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Parade der Zinnsoldaten

In der Zinnmanufaktur Wilhelm Schweizer in Diessen am Ammersee werden Zinnfiguren aller Art hergestellt. Die Anfänge des Zinngießer-Handwerks 1796 lagen im Religiösen. Heutzutage steht im Verkaufsraum nebenan ein eher weltliches Sortiment.

Von Gaby Mayr und Günter Beyer |
    Jordi Arau setzt eine Lupenbrille mit breiten Bügeln auf die Nase, schaltet die Arbeitslampe ein, rückt den Schieferstein zurecht und wählt aus einem Dutzend kleiner scharfer Gravierwerkzeuge das richtige aus. Er zeigt auf eine Rille im Stein.

    "Das ist hier zum Beispiel ein Eingusskanal für die Figur, und die Figur ist eigentlich relativ fertig, hier ist das Kleid, man kann also drüber gehen und die Falten noch mal a bissel nachbearbeiten von dieser Figur. Die Werkzeuge müssen natürlich immer nachgeschärft werden mit´m Schleifstein."

    Jordi Arau, in Katalonien geboren, ist Geschäftsführer der Zinnmanufaktur Wilhelm Schweizer in Diessen am Ammersee.

    Mit einem Gießlöffel rührt der gelernte Graveur im Schmelzbecken eines Elektroofens die geschmolzene Metalllegierung auf.

    "Die Gießtemperatur ist etwa zwischen 300 und 400 Grad. Da kommt´s auch auf die Figur an und auf die Form, wie groß die ist, wie empfindlich die ist, und wie fein die Figuren sind. Die Legierung selbst schmilzt bei 280 Grad etwa, bis 300 Grad, da wird sie ganz flüssig, und man gießt natürlich mit etwas höherer Temperatur, weil, es soll ja nicht beim Eingießen bereits schon erstarren. Das Erstarren selber geht aber trotzdem sehr schnell, zwischen dem Einguss und dem Erstarren vergehen kaum zehn Sekunden. Dann ist es wieder erstarrt das Metall, dann kann man die Form wieder aufmachen, das sind meistens zwei Hälften, die kann man wieder auseinander tun, und die Figur rausholen."

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    Je nach Figur werden unterschiedliche Legierungen verwendet. Bei sehr filigranen Abgüssen - etwa einem Ritter mit angriffslustig gezücktem Schwert oder einem Fischer mit hauchdünner Angelschnur - werden dem Zinn noch Antimon und Blei beigemischt.

    "Wenn wir die Figur rausholen, dann schauen wir uns die Figur an, ob die gelungen ist, oder ob sie vielleicht nicht ausgegossen ist, das kann sein, dass die Nase bei der Figur fehlt, dann wird sie einfach wieder in den Ofen reingeschmissen und dann schmilzt sie sofort wieder."

    Das Malheur, wieder im Schmelzbecken zu landen, wäre beinahe auch Hans Christian Andersens "Standhaftem Zinnsoldaten" widerfahren. Ihm fehlte bekanntlich das zweite Bein, was ihn jedoch nicht hinderte, auf einem Papierschiffchen abenteuerlich im Rinnstein zu reisen und schließlich von einem Fisch verschluckt zu werden.

    In Diessen jedenfalls wird die fertige, perfekte Figur entweder so silbergau, wie sie ist, verkauft, oder sie wird bemalt. Das machen überwiegend Frauen in Heimarbeit.

    In dem alten Haus der Zinnmanufaktur ist gleich neben der Tür der Verkaufsraum. In Vitrinen warten Hunderte von Gestalten, meist zu Gruppen zusammengestellt, auf Liebhaber. Da strampeln Radfahrer auf Hochrädern, die Flotte der Ammersee-Dampfer dümpelt auf dünnem Zinnfuß, Blumenkränze leuchten und Handwerker präsentieren ihre Zunftzeichen. Dieses weltliche Sortiment sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Anfänge des Zinngießer-Handwerks 1796 auf religiösem Sektor lagen.

    "Nach Diessen ist es durch den Bau der Klosterkirche gekommen. Die Diessener Kirche, damals war das ein sehr reicher Markt, das Kloster war sehr mächtig, und da kommen natürlich sehr viele Pilger nach Diessen, die Pilger nehmen auch Devotionalien mit, Devotionalien sind Andenken für gläubige Menschen, und diese Devotionalien, ganz früher waren sie sogar aus Papier oder Pappe, und natürlich waren sie viel haltbarer und viel schöner, wenn man sie aus Zinn gemacht hat, und deshalb ist dieses Handwerk hier aufgekommen in Diessen."

    <im_74105></im_74105>Jahr für Jahr werden in Araus Atelier ein neuer Jahresengel und sein weltlicher Bruder, ein Weihnachtsmann, entworfen und in Zinn gegossen.

    Gerade schauen Elisabeth und Christian Hübner aus Dachau beim vorweihnachtlichen Einkaufsbummel vorbei.

    "Wir kommen jedes Jahr vorbei und kaufen seit Neuestem eigentlich die Jahresengel, weil wir sonst nicht mehr wissen, was wir unseren Verwandten schon geschenkt haben. Und da gibt´s jedes Jahr einen Engel, da steht dann die Jahreszahl drauf, und das machen wir jetzt seit ein paar Jahren, und das sind Geschenke für Verwandte in Norddeutschland. Die kennen das nicht, und die freuen sich jedes Jahr, und das ist dann der Schmuck für´n Weihnachtsbaum bei denen."

    Die Welt der Zinnfiguren teilt sich für Kenner in zwei Kategorien: Bemalt und unbemalt.

    "Wir kaufen sie immer so, uns gefallen sie unbemalt besser wie bemalt, weil die am Christbaum wunderbar ausschauen. Unbemalt. Das helle Zinn, und grüne Tannen, und dann noch irgendwie Kugeln und so. Deine Eltern haben Zinn gesammt!"

    "Meine Eltern, die haben schon Zinnfiguren gehabt, auch Zinnsoldaten und solche Sachen, und in Diessen haben sie Urlaub gemacht, und dann ist das sehr naheliegend."

    Für Zinnfiguren braucht man keine Batterien, sie bewegen sich nicht und geben keine Geräusche von sich. Sie wirken ein bisschen wie aus der Zeit gefallen. Aber vielleicht macht gerade das ihren Reiz aus!