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Operation am Leib einer krankenden Gesellschaft

Es beginnt mit einer zerrütteten Ehe und endet mit dem Tod: Giacomo Puccinis Oper "Il Trittico" ist eine Art Triptychon der untragbaren Schuld, der Gegenwartshölle. Auch wenn der dritte Einakter als Komödie angelegt ist.

Von Christoph Schmitz |
    In keinem seiner anderen Werke hat Puccini einen so sozialkritischen Ton angeschlagen wie in seinem "Trittico", vor allem im ersten Teil "Der Mantel". Das erbärmliche Leben des Proletariats, eine milieuspezifische körperliche Gewalt, die abgeschmackten Träume der Habenichtse – das alles ist bei Émile Zola nicht trister. Allein das Abbild dieser Welt der Frachtschiffer und Löscharbeiter auf der Seine ist pure Anklage. Die Kölner Inszenierung bringt das Elend optisch auf den Punkt: Wir sehen die Innenräume eines heruntergekommenen Stapelhauses um 1900. Die Armut, die beengten Wohnverhältnisse, der frühe Tod ihres Kindes hat Giorgetta in die Depression und die Arme eines Liebhabers getrieben.

    Giorgetta: "Michele, Michele, hat der Sonnenuntergang dein Auge noch nicht geblendet?"

    Asmik Grigorians dunkel getönter Sopran lässt die Schwermut und die noch nicht erloschene Lebensglut der jungen Giorgetta sinnfällig aufscheinen. Anders als es im Libretto steht, ermordet in dieser Inszenierung am Ende Giorgettas eifersüchtiger Mann nicht den Geliebten seiner Frau. Die Frau tut es selbst. Was allerdings weder musikalisch noch szenisch zwingend abgeleitet wird. Aber der Regisseurin des "Mantels", Sabine Hartmannshenn, gelingt es gut, die zahlreichen parallelen Handlungsebenen des Stücks miteinander zu vernetzen.

    Überhaupt sind die drei Regisseurinnen des Abends auf Vernetzung aus. Jede ist für einen Teil verantwortlich und doch haben sie sich an die gemeinsame Operation am Leib einer krankenden Gesellschaft gemacht. Nachdem die Unterschicht behandelt ist, nimmt sich Eva-Maria Höckmayr in "Schwester Angelika" die Bourgoisie vor, ebenfalls um 1900, in den besseren Etagen des Stapelhauses. Eva-Maria Höckmayr deutet damit das Libretto, das ja eindeutig ein strenges Frauenkloster im 17. Jahrhundert vorsieht, radikal um. Schwester Angelika ist bei ihr keine Nonne. Sie ist eine verachtete Waise einer großbürgerlichen Familie. Von ihrer hartherzigen Tante wird sie aufgezogen und in den religiösen Wahn getrieben, zwecks Buße für ein uneheliches Kind, das man Angelika gleich nach der Geburt weggenommen hat. Halb flüchtet sie aber auch in diese Wahnwelt, und die ist das surreale Ambiente eines von Ängsten, Lüsten und Bosheiten gepeinigten Nonnenkonvents. Eine eindringliche psychopathologische Interpretation. Jacquelyn Wagner in der Titelrolle spielt und singt die geschundene Seele filigran, zärtlich, verletzlich. In den vielen schwierigen Höhen wird ihr noch etwas bange.

    Angelica: "Sprich zu mir, sprich zu mir, mein Kind, mein alles, meine Liebe."

    Nach Bürger und Arbeiter ist im dritten Teil des "Trittico" der Adel an der Reihe oder die geldgeile Elite unserer Spaßgesellschaft. Inszeniert als witzige Slapstickkomödie mit felinesker Boshaftigkeit von der dritten Frau im Regietrio, Gabriele Rech.

    Eine Wucht unter den erbschleichenden Damen die Sängerin der Zita, Dalia Schaechter. Als fabelhafte Komödiantin war die Altistin schon im "Mantel" aufgetreten, und in "Schwester Angelika" hatte sie als böse Tante das Fürchten gelehrt. Musikalisch hätte Will Humburg den ganzen impressionistischen bis expressiven Reichtum der "Trittico"-Partitur zeigen können, hätte er einen anderen Raum gehabt. Die Ausweichspielstätte im Musical Dome aber verschlingt allen Glanz und alle Feinheiten. Die Musiker haben das Beste aus der blauen Mülltüte herausgeholt, wie das Zelt in Köln genannt wird. Und mit ihnen der durch die Kölner Kulturpolitik vertriebene Intendant Uwe Eric Laufenberg. Unter ihm ist dieser gelungene Puccini-Abend auf die Beine gestellt worden, bevor er Köln verlassen musste. Wie groß der Verlust ist, wird die neue Spielzeit unter seiner Nachfolgerin Birgit Meyer zeigen. Noch klingt es schön am Rhein.

    Lauretta: "Mein liebes Väterchen!"