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Parlamentswahlen in Indien
Ernsthafte Konkurrenz für die Kongresspartei

Das Wirtschaftswachstum Indiens ist eingebrochen, die Währung abgestürzt, noch immer verhungern Millionen Kinder – Korruption und Bestechung gehören zur Tagesordnung. Für die regierende Kongresspartei könnte es bei der nächsten Parlamentswahl im April also eng werden. Schon jetzt rechnen die Hindunationalisten von der BJP mit einem Wahlsieg.

Von Sarah Zerback | 07.12.2013
    Wenn Mayank Raghav morgens mit seinem Holzboot auf dem Yamuna-Fluss zur Arbeit rudert, dann riecht er die stinkenden Müllberge am Ufer, sieht die rostigen Rohre, aus denen eine trübe Flüssigkeit unablässig in den Fluss sickert. 500 Millionen US-Dollar hat die Regierung bereits in die Reinigung des Yamuna investiert, doch sauberer ist das Wasser dadurch nicht geworden.
    "Dabei spielt Korruption eine große Rolle. Zwar behauptet die Regierung, dass sie viel Geld und Arbeit in die Reinigung des Flusses steckt, aber wir sehen ja, dass die gesamten Abwässer und Abfälle der Stadt darin landen. Damit zerstören sie einen der schönsten Orte der Natur und das fühlt sich ehrlich nicht gut an.“
    Für Fische ist der Fluss schon lange kein Lebensraum mehr, für die Menschen der Millionen-Metropole bleibt der Yamuna jedoch die Hauptwasserversorgung. Besonders schlimm für all jene, die sich kein Trinkwasser in Plastikflaschen leisten können, so wie der 25-jährige Stadtführer Raghav.
    Verantwortlich dafür ist die Kongresspartei, die Delhi seit fünfzehn Jahren regiert. Abishek Dutt ist einer der Kandidaten. Sein Wahlkreis liegt ganz im Süden der Stadt, wo einige der reichsten, aber auch viele der ärmsten Einwohner Delhis leben. Kurz vor der Wahl nutzt er einen Besuch im örtlichen Slum, um für die Erfolge seiner Partei zu werben.
    "Als ich auf der Uni war – und ich übertreibe nicht - da mussten wir an jeder roten Ampel weinen, so verschmutzt war die Luft. Heute ist Delhi eine Stadt ohne Umweltverschmutzung! Wie wir unsere Infrastruktur organisiert haben, das ist einfach enorm. Wir sind ein sehr fortschrittlicher Staat.“
    Tatsächlich haben sich die Messwerte in den vergangenen Jahren leicht verbessert, doch die Luftverschmutzung überschreitet internationale Grenzwerte noch immer um ein Vielfaches. Davon will Dutt nichts wissen. Umringt von potenziellen Wählern, lässt er sich für die neue Straße im Slum feiern, erntet Applaus statt kritischer Fragen.
    Dabei wissen die Menschen hier oft nicht, woher die nächste Mahlzeit kommen soll. Das neue Ernährungsprogramm der Regierung – immerhin das größte der Welt - scheitert bislang an bürokratischen Hürden. Und wo es funktioniert, können sich Bedürftige zwar Reis und Getreide zu stark subventionierten Preisen kaufen, eine ausgewogene Ernährung sei damit aber noch nicht garantiert, kritisieren Experten. Allein die Zwiebelpreise sind momentan auf dem Höchststand – 100 Rupien kostet das Kilo, doppelt so viel wie in Deutschland. Doch weil die Ernte in diesem Jahr gut ausgefallen ist, wird bereits spekuliert, dass das Geld über andere Kanäle versickert ist. Für Kandidat Dutt ist klar, wer daran die Schuld trägt.
    "Korruption ist heute ein Problem, das bestreite ich gar nicht. Aber es sind doch wir, die Einwohner Delhis, die sicherstellen müssen, dass wir uns daran nicht beteiligen. Warum nimmt denn ein Regierungsbeamter Geld von jemandem? Doch nur weil es ihm angeboten wurde! Also handelt dieser jemand doch genauso falsch!“
    Für ihn sind die Anschuldigungen reines Wahlkampfgetöse.
