Paul Brody: Die Familienherkunft, das Kulturerbe… ein Teil von der Reise, da kann ich schon sagen: Sie war für mich, als ich mich in ihre Geschichte vertieft habe, wie eine fehlende Tante. Die ich nie kennengelernt habe, aber durch ihr Wesen, ihren Geist, ihre Worte, habe ich sie doch kennengelernt. Dadurch war ich sehr inspiriert, mit ihren Gedichten zu arbeiten. Ihre Gedichte haben auch etwas mit "Identität, Platz, wo gehöre ich hin" zu tun. Weltfragen, aber natürlich auch ein Teil der Diaspora, der jüdischen Fragen. Wo komme ich her, wo gehöre ich hin, wo ist mein Land. Diese Sehnsucht. Gleich mit der Leichtigkeit und dem Humor. Ich muss sagen, ohne den Humor hätte ich nicht mit den Themen nicht so liebevoll umgehen können.
Anja Buchmann: Inwieweit gab es Parallelen zu dem Leben ihrer Mutter? Ihre Mutter ist Österreicherin und Sie sind selbst auch in den USA aufgewachsen. Das heißt, Ihre Mutter ist während des Krieges mit einem Kindertransport in die USA gekommen?
Erst in New York waren meine Großeltern wieder vereint
Brody: 39. Ziemlich spät, das war die typische Geschichte. Die haben gesagt: Wir sind säkulare Juden. Mein Opa war Anwalt, meine Oma Zahnärztin. Die waren auch in der Wiener Kaffeehaus-Clique, mein Opa hat auch Gedichte geschrieben, kannte Karl Kraus und Arthur Schnitzler und waren mit dieser Clique zusammen. Und die haben gesagt: Wir bleiben, wir sind echte Wiener. Aber 39 haben sie dann doch eine ziemlich teure Taxifahrt gemacht nach Budapest. Aber vorher haben sie die zwei Kinder in den Zug gesteckt: Durch Holland, nach England, bis zum Ende des Kriegs. In New York waren sie vereint.
Buchmann: Warum sind sie selbst nach Berlin gegangen? Seit 20 Jahren sind Sie schon dort.
Brody: Nummer 1: Ich kannte meine Herkunft, ich habe viel darüber gelesen als Kind. Es gab immer eine Sehnsucht nach etwas, das weit weg ist. Ich dachte immer, es seien Trickfilme wie "Superman" oder "Batman" - aber nein, es war Europa. Als ich studiert habe habe ich mich verliebt in den europäischen Jazz. Der amerikanische Jazz hat so eine Art athletisches "Macho-thing" für mich. Und der europäische Jazz verbunden mit Komposition hat mich fasziniert. Auch Duke Ellington hat versucht mit europäischen symphonischen Formen zu arbeiten. Und als ich auf Tournee war in Europa, gleich nach der Uni, habe ich junge Musiker kennengelernt, die komponiert haben und auf der Bühne improvisiert haben. Und sie konnten davon leben. Dann hab ich gedacht: Das ist was für mich.
Buchmann: Und so sind Sie dann in Berlin gelandet ...
Brody: (Antwortet auf der Trompete)
Ich bin sehr zuhause in Berlin
Buchmann: Genau. Das war die Antwort auf "trompetisch". "Mensch aus Versehen" heißt einer ihrer Songs auf dem neuen Album; Rose Ausländer sprich in diesem Text von einem "Hund unter Menschen". Sehen sie sich immer noch als eine Art Hund unter Menschen, also noch nicht so ganz angekommen in Europa, Deutschland, Berlin?
Brody: (Antwort auf Trompete). Oh, das war meine Trompete, Entschuldigung ... Ja, ich fühle mich so: Hier ist mein Platz, aber eigentlich sollte ich woanders sein. Oder: Ich bin Amerikaner, aber wenn ich nach Amerika gehe, denke ich: Kenne ich diese Leute, diese Kultur? Ich bin sehr zuhause in Berlin, aber auch hier bin ich ein fremder Hund. Ich glaube, auf eine komische Art bin ich Zuhause in meiner eigenen Fremdheit. Das ist kompliziert, oder?
Buchmann: Das klingt kompliziert, ja. Da müsste man noch mal drüber nachdenken. Zuhause in der eigenen Fremdheit ...
Brody: Das klingt gut, oder?
Buchmann: Klingt auf jeden Fall schon mal gut ....
Brody: Aber auf "trompetisch" ist es besser (spielt Trompete). Welche Tonalität war das? Es hat einen gewissen Mittelpunkt für mich, ist aber schwer zu definieren, war das ein C oder ein Es.
(spielt noch mal) Das landet, aber wo es landet, diese Note ist nicht ganz ruhig. Man muss weiter gehen, weiter suchen. Und diese Klänge und Gedanken machen mir Spaß, das ist Schönheit.
