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Oscar Gabriel, Beate Neuss, Günther Rüther Hg.) Oscar Gabriel, Beate Neuss, Günther Rüther Hg. Konjunktur der Köpfe? Eliten in der modernen Wissensgesellschaft

Zeiten politisch-gesellschaftlichen Umbruchs mögen als spannend empfunden werden; zumindest von denen, die solche Prozesse begleiten oder gar beeinflussen können. Viele, die Veränderungen - warum auch immer - eher passiv erleben, reagieren hingegen verunsichert. Fragen nach dem Wohin und Wieso werden laut - und in Deutschland immer drängender gestellt. Nach dem 9. November 1989 hat sich die Bundesrepublik gewandelt und sie steht vor weiteren Veränderungen. Dass das Land dabei nicht isoliert dasteht, ist nach dem 11. September 2001 überdeutlich. Weil Fragen der Antwort bedürfen, richtet sich der Blick auch auf jene, die Politik und Gesellschaft - im besten Fall - gestalten: die Eliten.

Von Reinhard Backes |
    Dass jetzt ein Sammelband mit dem Titel Konjunktur der Köpfe? Eliten in der modernen Wissensgesellschaft erschienen ist, wundert folglich nicht. Dass ihn die Konrad-Adenauer-Stiftung, die zu ihren Aufgaben die Begabtenförderung zählt, herausgibt, auch nicht. Neben dem Leiter der Begabtenförderung der Stiftung, Günther Rüther, firmieren die Chemnitzer Politologin Beate Neuss und ihr Stuttgarter Kollege Oscar Gabriel als Herausgeber. Was auffällt ist die Breite der Darstellung: 28, überwiegend wissenschaftliche Beiträge, umfasst das mehr als 380 Seiten starke Werk. Begriffsklärung, historische Einordnung wie aktuelle politische Bezüge finden ebenso Platz wie Betrachtungen zum Stellenwert der Eliten in den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen, zum Beispiel in der Wirtschaft und in der Wissenschaft sowie in den Medien. Schwerpunkt der Publikation ist aber eindeutig das politische Führungspersonal.

    Zum Inhalt: Der Begriff ‚Elite’, der sich vom lateinischen eligere - zu deutsch auslesen - ableitet, hat seinen Schrecken verloren. Er wird nicht mehr gleichgesetzt mit der Herrschaft einiger weniger, der Arroganz oder gar dem Missbrauch der Macht. Dass die Marx’sche Prämisse, eine fortschreitende Demokratisierung der Gesellschaft werde Eliten überflüssig machen, nicht stimmig ist, hat sich ebenfalls herumgesprochen. Das Wissen um die Notwendigkeit von geeignetem Führungspersonal in Politik, Wirtschaft, Bildung und Kultur sowie in den Medien, in allen Lebensbereichen also, ist ebenfalls Allgemeingut. Ob Deutschland deshalb die Elite neu entdeckt, wie es in der Verlagsankündigung vollmundig heißt, sei dahingestellt. Fakt ist sicherlich, dass heute mehr denn je nach der Qualität von Eliten gefragt wird, nach ihrer Legitimation und ob sie bzw. nach der Art und Weise wie sie Verantwortung übernehmen. Grundlage ihrer Position oder Funktion ist das Wissen, über das der Einzelne oder die Gruppe verfügt; Akzeptanz finden sie in dem Maß, in dem sie es zum Wohl aller in die Gesellschaft einbringen.

    Eigentlich neu ist das alles zwar sicherlich nicht, aber dennoch lesenwert, weil Zusammenhänge deutlicher werden. Etwa, dass die Protestbewegung der späten 1960-er Jahre nicht unwesentlich zur verbreiteten Ansicht geführt hat, die Demokratie sei unvereinbar mit der Bildung von Eliten. Nivellierung statt Niveau sozusagen. Inzwischen setzt sich mehr und mehr die Erkenntnis durch, dass eine Gesellschaft, deren wichtigste Ressource das geistige Vermögen seiner Bürger ist, nur dann Bestand hat, wenn es ihr gelingt, dieses Potential auch zu nutzen.

    Spannend sind Beiträge, die Fragen nachgehen wie: "Blockieren Eliten notwendige politische Entscheidungen?" oder "Wie bildet man Eliten?", weil sie offenkundige Mängel bloßlegen:

    Die Aufgabe der Politik, Ideen und Interessen zu integrieren und auf dieser Basis Politik zu gestalten und Akzeptanz zu finden, ist durch zahlreiche Entwicklungen gefährdet. Weniger Wählerstimmen, wachsende Wahlenthaltungen, weniger Stammwähler, Stagnation oder gar Schrumpfen der Mitgliederzahlen und verbreitete Kritik und Parteienverdrossenheit signalisieren den Verlust an integrativer Kraft.

    Statt den gesellschaftlichen Wandel zu gestalten, moderieren Politiker die Interessen gesellschaftlicher Gruppen. Das Verfahren ist ihnen oft wichtiger als das Ergebnis. Ist auf niedrigstem Niveau ein Kompromiss gefunden, wird dies dem staunenden Publikum als Ereignis historischen Ausmaßes verkauft. Akzeptanz fördert ein solches Verhalten nicht.
    Bildung reduziert oder eliminiert Defizite. Das gilt auch für Eliten, die ihren Status erworben und zeitlich befristet innehaben. Bildung gepaart mit Integrität.

    Angehörige einer demokratischen Elite müssen sich als Anreger und Initiatoren gesellschaftlicher Reformen verstehen, aber auch als Hüter kultureller Traditionen und als Mahner gegenüber kurzfristigen Zeitgeisterscheinungen und Moden. Sie müssen eigene begründete Wertentscheidungen treffen und eine Wachheit für letzte Fragen zeigen.

    Beliebigkeit steht einem solchen Anspruch, dem viele gern - doch übereilt, weil unreflektiert - das Etikett konservativ anheften, entgegen. Wer vor allem von Wertewandel spricht, sich scheut, allgemein verbindliche Normen einzufordern, geschweige denn sie selbst zu leben, wird ihm wohl nicht gerecht.

    Fazit: Zu hoffen ist, dass Konjunktur der Köpfe? Eliten in der modernen Wissensgesellschaft nicht nur den wissenschaftlichen Diskurs bereichert. Wäre die Publikation weniger umfangreich ausgefallen und pointierter in der Darstellung, hätte dies dem Anliegen des Buches sicher geholfen, nämlich in der gegenwärtigen gesellschaftlichen Situation die Diskussion über Reforminhalte zu vertiefen und gleichzeitig diejenigen, die sie vertreten, auf den Prüfstand zu stellen.

    Oscar Gabriel, Beate Neuss, Günther Rüther Hg.)
    Konjunktur der Köpfe? Eliten in der modernen Wissensgesellschaft
    Droste Verlag, 386 S., EUR 22, 95