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Operneinspielungen aus Venedig

Das altehrwürdige Teatro La Fenice in Venedig, eines der berühmtesten Opernhäuser der Welt, ist im Laufe seiner Geschichte mehrmals abgebrannt; zuletzt wurde es im Januar 1996 durch Feuer zerstört. Nach über dreijähriger Rekonstruktion konnte das Haus wieder seine Pforten öffnen. Dass hier nicht nur Standardrepertoire zu erleben ist, versteht sich fast von selbst. Mehrere dort zu hörende Opernraritäten hat das italienische Plattenlabel 'Dynamic' als Livemitschnitte veröffentlicht; dazu gehört die vor kurzem erschienene Aufnahme von Gaetano Donizettis 'Pia de Tolomei'.

Von Klaus Gehrke |
    * Musikbeispiel: Gaetano Donizetti - aus: "Pia de Tolomei"

    Kein Zweifel: es klingt nach Verdis 'La Traviata'. Allerdings entstand Donizettis 'Pia de Tolomei' 17 Jahre vor dem Meisterwerk seines Kollegen: 1836 schrieb er die zweiaktige Oper für das Teatro La Fenice in Venedig. Als literarische Vorlage diente Donizetti eine Geschichte aus dem fünften Gesang von Dantes 'Göttlicher Komödie': Pia, die treue Gattin des Nello, wird von dem abgewiesenen Ghino beschuldigt, ein Verhältnis zu haben; der eifersüchtige Ehemann lässt sie zur Strafe einsperren und vergiften. Zu spät erfährt er, dass der vermeintliche Nebenbuhler der Bruder seiner Frau ist; Pia stirbt in den Armen des reumütigen Gatten. Diese Geschichte aus dem späten Mittelalter stand zu Beginn des 19. Jahrhunderts hoch im Kurs und versprach, auch als Oper ein Erfolg zu werden. Die geplante Uraufführung im Teatro La Fenice fiel einem Brand zum Opfer, der das Haus im Dezember 1836 in Schutt und Asche legte. Dennoch wurde Donizettis 'Pia de Tolomei' am 18. Februar 1837 vertragsgemäß in Venedig gegeben - im Teatro Apollo. Zu den damals besonders umjubelten Szenen der Oper gehört das Duett Ghino-Nello aus dem ersten Akt, hier gesungen von Dario Schmunck und Andrew Schroeder.

    * Musikbeispiel: Gaetano Donizetti - aus: "Pia de Tolomei"

    Obwohl 'Pia de Tolomei' nicht unbedingt zu den stärksten Opern Donizettis gehört und hier und da der routinierte Bühnenkomponist herauszuhören ist, gibt es doch zahlreiche musikalisch höchst eindrucksvolle und ergreifende Stellen in dem Werk; etwa die, in der die Protagonistin angesichts ihres nahen Todes voller Liebe und Innigkeit des eifersüchtigen Gatten gedenkt. Patrizia Ciofi wird begleitet vom Orchestra del Teatro La Fenice di Venezia.

    * Musikbeispiel: Gaetano Donizetti - aus: "Pia de Tolomei"

    Wie Donizettis 'Pia de Tolomei' ist auch Jules Massenets fünfaktige Oper 'Der König von Lahore' ein Werk, das hierzulande praktisch unbekannt ist; immerhin eröffnete es dem französischen Komponisten den Zugang zur Pariser Opera. Zwar hatte der 1842 in Montaud geborene Massenet bereits 1872 ein erstes Bühnenwerk geschrieben, doch erst vier Jahre später gelang ihm mit dem 'König von Lahore' der Durchbruch als Opernkomponist. Dessen Premiere im April 1877 wurde sowohl vom Publikum als auch von der Kritik gefeiert. Die Handlung des Werkes spielt im pakistanischen Pandschabgebiet zu Beginn des 15. Jahrhunderts und erzählt von der verbotenen Liebe Alims, des Königs von Lahore und Sita, der Priesterin des Indra-Tempels. Diese wird auch von dem machtbesessenen eifersüchtigen Scindia begehrt. Er klagt Alim vor dem Hohepriester des Liebesfrevels an und als Sühne muss der König von Lahore in den Krieg gegen die Muselmanen ziehen, den er verliert. Scindia bemächtigt sich seines Throns und will Sita heiraten; doch Alim, durch Reinkarnation wieder zum Leben erweckt, verhindert dies. Die Nähe des 'König von Lahore' zu den großen Werken Meyerbeers ist oft deutlich hörbar, beispielsweise in den zahlreichen Chorszenen wie hier im Finale des 2. Aktes.

    * Musikbeispiel: Jules Massenet - aus: "Roi de Lahore"

    Auch in Massenets Musiksprache ist das Vorbild Meyerbeers oft unüberhörbar; dennoch weist das Werk im Ausdruck deutlich auf den französischen spätromantischen Meister hin. Darüber hinaus lässt Massenet in verschiedenen Szenen instrumentales und melodisches exotisches Kolorit einfließen.

    * Musikbeispiel: Jules Massenet - aus: "Roi de Lahore"

    Nach der Uraufführung des 'König von Lahore' verbreitete sich Massenets Ruf als Opernkomponist in ganz Europa. Seine Werke beeinflussten darüber hinaus mehrere italienische Komponisten wie etwa Alfredo Catalani. Gerade in den späteren Opern gelang Massenet eine Verknüpfung der Grand Opera mit dem aufkommenden Verismo. Allerdings konnten sich nur wenige seiner Werke außerhalb Frankreichs dauerhaft auf der Bühne halten. Sowohl Massenets 'König von Lahore' als auch Donizettis 'Pia de Tolomei' sind heute selten aufgeführte Raritäten. In dieser Hinsicht bedeuten die beiden Live-Einspielungen des Labels 'Dynamic' eine Bereicherung des Opernrepertoires. Die dynamische und sensible Interpretation der Sänger und des Orchester unter Dirigent Sergio Segalini zeigt nicht nur das hohe Niveau des Teatro La Fenice, sondern auch die großen musikalischen Schönheiten der beiden Werke.

    * Musikbeispiel: Jules Massenet - aus: "Roi de Lahore"

    Ein Ausschnitt aus dem Finale des 5. Aktes von Jules Massenets Oper 'Der König von Lahore' Ana Maria Sanchez, Giuseppe Gipali, Vladimir Stoyanov sowie Chor und Orchester des Teatro La Fenice unter der Leitung von Sergio Segalini. Damit ging unsere heutige Sendung 'Die neue Platte' zu Ende, am Mikrofon verabschiedet sich Klaus Gehrke.

    Gaetano Donizetti - "Pia de Tolomei"
    Patrizia Ciofi, Sopran
    Dario Schmunck, Tenor
    Andreas Schroeder, Bariton
    Laura Polverelli, Mezzosopran
    Teatro La Fenice di Venezia
    Leitung: Paolo Arrivabeni
    Label: Dynamic/ KLASSIK CENTER KASSEL
    Bestellnr.: CDS488

    Jules Massenet - "Roi de Lahore"
    Giuseppe Gipali, Tenor
    Ana María Sánchez, Sopran
    Vladimir Stoyanov, Bariton
    Riccardo Zanellato, Bass
    Teatro La Fenice di Venezia
    Leitung: Marcello Viotti
    Label: Dynamic/ KLASSIK CENTER KASSEL
    Bestellnr.: CDS487