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Paris nach den Terroranschlägen
"Unsere Gesellschaft ist nicht mehr dieselbe"

In den Tagen nach dem 13. November herrscht in Paris Hypernervosität. Schon ein Knall - vielleicht ausgelöst durch Bauarbeiten - sorgt dafür, dass Menschen schreiend weglaufen und Polizisten ihre Maschinenpistolen fester umklammern. Einig sind sich die meisten Bürger aber, dass die Stadt sich trotz allen Leids nicht einschüchtern lassen darf.

Von Johannes Kulms | 16.11.2015
    Blick auf Paris
    Blick auf die französische Hauptstadt Paris. (picture alliance / dpa / Foto: Kevin Kurek)
    Ich stehe an einer Straßenkreuzung im 10. Arrondissement. Links, wenige Meter neben mir, drängen sich 100, vielleicht sogar 200 Menschen. An einer Straßenecke liegt das Restaurant "Le Petit Cambodge", gegenüber die Bar "Le Carrilon". Hier wurden am Freitagabend 15 Menschen erschossen. Nun liegen vor beiden Lokalen unzählige Blumen und brennen viele Kerzen. Ich stehe dort also mit meinem Mikrofon in der Hand und starre auf mein Handy.
    Und dann höre ich mit einem Mal plötzlich laute Schreie und Kreischen. Ich schaue nach links und sehe, dass nun eine Menschenmenge auf mich zustürmt. Ich begreife gar nicht, was geschieht, sondern fange selber nur an zu rennen. Wir laufen auf die Polizisten an der Kreuzung zur Avenue Parmentier zu, die dort schon die ganze Zeit stehen. Im Vorbeirennen sehe ich wie ein Beamter nun sein Maschinengewehr fester umklammert. Auf der großen Straße drehe ich mich um, sehe, dass alle weiterrennen. Ich laufe in eine Nebenstraße und sehe einen jungen Mann, der eine Haustür aufhält. Wir beide laufen rein, hinter uns kommen noch ein paar weitere. Wir stürmen ein paar Stufen hoch im Treppenhaus. Und dann warten wir. Keiner weiß, was los ist. Nach wenigen Minuten wird langsam klar: Es scheint ein falscher Alarm gewesen zu sein. Auch auf der Place de la République hat es eine ähnliche Situation gegeben. Offenbar durch Feuerwerkskörper ausgelöst.
    "... dann haben die Terroristen gewonnen. Das kommt nicht in Frage"
    Die Stimmung in einer Stadt nach einem schweren Terrorangriff zu beschreiben, ist nicht einfach. Doch in diesem Moment wird die Angst ganz konkret auch körperlich spürbar.
    "Wenn wir jetzt aufhören, unserem Leben nachzugehen, dann haben die Terroristen gewonnen. Das kommt nicht in Frage."
    Im noblen 16. Arrondissement sitzt Pascale de Rougement mit ihrer Schwester Béatrice auf einer Caféterrasse. Die Herbstsonne strahlt an diesem Sonntagnachmittag, die Seine mit Blick auf den Eiffelturm ist nur ein paar Schritte entfernt. Natürlich denke ich an die Opfer im Osten der Stadt, sagt de Rougement.
    "Ich glaube, dass jetzt gerade eine neue Ära beginnt. In den Nachrichten haben sie mehrfach gesagt, dass dieser gefährliche Krieg 30 oder 40 Jahre dauern könne. Das heißt nicht, dass man anfangen sollte, das zu akzeptieren. Aber solange man keine Lösung gefunden hat, wird es mit der Gewalt weiter gehen. Das ist leider Teil des Lebens."
    Man müsse nun alle Optionen prüfen, sagt die Frau in den 50ern. Sehr wichtig sei aber auch, dass sich die Stimmung nun nicht gegen die Muslime richte und der Front National gestärkt werde.Abgesehen vom Stade de France haben sich die Attentäter auf das zehnte und das elfte Arrondissement konzentriert. Zwischen den Tatorten liegen oft nur ein paar hundert Meter.
