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Operation im Mutterleib

Medizin. - Hauptsache gesund - das wünschen sich alle werdenden Eltern für ihr Kind. Aber manchmal zeigt sich bereits im Ultraschall, dass das niemals der Fall sein wird. Eine relativ häufige Fehlbildung ist der offene Rücken, die Spina Bifida. Eins von 3000 Kindern ist betroffen. Allerdings werden zwei Drittel dieser Föten abgetrieben. Zu ungewiss ist den Eltern das Schicksal ihrer Kinder: Manche leben ein fast normales Leben andere haben schwere körperliche und geistige Defizite und müssen sich ihr Leben lang immer wieder operieren lassen. Ein Arzt aus Bonn hat eine Operationsmethode entwickelt, die für Kinder mit offenem Rücken eine Chance sein könnte, auch wenn sie die Fehlbildung nicht heilen kann. Allerdings muss die Methode früh genug angewandt werden: bereits im Mutterleib vor der 25. Schwangerschaftswoche.

    Von Kristin Raabe

    Hallo, wir haben einen zweijährigen Sohn. Am Tag nach seiner Geburt in der Uni-Klinik wurde er zum ersten Mal operiert. In den nächsten Wochen folgten noch zwei Eingriffe und im Frühjahr 2001 der Dritte wegen eines abgerissenem Katheters im Schulterbereich. Er ist ein sehr fröhlicher Junge, immer am Plappern, isst gerne. In einer für Ende November geplanten OP soll unter anderem ein Wirbel entfernt werden. Wer hat Erfahrungen mit dieser oder einer ähnlichen OP?

    Rat finden Eltern von Kindern mit offenem Rücken oft beim Chat mit anderen Betroffenen im Internet. Heilen lässt sich die Fehlbildung ihres Kindes nicht. Und das wussten die meisten Eltern schon vor der Geburt. Denn die Spina Bifida oder der offene Rücken lässt sich im Ultraschall gut erkennen. Wie stark der entstandene Schaden ist, können die Ärzte allerdings nicht immer voraussagen:

    Normalerweise um die Geburt herum versterben diese Kinder eigentlich nicht. Allerdings ist Spina Bifida, der offene Rücken, eigentlich sehr, sehr häufig mit bestimmten Begleitfehlbildungen des Gehirns vergesellschaftet, dass es also bis zum Alter von fünf Jahren zum Versterben von 15 bis 20 Prozent der Kinder kommt.

    Thomas Kohl arbeitet am Zentrum für Geburtshilfe und Frauenheilkunde der Universität Bonn. Er möchte den offen Rücken von Spina-Bifida-Kindern bereits im Mutterleib schließen. Denn im Verlauf der Schwangerschaft verursacht der offene Rücken noch andere Fehlbildungen, wie beispielsweise einen Wasserkopf, Lähmungen der Beine und des Verdauungsapparates. Das ließe sich verhindern, wenn der offene Rücken des Fötus bereits im Mutterleib verschlossen werden könnte. Stöße könnten die Nervenbahnen, dann nicht mehr so leicht schädigen. Außerdem wären die Nervenzellen vor dem Angriff von Verdauungsenzymen aus dem Fruchtwasser geschützt. Um das zu erreichen hat Thomas Kohl eine schonende Operationsmethode entwickelt. Drei Frauen und ihre Föten hat er zwischen der 23. und 26. Schwangerschaftswoche bislang operiert.

    Die Operation dauert zwischen zweieinhalb und vier Stunden. Die Schnitte, die wir anfertigen müssen, sind nur kleine Stichinzessionen, wie man das nennt, zwei Millimeter, drei Millimeter, mit einer Skalpellspitze. Dann führen wir als drei kleine Röhrchen ein in die Fruchthöhle. Diese Röhrchen selber haben einen Außendurchmesser von unter vier Millimeter also kleiner als der Strohhalm in einem Milchshake. Das ist also alles sehr wenig invasiv für die Schwangere.

    Mit Hilfe der Röhrchen und feinster Werkzeuge verschließt der Chirurg den offenen Rücken der Kinder mit einem Flicken aus Gore Tex. Ob dieser Schutz ausreicht, um weitere Fehlbildungen zu verhindern, kann Thomas Kohl erst einschätzen, wenn er mehrere Operationen durchgeführt hat. Bei seinem ersten Versuch kam das Kind leider viel zu früh auf die Welt. Es starb, weil es Komplikationen mit seiner Beatmung gab. Auch die anderen beiden Föten kamen zu früh auf die Welt:

    Das ist also ein kalkuliertes Risiko, was wir eingehen. Und was wir auch deswegen eingehen, weil wir denken, dass der Gewinn, den man durch diese Eingriffe erreichen kann, letztendlich größer ist als die Risiken, die man eingeht durch die Frühgeburtlichkeit. Das wird in vielen Fällen stimmen. Aber manchmal ist es auch so, dass die Babys so früh geboren werden, dass lebensbedrohliche zusätzliche Komplikationen auftreten können, dass solche Kinder auch an solchen Operationen versterben können.

    Weil die Ärzte mit der Frühgeburt rechnen, bekommen die Schwangeren rechtzeitig Medikamente, die die Lungenreifung der Föten fördern. Außerdem werden sie gründlich überwacht. Trotzdem muss sich jede Schwangere, die sich für solch eine Operation entscheidend über eins klar sein: Die Operation ist ein wissenschaftliches Experiment. Den beiden überlebenden Kindern geht es zur Zeit relativ gut. Sie können Ihre Beine bewegen. Aber Thomas Kohl weiß, dass es noch eine weile dauern wird, bis er den wissenschaftlichen Beweis für den Erfolg seiner Operationsmethode liefern kann. Geplant ist erst einmal noch weitere 30 Föten zu operieren.