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Opposition ohne Chance

Ägypten wählt ein neues Parlament. Ob das Ergebnis des Urnengangs jedoch Volkes Willen widerspiegelt, bliebt ungewiss - denn die Regierungspartei von Präsident Mubarak lässt nichts unversucht, die Oppositionsparteien zu behindern.

Von Jürgen Stryjak Kairo | 27.11.2010
    An einem Abend wenige Tage vor der Wahl. Ein halbes Dutzend Pkws hält am Rand des Kairoer Armenviertels Ezbet al-Haganah. Frauen und Männer steigen aus. Zügig laufen sie ins Viertel hinein, durch die engen Gassen eines Stadtteils, der illegal errichtet wurde. Er ist ein sogenanntes 'Ashwa'iyya, ein ungeplantes Viertel.

    Die Frauen und Männer verteilen Flugblätter und kleben Plakate an Hauswände. Es sind Aktivisten der Muslimbruderschaft, unter ihnen Manal Aboul Hassan. Die 50-Jährige tritt als Kandidatin der Bruderschaft zu den Parlamentswahlen an. Das Armenviertel gehört zu ihrem Wahlkreis.

    Die Medienwissenschaftlerin begrüßt die Leute, reicht einigen die Hand und zieht dann weiter. Alles muss sehr schnell gehen. Es ist wichtig, das Viertel so weit wie möglich zu durchqueren, bevor die Polizei mit ihren Mannschaftswagen auftaucht. Sie ist überall dort zur Stelle, wo die Bruderschaft Wahlkampf betreibt. Und mit ihr die sogenannten Beltagiyyin. Das sind skrupellose Schlägertypen, die nicht zur Polizei gehören, aber ein paar ägyptische Pfund dafür kriegen, dass sie für Randale sorgen.

    "Die Polizei hat schon etliche von uns festgenommen", sagt Manal Aboul Hassan. "Sie hat sogar Kinder verprügelt. Einem zwölfjährigen Jungen wurden die Zähne rausgeschlagen. Überall werden meine Transparente zerstört, im Gegensatz zu den Wahlplakaten meines Konkurrenten, des Ölministers. Seine Plakate hängen überall."

    Nach einer guten Stunden verlässt die Kandidatin das Viertel. Es ist alles glattgegangen, keine Mannschaftswagen, keine Schlägertrupps. Die Muslimbrüder nennen solche Touren Masira. Sie werden konspirativ vorbereitet. Nur wenige wissen vorher, wohin es geht.

    "Vergesst nicht, am Sonntag zur Wahl zu gehen", ruft sie den letzten Passanten noch zu. Viele der Menschen in dem Viertel sind begeistert.

    Er gehe zur Wahl, sagt ein Mann, und werde auf jeden Fall für Manal Aboul Hassan stimmen. Sie sei eine gute Frau. Eine Straßenhändlerin ergänzt: "Sie mag die Leute hier in unserem Viertel."

    Keine Wahlkampagne wird so erbittert bekämpft wie die von der islamistischen Muslimbruderschaft. Über 1000 ihrer Anhänger sollen in den letzten Wochen festgenommen worden sein. Das Regime möchte verhindern, dass ein Fünftel aller Stimmen wieder an Muslimbrüder geht, wie bei der letzten Parlamentswahl 2005.

    Mehr als 5000 Kandidaten bewerben sich für die 508 Sitze im Parlament. Weitere zehn Abgeordnete werden vom Präsidenten bestimmt, es handelt sich zumeist um Kopten, also christliche Abgeordnete. Eine Neuheit in diesem Jahr ist die Frauenquote. 64 Mandate sind für weibliche Abgeordnete reserviert.

    "Die ägyptische Frau und wir alle, wir werden stolz darauf sein, dass es uns gelang, diese Quote durchzusetzen", sagte Präsident Hosni Mubarak in einer Rede, "ich gratuliere der ägyptischen Frau dazu, dass sie diese Erfahrung machen darf. Und ich wünsche den Kandidatinnen meiner Partei viel Erfolg."

