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Oscar-Favoriten
Die USA als zerrissenes Land

Blickt man auf die USA durch die Brille der für einen Oscar nominierten Filme, präsentiert sich das Land ziemlich düster. In dem Bankraub-Film "Hell or High Water" werben marode Geldinstitute weiter zynisch um Vertrauen. In "Fences" ist der amerikanische Traum immer nur einer für die anderen.

Von Hartwig Tegeler | 24.02.2017
    Jeff Bridges und Gregory Crusz in "Hell or High Water" von David Mackenzie
    Jeff Bridges und Gregory Crusz in "Hell or High Water" von David Mackenzie (imago/ZUMA Press)
    "Lass die Karre an."
    Überfall.
    "Shit. Fahr, fahr, fahr!"
    Zwei Brüder rauben eine Bank aus, die sich ihr Land unter den Nagel reißen will. Das ist so im Genre des Bankraub-Films, auch im Oscar-nominierten "Hell or High Water".
    "Das war keine Midlands-Filiale. Das gehörte nicht zum Plan."
    Er erzählt vom Widerstand gegen eine Ordnung, die zu einer des Unrechts geworden ist. Und in David Mackenzies Neo-Western treffen wir auf Outlaws in ihrer zeitgemäßen Gestalt: die sogenannten "Abgehängten". Zurzeit die wichtigsten Protagonisten von Gesellschaftsanalysen. "Hell or High Water" zeigt Panoramen staubiger texanischer Weiten, Diners, Highways, an denen Geldinstitute auf riesigen Werbetafeln weiter zynisch um Vertrauen werben. Hier ist Amerika am Boden. Und die diese Schneise der Zerstörung mit der Wirtschafts- und Finanzkrise von 2007/2008 gezogen haben, sie kommen nicht von jenseits der Grenze, erzählt uns "Hell or High Water".
    Filme pressen Finger in gesellschaftliche Wunden der USA
    Die Mehrzahl der in diesem Jahr in der Oscar-Kategorie "Bester Film" Nominierten präsentiert einen erzählerischen Kosmos jenseits der Boxoffice-Superhelden-Franchises. Diese Filme pressen vielmehr die Finger in die gesellschaftlichen Wunden der USA. Auch in historischen Erzählungen, in denen Konflikte gezeigt werden, die - für jeden offensichtlich - in unsere Gegenwart hineinreichen.
    "Gib doch mal einfach zu, dass du zu alt für die Major League warst. Wieso kannst du das nicht zugeben?"
    Wenn "Hell or High Water" die ökonomische Spaltung des Landes beschwört, wirft Denzel Washington in "Fences" - zu deutsch "Zäune" - den Blick zurück und zeigt die USA der späten 1950er Jahre als rassistische Klassengesellschaft.
    "Jetzt komm du nicht und sag', ich war zu alt. Ich hatte bloß die falsche Hautfarbe. Hölle."
    Der afroamerikanische Müllmann Troy aus "Fences" wirkt in seinem selbstgerechten Lamentieren über verpasste Chancen wie ein Bruder von Willy Loman, dem Handlungsreisenden aus Arthur Millers Stück. Und die Botschaft dieser dunklen Geschichten laute: Der "Amerikanische Traum" ist immer nur einer für die anderen.
    "Hidden Figures" - Über Rassismus und Sexismus in den 1960er Jahren
    Eine Dekade später: Im Fokus von "Hidden Figures" steht als Variante zu "Fences" - neben Rassismus auch Sexismus.
    Szene aus "Hidden Figures"
    Taraji P. Henson als "Katherine G. Johnson" in dem amerikanische Spielfilm "Hidden Figures". (imago/Entertainment Pictures/ZUMAPRESS.com Atlanta U.S.)
    "Der Pastor meint, Sie sind Rechenexpertin bei der NASA. Ziemlich schwere Kost. - Allerdings. - Die lassen Frauen so was … äh."
    "Hidden Figures", der Film über die afroamerikanischen Wissenschaftlerinnen bei der NASA, gönnt sich zwar ein Happyend und ist komisch …
    "Sind Sie ein Spion, Catherin? - Nein, Sir, ich bin keine Russin. - Sie ist keine Russin."
    … eingeschrieben aber hat Regisseur Theodore Melfi in "Hidden Figures" Bilder über die 1960er Jahre, bei denen einem Lachen und Wohlfühlen im Halse steckenbleiben: Die schwarze Wissenschaftlerin, viel, viel klüger als ihre männlichen Kollegen, muss einen Kilometer weit zur nächsten Toilette laufen und macht sich dabei fast in die Hose, weil die Klos an ihrem Büroflur nur von Weißen frequentiert werden dürfen.
    Auch in den 1980er-, 90er-Jahren, der Zeit, in der "Moonlight" spielt, ist das Leben eines Afroamerikaners nicht beschaulicher geworden, zumal, wenn er aus den gewalttätigen Stadtteilen von Miami stammt und zudem noch homosexuell ist.
    Überall Zäune - "fences" - in diesen Erzählungen über ein zerrissenes Land.
    Einer wagt die Utopie
    "Ich bin neugierig. Träumst du in ihrer Sprache?"
    Und die Utopie? Wagt einer dieser nominierten Filme eine Utopie als Gegenentwurf zu all diesen Dystopien? Ja! "Arrival" begeht das Wagnis, in dem Denis Villeneuve von Zäunen erzählt, die überwunden werden gerade in der Begegnung mit dem Fremden.
    "Die Theorie besagt, dass die Sprache, die man spricht, das Denken prägt. - Ja, sie bestimmt unser Weltbild."
    Die Aliens aus dem All sind angekommen. Die Bellizisten wollen die Fremden weg bomben. Am Ende ist die positive Heldin dieses komplexen wie betörenden Films die Sprachwissenschaftlerin, die mit den Fremden in deren Sprache kommuniziert. Und diese Kommunikation - Gegenentwurf zu Abgrenzung - ist das Geschenk der Fremden an uns. Eine zentrale Rolle in "Arrival" spielt der Satz: "Im Krieg gibt es keine Gewinner." Beim Ziehen von inneren und äußeren Zäunen ebenso wenig.