Hindemith zielte nicht nur auf die musikdramatische Gestaltung eines theoretisch-philosophischen Sujets. In den Mittelpunkt rückt Keplers Bemühen in einer Zeit politisch-gesellschaftlicher Umbrüche an der Vorstellung einer Weltenharmonie festzuhalten. Licht fällt auf Johannes Keplers ambivalente Haltung gegenüber seiner Umwelt, Rationalität, Aberglaube und Forschung im Spannungsfeld des Kaisers Rudolph II. und dem Feldherren Wallenstein.
Die Idee zur Gestaltung eines mittelalterlichen Sujets hatte Hindemith bereits in den 30er Jahren im Rahmen der Auseinandersetzung mit seiner "Unterweisung im Tonsatz", einer musikalischen Materiallehre, die sich von Tongesetzlichkeiten im Sinne einer kosmischen Weltenharmonie durchaus beeinflusst zeigt. * Musikbeispiel: Paul Hindemith - I. Aufzug: ‚Prag - Ein Zimmer in Keplers Haus’ aus: "Harmonie der Welt" Aus dem ersten Aufzug hörten sie ein Lied, das Hindemith einem Originalgedicht Keplers entnommen und über eine Melodie von Johann Hermann Schein gelegt hat. Francois Le Roux in der Rolle des Johannes Kepler und Tatjana Korovina als Tochter Susanna.
Hindemith reflektiert mit seiner Oper wichtige Momente europäischer Geschichte in raffiniert gestalteter Musik. Verschiedene Zeitsphären werden nebeneinander und übereinander geordnet. Musikalisch wird gleichermaßen aus der Volks- und Kunstmusik zitiert. Spuren der anfänglichen musikalischen Avantgarde Hindemiths sind verschwommen, - es dominiert tonale Gebundenheit. Serielle Kompositionstechniken lehnt er entgegen frühen Werken hier vollkommen ab. Die musikalische Konzeption vereint zahlreiche Aspekte der vielschichtigen Tonsprache des Komponisten und koloriert das Handlungsgeschehen. So spielt Hindemith verschiedentlich mit alten musikalischen Ausdrucksformen wie Choral, Marsch oder Hymne. * Musikbeispiel: Paul Hindemith - II. Aufzug: ‚ Wirtshausgarten’ aus: "Harmonie der Welt" Eine monumentale Oper, in der Hindemith in zehjähriger Arbeit die totale Tonalität zum Welttheater verarbeitet, hinter allen Erscheinungsformen sinnlicher Wahrnehmung will er eine Art himmlische Ordnung gefunden haben. In starkem Maße greifen metaphysische und physische Ideen. Auf dramaturgischer Ebene lässt er immer wieder Handlungsstränge simultan laufen, mathematisch astronomische Erörterungen und theologische Streitgespräche prägen den Dialog. Wichtige Teile der erst 1957 abgeschlossenen Partitur wurden bereits fünf Jahre früher bekannt, als Paul Sacher in Basel die Uraufführung der gleichnamigen dreisätzigen Sinfonie dirigiert, nach Hindemiths eigenen Aussagen der "Versuch, die Weltenharmonie zu erkennen und die Musik als ihr tönendes Gleichnis zu verstehen".
Charakteristisch für die Opernfassung ist eine Ausdrucksintensität mit dicht gewobenen kontrapunktischen Sätzen sinfonischen Ausmaßes, rhythmisch prägnante Zwischenspiele sowie eine oft volksliedhafte Melodik, die harmonisch und klanglich immer wieder aufbricht. Ausgeprägt melodiehafte Züge gewinnt "Die Harmonie der Welt" vor allem wenn zwischenmenschliche Beziehungen die Oper bestimmen. Hören sie einen Ausschnitt aus dem Zwiegespräch Keplers mit Susanna, als die beiden ein Paar werden. * Musikbeispiel: Paul Hindemith - II. Aufzug: ‚ Eferding’ aus: "Harmonie der Welt" "Die Harmonie der Welt" fordert vom Hörer höchste Aufmerksamkeit denn er wird neben dichter Textstruktur mit vielerlei musikalischer Thematik zwischen monumental anmutenden Chorszenen, vielstimmigen Sätzen und einem ausgeprägten Deklamationsstil der Solisten konfrontiert. Schließlich fehlt die Möglichkeit optischer Eindrücke, vor allem weil Hindemith sein Mittelalterszenario mit detaillierten Regieanweisungen versehen hatte.
So empfiehlt es sich, zum besseren Verständnis, im dreisprachigen Booklet mitzulesen, um der teilweise wenig stringenten Handlung folgen zu können. Besonders eindrucksvoll präsentiert sich das Finale der Oper, wenn Hindemith die Hauptfiguren dieses Dramas quasi allegorisch mit Gestirnen identifizieren lässt, - musikalisch sinnfällig gemacht mittels einer Passacaglia über das Thema steigender und fallender Quinten und Quarten.
Hindemith gestaltet hier seine Vorstellung, dass die Töne der chromatischen Skala mit ihrer Grundtonbezogenheit wie in einem tonalen Planetensystem zirkulieren, die postulierte Harmonie der Welt wird somit in musikalischer Form symbolisiert. * Musikbeispiel: Paul Hindemith - Finale aus: "Harmonie der Welt" Vorgestellt wurde Ihnen heute die erste Gesamteinspielung der Oper "Die Harmonie der Welt" von Paul Hindemith, aufgenommen in der Jesus-Christus Kirche Berlin-Dahlem. Marek Janowski leitet in dieser Aufnahme das Rundfunksinfonieorchester und dem Rundfunkchor Berlin. Zum Solistenensemble gehören u.a. Francois Le Roux als Kepler, Sophia Larson als Susanna, Robert Wörle als Wallenstein sowie Michelle Breedt als Katharina. Eine Produktion, die vor wenigen Wochen beim Label Wergo erschienen ist, - weitere Informationen können Sie auch im Internet unter www.wergo.de abfragen. * Musikbeispiel: Paul Hindemith - Finale aus: "Harmonie der Welt"