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Operationen sollen sicherer werden

Operationen am Kopf sind kompliziert und sie sind riskant. Den dort befinden sich viele empfindliche Nerven. Ohne sie können wir nicht lachen, nicht richtig sprechen oder hören. In Freiburg wurden vergangene Woche auf einem Tumorkongress neue Techniken vorgestellt, die dem Operateur helfen sich zu orientieren: so genannte Navigationssysteme.

Martin Winkelheide |
    In Saal 4 wird operiert. Der Patient, ein Mann, 59 Jahre. Sein Körper ist vollständig mit hellblauen Tüchern abgedeckt. Ausgespart ist ein zehn mal zehn Zentimeter großes Feld. In der Nähe der rechten Schläfe. Jörg Schipper sitzt am OP-Tisch. Kopfhaube, Mundschutz, Latexhandschuhe. Er schaut durch das Mikroskop, das von der Decke hängt. Haut und Kaumuskeln des Patienten hat er bereits durchtrennt. Mit winzigen Instrumenten löst Jörg Schipper jetzt vorsichtig die Hirnhaut vom Knochen. Die Hirnhaut schimmert weiß.

    Das sind Mikroinstrumente. Das sind also ganz feine Instrumente. Wir operieren ja nur noch aus den Fingerspitzen, eine kleinste Bewegung ist unter dem Mikroskop wie eine Riesenbewegung. Wir operieren unter dem Mikroskop. Mit bloßem Auge können Sie das gar nicht richtig erkennen, sie müssen also ein Mikroskop haben.

    Das Ziel von Jörg Schipper: der innere Gehörgang des Patienten. Dort wächst ein gutartigen Tumor - ein Akustikus-Neurinom. Das soll entfernt werden.

    Das ist ein Tumor, ein gutartiger Tumor, der vom Gleichgewichtsnerv ausgeht, Größe etwa vier bis fünf Millimeter, der liegt hier im inneren Gehörgang, Hier sehen Sie das CT-Bild, das ist der innere Gehörgang hier, und genau in diesem Bereich liegt der Tumor.

    Das Problem: Der Gehörgang ist eng - fünf bis sechs Millimeter im Durchmesser. Und hier befinden sich wichtige Nerven: der Gesichtsnerv, die beiden Gleichgewichtsnerven, und der Hörnerv. Und die sollten nicht zerstört werden. Also kann der Tumor nicht durch das Ohr heraus operiert werden. Dann wäre der Patient taub. Der Operateur muss also einen Umweg nehmen.

    Wir kommen sozusagen von hier oben an, müssen diese Knochenschuppe wegbohren, und damit Sie sozusagen genau direkt ohne Zeitverlust ohne den Patienten unnötig zu traumatisieren, ihren Zielpunkt erreichen, setzt man die Navigation ein.

    Vorsichtig, in Etappen bohrt sich Jörg Schipper Richtung Gehörgang voran. Der Blick auf den Computerbildschirm vor ihm hilft bei der Orientierung. Der Bildschirm gehört zum Navigationssystem. Bilder vom Kopf des Patienten sind hier abrufbar - Computer-Tomogramme. Der Rechner hat sie zu einem dreidimensionalen Modell des Kopfes verrechnet. Eine virtuelle Wanderung durch das Innere des Gehirns ist möglich. Aus allen denkbaren Perspektiven. In feinster Auflösung. Und die Bilder des 3-D-Modells lassen sich abgleichen mit der Realität. Das geht mit Hilfe einer Orientierungssonde. Das System peilt die Sondenspitze an, die Position der Sonde erscheint auf dem Computerschirm. So sieht der Operateur, wo er gerade operiert. Millimetergenau.

    Ich kontrollieren natürlich auch das Navigationssystem, ich sehe mir noch während der Operation Landmarken, anatomische, die ich kenne, und schaue, ob mir das Navigationssystem die auch anzeigt, und wenn ich sehe, das stimmt, d.h. die Genauigkeit ist da, dann suche ich mit meiner Instrumentenspitze genau den Punkt, dass mir das Navigationssystem anzeigt, ich bin jetzt genau über dem inneren Gehörgang, der noch knöchern bedeckt ist, und an dieser Stelle werde ich den inneren Gehörgang aufbohren.

    Das Navigationssystem zeigt: Jörg Schipper ist an der richtigen Stelle angekommen. Genau hier, hinter dem Knochen: müsste der Tumor liegen. Jörg Schipper führt den winzigen Bohrer ein und fräst den Knochen Stück für Stück weg. Ein Loch entsteht. Unter dem Mikroskop sieht es riesig aus - real hat es vielleicht einen Durchmesser von wenigen Millimetern. Klare Flüssigkeit fließt aus, im Takt des Herzschlages. Gehirnwasser. Mit einem schlürfenden Geräusch verschwindet die Flüssigkeit im Saugrohr. Der Blick ist frei auf ein gelb-bläuliches Gebilde. Durchmesser - etwa vier Millimeter. Der Tumor. Jörg Schipper hält ihn mit dem Sauger fest, er schneidet winzige Teile ab. Die Miniatur-Zange schnappt zu. Biss für Biss wird der Tumor kleiner. Bis nichts mehr von ihm zu sehen ist. Die Tumorstückchen werden gesammelt. Sie sollen vom Pathologen untersucht werden. Zur Sicherheit bohrt Jörg Schipper das Loch im Gehörgang-Knochen weiter auf. Unter dem Knochen könnte sich noch ein kleiner Tumorrest verbergen. Diese Sorge stellt sich als unnötig heraus.

    Ich schau jetzt hier aufs Gehirn, Sie sehen hier diesen Strang, das ist der Gesichtsnerv. Hier unter meinem Sauger. Der hier aus dem Hirnstamm rauskommt. Der Hörnerv ist auch noch intakt. ...

    Hörnerv und Gesichtsnerv sind von der Operation nicht geschädigt worden. Das zeigen Kontrolluntersuchungen noch im Operationssaal. Die Operation war erfolgreich. Jörg Schipper verschließt das Loch im Gehörgang-Knochen mit einem Stückchen Muskel. Er schiebt vorsichtig die Gehirnhaut wieder an ihre ursprüngliche Stelle.

    Der Kopf wird wieder verschlossen mit einem Knochendeckel, wir haben ja einen Knochendeckel herausgefräst, das wird wieder eingesetzt der Knochen, wird mit Nähten fixiert, und dann wird die Haut wieder verschlossen, dann kommt der Patient eine Nacht auf Intensivstation und dann wieder auf normale Station.

    Sechs Stunden hat der Eingriff gedauert. Wenn alles gut verheilt, dann bleibt nur eine kleine Narbe zurück. In der Nähe der Schläfe - gut versteckt unter dem Kopfhaar.

    Beitrag als Real-Audio

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