    Nur ein paar Schritte vom Konzerthaus Bataclan, wo mindestens 90 Menschen getötet wurden, beginnt die rue Oberkampf. Die Straße wirkt beinahe dörflich, kleine Bäckereien, Metzgereien und Zeitschriftenläden reihen sich aneinander. Der Fischhändler Charli Hanafi macht sich in seinem Geschäft gerade an ein paar Austern zu schaffen.Es sei schlimm, was gerade passiere, sagt Hanafi in seinem weißen Kittel, der deutsche Radioreporter solle aufpassen mit seinen Fragen, denn er, der Fischhändler, sei gerade sehr labil.
    "Das hätte hier aber auch woanders in Paris passieren können. Ich kann dafür keine Worte finden. Da sind Leute, die wollen einfach nur etwas trinken gehen oder zu einem Konzert. Man will doch einfach nur leben, will Frieden. Man ist doch nicht hier, um Krieg zu machen."
    "Ich habe etwas Angst vor der Zukunft"
    Kurz darauf zieht es Hanafi nach draußen, runter auf den Boulevard Richard Lenoir, wo sich vor ein Absperrgitter schon jetzt ein kleines Meer aus Blumen und Kerzen erstreckt. Hanafi schaut schweigend darauf. Umgeben von dutzenden Kamerateams aus aller Welt. Mit seiner bunten, fast fernöstlich wirkenden Fassade ruht das Bataclan in der Herbstsonne. Kaum vorstellbar, dass in dem von außen fast wie immer aussehenden Konzerthaus einfach so die Besucher von Kalaschnikows niedergestreckt wurden und sich die Attentäter am Ende selbst in die Luft jagten mit ihren Sprengstoffgürteln. Vielleicht sind es gerade die ganzen Kameras und Scheinwerfer draußen, die die Gegend rund um das Bataclan beinahe surreal wirken lassen.
    Ganz anders fühlt es sich auf der Place de la République an, wo sich am Samstagabend, keine 24 Stunden nach den Attentaten, an die 100 Menschen überwiegend schweigend um das Denkmal versammelt haben und Kerzen für die Opfer anzünden. Auch Laure Pesqué, eine 21-jährige Politik-Studentin ist hergekommen.
    "Unsere Gesellschaft ist nicht mehr dieselbe. Das ist wirklich ein Bruch. Und ich habe etwas Angst vor der Zukunft. Man hat wirklich den Eindruck, dass das ein Krieg ist. Das sich alles ändern wird: Die Politik, die französische Diplomatie aber auch Paris selber wird nicht mehr sein wie früher."
    Pesqué findet, dass nun die Bildung noch mehr gestärkt werden und dafür gesorgt werden müsse, dass niemand ausgeschlossen wird. Anders Amadi Souabi, der sich eine Frankreichfahne über die Schulter geworfen hat: Er fordert ein stärkeres militärisches Engagement. Souabi ist Arzt und hat tunesisch-französische Wurzeln. Seine Eltern sind beide muslimischen Glaubens. Frankreich aber auch Europa seien stark genug, um die Terroristen auszurotten.
    "Wir sind im Krieg. Das ist doch vollkommen klar. Aber wir sind bereit, Frankreich zu verteidigen, egal was passiert. Ich bin Arzt. Und ich bin bereit, zu den Waffen zu greifen um die Werte der Republik zu verteidigen: Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Aber nur dafür würde ich zu den Waffen greifen. Weil das universelle Werte sind."
    Und dann tönt aus irgendeinem Lautsprecher, den jemand mitgebracht hat, ein berühmtes Lied von John Lennon. Noch keine 24 Stunden sind vergangen seit der Terrorserie. Wiederum 24 Stunden später wird die französische Armee am Sonntagabend antworten: Mit massiven Luftangriffen auf Stellungen des IS in Syrien.