz und der höchst präsente Chor toppt die musikalische Leistung. Um Musiktheater von nachhaltiger Wirkung zu Wege zu bringen, müsste sich die Pariser Oper nun wieder um Regisseure bemühen, die mit der keineswegs keimfreien Historie der Werke umzugehen wissen und die aktuelle Pointierung nicht scheuen.