    Egal wen man fragt, niemand zweifelt daran, dass das Wahlergebnis im Grunde bereits feststeht. Mubaraks Partei wird auch im nächsten Parlament die absolute Mehrheit aller Volksvertreter stellen. Zu viele Unregelmäßigkeiten gab es im Wahlkampf, zu oft wurden Oppositionspolitiker behindert.

    "Ich bestätige noch einmal", erklärte Hosni Mubarak, "dass sich meine Partei korrekte und freie Wahlen wünscht. Wir geben den Wählern die Gelegenheit, in großer Zahl an der Parlamentswahl teilzunehmen."

    Bürgerrechtler und Oppositionspolitiker hingegen halten vieles für möglich, nur nicht, dass der Präsident diesen Wunsch tatsächlich ernst meint. Abdel Halim Kandil von der Protestbewegung "Es reicht" sagt:

    "Dass Mubarak eine korrekte Wahl verspricht, ist blanker Zynismus. Das verspricht er immer, und trotzdem wird jedes Mal ordentlich manipuliert."

    Praktisch alle Oppositionsparteien beklagen massive Behinderungen, selbst die Al-Wafd, die eher als gezähmte Blockpartei gilt.

    Politiker verschwanden aus den Kandidatenlisten, Wähler aus den Wählerlisten. Immer wieder kam es vor, dass Transparente und Wahlplakate der Opposition zerstört wurden. In Alexandria, der zweitgrößten Stadt des Landes, untersagte ein Verwaltungsgericht deshalb sogar die Stimmabgabe in zehn von elf Wahlbezirken. Die Behörden hätten, so lautet die Begründung, zu viele Kandidaten einfach von den Listen gestrichen.

    In den Medien hatte die Opposition kaum eine Chance. 61 Prozent der Sendezeit für Wahlsendungen im ersten Programm des ägyptischen Fernsehens waren bis Mitte November der Regierungspartei NDP gewidmet. Der Rest fiel überwiegend auf die Al-Wafd-Partei. Alle anderen teilten sich sechs Prozent. Ganze elf Sekunden erhielt die Muslimbruderschaft. Pünktlich zur Wahl schlossen die Behörden zudem mehrere private Satellitensender. Und TV-Produktionsfirmen dürfen nur noch an Schauplätzen filmen, die vorher genehmigt wurden.

    Manal Aboul Hassan, die Kandidatin der Muslimbruderschaft spricht auf einer Wahlveranstaltung vor 200 Frauen.

    "Es ist egal, ob jemand Muslim oder Christ ist. In manchen Wahlbezirken unterstützen wir christliche Kandidaten. Hauptsache er ist Ägypter und setzt sich für den Wandel und für Reformen ein. Christen sollen in Ägypten ihre Rechte erhalten. Aber nicht nur sie, allen Bürgern stehen ihre Rechte zu, egal ob Kind, Frau oder Mann."

    Wer der Kandidatin und den Frauen im Saal zuhört, spürt, dass gesellschaftliches Engagement auch die Bruderschaft verändert. Dieses Experiment mit ungewissem Ausgang will das Mubarak-Regime jedoch auf keinen Fall riskieren. Es will seine Macht sichern. Vermutlich schafft es die Bruderschaft trotzdem, wieder ins Parlament zu kommen, wahrscheinlich mit weniger Abgeordneten als beim letzten Mal. Mubarak braucht sie, als Schreckgespenst. Er möchte sich als einzige ernst zu nehmende Alternative zu den Islamisten präsentieren, als Garant für Stabilität im Land.

    Ob das Wahlergebnis tatsächlich dem Wählerwillen entspricht, wird die Welt ohnehin nie erfahren. Weder dürfen die Richter des Landes die Stimmabgabe unabhängig kontrollieren, wie bei der letzten Wahl, noch sind internationale Beobachter zugelassen.