Buchmann: Wo wir uns zum Teil auf tromeptisch unterhalten, bzw. Sie antworten - welche Bedeutung haben "Stimmen" für Sie? Also natürlich denke ich an Meret Becker, an Jelena Kuljic und Clueso, die sie auf Ihrer CD vereint haben.
Wenn ich jetzt Stimmen höre, schalte ich manchmal die Worte aus
Brody: Ich habe Trompete auf "trompetisch" gespielt - für eine Eröffnung einer Ausstellung im jüdischen Museum Berlin. Und dann habe ich mit der Leiterin und dem Kurator gesprochen. Ich habe gesagt: Ihr seid ein Museum, ihr macht Sachen, mit Bilder und Skulpturen. Aber die jüdische jüdische Kultur hat was mit Stimmen und Melodie zu tun. Denn die Juden konnten nicht irgendwelche Bilder mitnehmen auf der Flucht, in die Diaspora. Ich dachte - oh, jetzt habe ich sie beleidigt. Aber die haben gegrinst, sich besprochen und mich gefragt: Kannst Du was für unsere nächste Ausstellung "Heimatkunde" machen? Und ich dachte: Die Stimme. Jede Stimme hat eine Melodie, die die Identität eines Menschen ganz tief trägt. Wo man gewohnt hat, woher man kommt. Mit wem man gesprochen hat, die Wortwahl, Vokabeln, Syntax... alles zeigt, woher der Mensch kommt. Die Geschichte eines Menschen und die Stimmmelodie gehören zusammen, bringt uns zu einer anderen Ebene. Ich habe für die Installation Stimmmelodien Note für Note aufgeschrieben und damit komponiert. Die Idee ist nicht neu, aber ich habe das als Kompositionsbasis benutzt. Wenn ich jetzt Stimmen höre, schalte ich manchmal die Worte aus und lerne einen ganz anderen Menschen kennen. Man kann das vergleichen mit: Jeder kennt Bilder von Louis Armstrong. Jeder weiß, wie er aussieht. Aber schau mal in sein Lächeln, in seine Augen: Was für ein tiefer Schmerz und Traurigkeit ist in dieser fröhlichen Stimme. Das gehört zu allen Menschen, die Freude und der Schmerz und auch der Zwang, glücklich auszusehen. Aber was die Augen sagen, was die Melodie von der Stimme sagt, kann ganz anders sein. Das ist sehr interessant.
Buchmann: Also Augen sowohl als auch die Sprachmelodie oder der Stimmklang können sehr große Aufschlüsse darüber geben, was ein Mensch ist, wie er sich fühlt, was im Tiefsten seines Inneren vorgeht.
Brody: Ja, ich gehe nach Köln und nehme Sprachunterricht von Ihnen. Sehr gut ausgedrückt.
Buchmann: Das heißt, Sie haben auch für dieses Album "Behind all words" komponiert entlang von Stimmklängen, von Sprachmelodien?
Brody: Über die Jahre, die ich an dieser CD gearbeitet habe, hatte ich verschiedene Perspektiven für meine Arbeit. Eins war, dass ich wegen der drei Stimmen sehr cinematisch, wie Filmmusik, sehr atmosphärisch gearbeitet habe. Ein anderer Zugang war, dass ich eine Art Indie-Jazz gemacht habe - nicht Indie-Rock, ich bin keine 20 mehr ... Und dann, durch diese Inspiration am Jüdischen Museum Berlin, habe ich Merets, Jelenas und Cluesos Sprachmelodien bearbeitet. Ich habe die Gedichte ausgesucht wegen ihrer jeweiligen Charaktere. Und dann habe ich mit ihren Stimmmelodien komponiert. Ein Lieblingssong auf der CD ist "Wichtelworte" mit Clueso. Wir waren schon fertig mit der Aufnahme, Clueso war schon selbst auf Tournee und am Aufnehmen für sein eigenes Album - und ich dachte: Dieses Gedicht muss Clueso in seinem Studio aufnehmen und mir schicken. Dies Gedicht passt so gut zu ihm, die Leichtigkeit, wie ein kleiner Wortzauberer. Wir haben auch Free Form Rap gemacht, Cluseso kann sehr gut improvisieren. Ich wollte unbedingt dieses Gedicht mit seiner Stimme vertonen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk/Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Über Paul Brody
Paul Brody wurde als Sohn eines russischen Einwanderers und einer österreichischen Jüdin in San Francisco geboren. Seine Mutter flüchtetete vor den Nazis in die USA. Brody wuchs in einem musikalischen Umfeld auf: Sein Vater liebte die Klarinette, seine Mutter brachte ihm die Klassische Musik Europas näher.
Paul Brody wurde als Sohn eines russischen Einwanderers und einer österreichischen Jüdin in San Francisco geboren. Seine Mutter flüchtetete vor den Nazis in die USA. Brody wuchs in einem musikalischen Umfeld auf: Sein Vater liebte die Klarinette, seine Mutter brachte ihm die Klassische Musik Europas näher.