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Pandemie mit zwei Gesichtern

Medizin. - Vor gut einem Jahr sorgte die Schweinegrippe für Schlagzeilen. Deren Erreger wird wohl auch dieses Jahr wieder unter den Influenza-Viren der Saison sein, vermutlich aber ohne solches Aufsehen. In der Zeitschrift "PLoS Medicine" ziehen zwei Epidemiologen aus Hong Kong und Stockholm Bilanz der damaligen Pandemie.

Von Volkart Wildermuth | 07.10.2010
    Professor Angus Nicoll hat die Schweinegrippe aus erster Hand miterlebt. Als Influenzakoordinator des ECDCs in Stockholm, dem Europäischen Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten. Er zögert, diese jüngste Grippepandemie in einem Satz zu beschreiben, und meint dann doch:

    "Sie können es die Jekyll-und-Hyde-Pandemie nennen, nach der Romanfigur die tags ein gütiger Doktor und nachts ein gefährlicher Mörder ist. Für sehr viele Leute war sie harmlos und doch für einige extrem gefährlich. Die entwickelten ein besonders schreckliches Krankheitsbild, ein Lungenversagen. Sie hat weniger Leute getötet, als die normale Grippe, aber es waren andere Personen gefährdet. Sie hat jüngere Menschen getötet und gesunde Erwachsen, die normalerweise von der Grippe kaum betroffen sind."

    In Europa sind mindestens 2900 Menschen direkt an der Schweinegrippe gestorben. Dazu kommen sicher noch indirekte Todesfälle, deren Zahl sich derzeit aber noch nicht genau abschätzen lässt. Sie wird wohl in der Größenordnung der Pandemie von 1968 liegen. Ein anderer Maßstab für die Schwere der Pandemie ist die Zahl der verlorenen Lebensjahre. Die lag bei der Schweinegrippe besonders hoch, eben weil sie vor allem jüngere Menschen gefährdet hat. Normalerweise sind neun von zehn Grippeopfern über 65 Jahre alt. Dieses Mal war es umgekehrt, waren 80 Prozent der Toten jünger als 65. Angus Nicoll will also nicht von einer milden Grippe sprechen, aber es hätte auch deutlich schlimmer kommen können. Von großer Bedeutung war, dass der Beginn des Ausbruchs nicht vertuscht wurde, anders als beispielsweise bei der Lungenkrankheit Sars.

    "Die Grippe brach in Ländern aus, die das Virus sofort weitergegeben haben, innerhalb von Wochen gab es Tests und wurde mit der Entwicklung von Impfstoffen begonnen."

    Die Welt war gut vorbereitet auf ein neues Grippevirus, die Gesundheitsbehörden reagierten schnell. In der Rückschau zeigen sich aber auch viele Verbesserungsmöglichkeiten.

    "Lehren zu ziehen, das ist ein kleiner Industriezweig geworden. Die wichtigsten Punkte sind: wir müssen flexibler reagieren. Dann müssen wir unsere Erfahrungen schneller verbreiten. Das gilt besonders für die Behandlung von ungewöhnlichen Komplikationen auf den Intensivstationen. Und wir müssen die Impfstoffe schneller produzieren."

    Kritik an der Entscheidung Impfstoffe zu produzieren und dann im großen Maßstab zu kaufen, will Angus Nicoll nicht gelten lassen. Schließlich war die Schweinegrippe für bestimmte Gruppen tatsächlich gefährlich. Dass die Impfbereitschaft nur gering war, lag seiner Meinung nach an der nicht immer optimalen Information der Öffentlichkeit.

    "Das war die erste Pandemie mit globaler Kommunikation. Die Leute haben die Fernsehbilder aus Mexiko gesehen und gedacht, das ist übel. Dann kamen Informationen aus New York, da sah es nicht so gefährlich aus. Erst hieß es, der Impfstoff reicht nicht, dann, der Impfstoff wird gar nicht gebraucht."

    Verwirrende Botschaften, die für große Unsicherheit gesorgt haben. Beim nächsten Mal sollten die Gesundheitsbehörden, aber auch die Medien für mehr Klarheit sorgen. Und ein nächstes Mal wird kommen.

    "Das Einzige, was wir sicher wissen über Krankheitserreger ist, dass sie uns überraschen werden. Und auf diese Überraschung müssen wir vorbereitet sein. Wenn wir nicht wachsam bleiben, werden die Mikroben gewinnen."