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Ostableger des Fluxus

Das Strömen ist ein Grundprinzip von Fluxus. Fluxus-Künstler Wolf Vostéll übergoss ein Auto mit und in Beton, das Autoradio erklang darin, solang die Batterie Strom lieferte. Geschehensabläufe werden collagenartig komponiert. Joseph Beuys ließ sich im Filzmantel stundenlang zusammen mit Wölfen einschließen. Leben und Kunst wurden zusammengeführt. Das war radikale Kunstavantgarde, die es auch in Osteuropa gab. Diesem Zweig der Bewegung widmet sich "Fluxus East", eine Ausstellung im Künstlerhaus Bethanien in Berlin.

Von Carsten Probst |
    Mit den Definitionen fängt es schon an: War Fluxus wirklich so "ANTI", wie von George Maciunas in seinem Fluxus-Manifest gefordert? War es eine reine Anti-Kunst, ohne Begriffe, ohne Ästhetik, ohne Imitation, Abstraktion und vor allem ohne Einflüsse, selbst ohne europäische Einflüsse?

    Die fröhliche Anarchie der Fluxusidee hatte jedenfalls massive Wirkung, gerade auch in den sozialistischen Staaten Osteuropas. Bedingt durch die kurze poststalinistische Blüte Anfang der sechziger Jahre entwickelte sich ein reger Austausch zwischen West und Ost. Vor allem George Maciunas als gebürtiger Litauer war getrieben von der Idee, Fluxus als Anti-Kunst-Praxis in ganz Osteuropa zu verbreiten. Legendär ist sein Brief an Nikita Chruschtschow, in dem er Fluxus als revolutionäre Kunstbewegung und besonders geeignet für alle revolutionären Staaten pries und dafür warb, sie dort offiziell einzuführen. Geplant war immer wieder eine Grand Tour aller wesentlichen Fluxuskräfte durch Osteuropa, um dort zahllose Konzerte und Performances durchzuführen. Aber eine solche Reise gelang erst Erik Anderson 1964, der als Däne geringere Visa-Probleme hatte und dann drei Monate die vorher geknüpften Kontakte in den wichtigsten sozialistischen Ländern abklapperte. Und während man im Westen fast nicht von der Kunstszene im Osten wusste, begegnete Anderson auf seiner Tournee lauter bestens informierten Kollegen, die alles über die westlichen Kunstbewegungen wussten.

    Später gab es weitere Begegnungen, wie ein dreitägiges Flux-Konzert in Prag 1966 und in den siebziger Jahren zum Beispiel auch die Eröffnung der Fluxus-Galerie "Akumulatory" im polnischen Poznan. Doch nach Zerschlagung des Prager Frühlings 1968 rissen die meisten Kontakte in den gesamten Osten abrupt ab.

    Erik Anderson berichtet auch, vielen Aktionskünstlern im Osten sei überhaupt nicht bewusst gewesen, dass sie Fluxus gemacht hätten. Nach der Wende habe sich gezeigt, dass sie völlig unabhängig von den Kontakten zu den westlichen Kollegen nur weiter gemacht hätten, was sie ohnehin immer getan haben.

    Das macht es für die umtriebige Ausstellungskuratorin Petra Stegmann im Künstlerhaus Bethanien nicht unbedingt leichter. Die politische Dimension, die Fluxus im Sozialismus notwendigerweise erhalten musste, konnte und durfte sie im Westen per definitionem nicht haben. Der Übergang zu anderen dissidentischen Kunstformen wie Happening oder Aktionskunst war im Osten dagegen mitunter so selbstverständlich, weil viele Künstler, die unter dem System nicht auftreten durften, schon dadurch miteinander verbunden waren.

    Kuratorin Petra Stegmann will nun keinesfalls einen Fluxus-Kanon nach westlichem Maßstab erstellen, wie sie betont, die ganze Ausstellung sei, so einzigartig und überfällig sie achtzehn Jahre nach der Wende auch ist, bislang ohnehin noch ein Work in Progress, weil auch immer neue Dokumente, Fotos von Aktionen, Briefe und Notizen auftauchten. Zudem werde die Schau ja in die osteuropäischen Staaten wandern, und sei noch gar nicht ausgemacht, wie sie dort aufgenommen werden. In Litauen beispielsweise ist George Maciunas zwar einerseits heute eine Kultfigur, andererseits könnte man ihm durchaus seine Kontaktaufnahme zu Chruschtschow übel nehmen oder seinen Briefwechsel mit dem früheren litauischen Staatspräsidenten Vitautas Landsbergis, der in den sechziger Jahren als Komponist auch bei den Fluxuskünstlern mitmischte, heute aber zu den bekennenden Nationalisten in der litauischen Politik zählt

    Dennoch hat Stegmann versucht, sich an eine engere Definition von Fluxus zu halten. Künstler wie der Slowake Julius Koller sahen sich beispielsweise zwar nie als Fluxuskünstler, aber praktizierten sogenannte Anti-Happenings, weil der Begriff Happening allein im Ostblock verboten war und tauchen daher in der Ausstellung auf. Anti-Happenings waren in der Tat sehr fluxusartig. Viele andere dagegen hatten eher politische Protestkunst zum Ziel und sich dabei zwar zum Teil auf Fluxus berufen, veranstalteten dagegen eher politische Happenings und tauchen daher hier nicht auf.

    So ist das eben mit Definitionen, man kann sich nie sicher sein, wohin man gerade gehört, schon gar nicht, wenn man Fluxus macht.