    Wahlkampf in Delhi ist aggressiv und laut – so wie hier, bei einem der vielen Wahlkampfauftritte der stärksten Oppositionspartei BJP. Dabei werden immer wieder Fälle gemeldet, in denen Parteien versuchen, Wählerstimmen zu kaufen. Nicht jedes Mal wedeln die Kandidaten dabei mit Geldscheinen, sagt Sanjay Kaul, Sprecher der BJP. Die jetzige Regierung etwa, gehe da subtiler vor:
    "Das Arbeitsbeschaffungsprogramm, das Gesetz für Lebensmittelsubventionen: All das sind doch Maßnahmen, die den Wähler versöhnlich stimmen sollen. Dabei wissen wir alle, dass es hinterher sowieso anders kommt und das Geld in ganz anderen Kanälen landet. Das ist wie bei einem defekten Abwassersystem: Wenn da riesige Löcher drin sind, warum sollte man dann so viel Geld durch die Rohre pumpen?“
    Neben dem Kampf gegen Korruption und Inflation und der Unterbringung der geschätzt hunderttausend Obdachlosen Delhis, ist die Sicherheit von Frauen weit nach oben auf die Agenda der Wahlkämpfer gerückt. In diesen Tagen jährt sich die brutale Vergewaltigung einer 23-jährigen Studentin. Ihr Tod hat die Menschen weltweit geschockt und ein Schlaglicht geworfen, auf die Stellung der Frau in Indien. Die Opposition weiß das zu nutzen - und kritisiert den öffentlichen Nahverkehr, das Prestigeprojekt der jetzigen Regierung.
    "Wir haben hier ein Transportsystem, das so schlecht ist, dass Frauen mit illegalen Bussen fahren müssen. Warum sind diese Busse überhaupt noch auf den Straßen? Deshalb sage ich, Sicherheit ist besonders für Frauen ein Riesenthema, aber das können wir nicht einfach mit neuen Gesetzen lösen. Denn zu wenige Gesetze haben wir nun wirklich nicht."
    Tatsächlich dauerte es nur wenige Tage, bis die Regierung mit einem verschärften Sexualstrafrecht auf den Tod der jungen Frau reagiert und Schnellgerichte für Vergewaltigungsopfer eingeführt hat. Und trotzdem hat sich an der gefühlten Sicherheit nichts geändert, so die 59-jährige Ahalya Ramwadi. Sie traut sich nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr allein aus dem Haus.
    "Die Kongresspartei macht ihre Sache nicht gut. Wir Frauen fühlen uns auf den Straßen nicht sicher – wegen all der Vergewaltigungsfälle. Die Gemüsepreise sind in den letzten Monaten ständig gestiegen und auch die anderen schlimmen Dinge wie Korruption sind mehr geworden. Deshalb wähle ich die BJP.“
    In einer Stadt, in der selbst die Einwohnerzahl nur geschätzt werden kann, ist auf Wahlprognosen wenig Verlass. Doch eines ist klar: Mit der neu gegründeten AAP, der sogenannten Partei des einfachen Bürgers, bekommen die etablierten Parteien jetzt Konkurrenz. Schon jetzt hat die Wahlbeteiligung Rekordwerte erreicht und auf den Straßen Delhis ist Wechselstimmung zu spüren. Auch bei Stadtführer Raghav. Er war schon seit Jahren nicht mehr wählen, weil er nicht daran geglaubt hat, mit seiner Stimme wirklich etwas zu bewegen.
    "Du wählst irgendjemanden, aber die Dinge ändern sich nicht. Jeder Einzelne ist korrupt. Doch jetzt gibt es eine neue Partei, Aam Aadmi. Deren Gründer ist ein Mann namens Arvind Kejriwal von, dem wir mit Sicherheit wissen, dass er unbestechlich ist. Seit zehn Jahren bekämpft er nun schon die Korruption in Delhi. Wegen ihm wähle ich jetzt wieder, weil ich das Gefühl habe, dass dieser Mann die Dinge für Indien verändern könnte."