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Pegida-Teilnehmerzahlen
"In Zeitlupe jeden Demonstranten zählen"

Die studentische Initiative "Durchgezählt" ermittelt jeden Montag die Anzahl der Pegida-Demonstranten in Dresden. Die Polizei hat ihre Statistikarbeit längst eingestellt; ihre Zahlen wichen gravierend ab. Mathias Schuh von der Initiative spricht von der hohen Verantwortung für verlässliche Zahlen - und wie auch andere Schätzungen davon profitieren können.

Mathias Schuh im Gespräch mit Michael Böddeker | 26.10.2015
    Pegida-Demonstranten vor der Semperoper in Dresden
    Pegida-Demonstranten: Wie viele sind es wirklich? (picture alliance / dpa / Michael Kappeler/)
    Michael Böddeker: Montag für Montag gehen in Dresden die Anhänger von Pegida auf die Straße. Vor einer Woche waren es Schätzungen zufolge 15.000 bis 20.000. Diese Schätzungen über die Zahl der Menschen auf den Pegida-Demos, die stammen gerade in letzter Zeit vor allem von einer studentischen Initiative namens "Durchgezählt".
    - Wie und warum die Studierenden seit inzwischen einem halben Jahr Demonstranten zählen, darüber spreche ich jetzt mit Mathias Schuh von "Durchgezählt". Guten Tag, Herr Schuh.
    Mathias Schuh: Hallo, grüße Sie!
    Böddeker: Wie sind Sie eigentlich auf die Idee gekommen, die Pegida-Demonstranten zu zählen?
    Schuh: Es gab bei Pegida beziehungsweise in der Berichterstattung, da gab es immer so Streitigkeiten zwischen den Gegnern, den Befürwortern und der Polizei. Und jeder hat gemeint, er hätte die Wahrheit sozusagen. Und die Zahlen der einzelnen Parteien sind doch sehr weit auseinandergegangen. Und da ist eines Abends in der Kneipe einfach mal die Idee entstanden: Na, wir zählen doch mal richtig nach und finden heraus, wie viele es denn tatsächlich sind.
    Böddeker: Und wie machen Sie das, wie erheben Sie Ihre Zahlen?
    Schuh: Wir verwenden verschiedene Verfahren. Am wichtigsten für uns sind Verfahren mit Bildauswertung. Das heißt also, wir machen ein Video zum Beispiel von dem Demonstrationszug, von der Seite, von erhöhter Position. Und können so in Zeitlupe jeden einzelnen Demonstranten, der an uns vorbei läuft, sozusagen hinterher in der Videoauswertung zählen.
    Böddeker: Das klingt relativ aufwendig. Wie lange dauert so was?
    Schuh: Wir brauchen ungefähr, je nach Videoqualität und auch der Breite des Demonstrationszuges ungefähr die drei- bis vierfache Zeit, die der Demonstrationszug tatsächlich braucht.
    Böddeker: Mit wie vielen Menschen werten Sie diese Videos dann aus?
    Schuh: Momentan sind wir zu dritt. Wir arbeiten aber auch eng mit einer Initiative aus Leipzig zusammen. Die nennt sich Crowd Counting, vom dortigen soziologischen Institut. Und da sind auch noch mal einige Leute unterwegs in der Sache.
    Böddeker: Und Ihre Zahlen, das habe ich Ihren Ausführungen schon entnommen, unterscheiden sich von dem, was so die Polizei gezählt hat, inwiefern?
    Schuh: Es gab einfach deutliche Abweichungen. Ungefähr fünf Wochen lang hatten sowohl wir als auch die Polizei Zahlen veröffentlicht. Und mal lag die Polizei 50 Prozent unter unseren Schätzungen. Und mal lag die Polizei 50 Prozent über unseren Schätzungen. Und wir konnten unsere Schätzungen ja sehr deutlich belegen, durch die Videos entsprechend.
    Böddeker: Also Sie und noch andere Studenten machen jeden Montag diese Zählung. Ich schätze, dafür braucht man sicherlich auch einen gewissen wissenschaftlichen Hintergrund oder ein Verständnis von Statistik. Woher kommt dieser Hintergrund bei Ihnen?
    Schuh: Bei mir ist es so, ich studiere Forstwissenschaften. Und da bekommt man dasselbe statistische Know-how sozusagen schon im Studium mitgeliefert, das man einfach für solche Auswertungen gut nutzen kann. Zum Beispiel haben wir jetzt auch letzten Montag ein sogenanntes Captcha-Recaptcha-Verfahren verwendet, also eine Methode, die eigentlich verwendet wird, um Tierpopulationen zu bestimmen, also zum Beispiel Rehe oder Hirsche oder auch kleinere Tiere. Und das haben wir eben auch bei Menschen verwendet, dieses Verfahren. Und es ist natürlich schon praktisch, wenn man vom Studium so was mitgeliefert bekommt, dieses Know-how.
    Böddeker: Und sind auch Professoren von der Uni dran beteiligt an dieser Auswertung?
    Schuh: In Dresden momentan nicht. In Dresden ist es eine rein private, studentische Initiative. In Leipzig haben wir einen Statistikdozenten, der unterstützt uns auch sozusagen ein bisschen wissenschaftlich, kontrolliert uns eben entsprechend und ist sozusagen der wissenschaftliche Berater des Projekts.
    Böddeker: Gerade in der letzten Zeit nutzen ja die Medien vor allem Ihre Schätzungen, was die Zahl der Pegida-Demonstranten angeht, was sicher auch daran liegt, dass die Dresdner Polizei seit Monaten auch gar keine eigenen Zahlen mehr herausgibt. Verspüren Sie da eine höhere Verantwortung?
    Schuh: Wir verspüren natürlich eine sehr hohe Verantwortung, da letzten Endes unsere Zahlen ja in den Medien zitiert werden und letzten Endes wir gewissermaßen da auch eine Verantwortung haben, richtig zu berichten, und natürlich auch den Anspruch haben an uns, die korrekten Zahlen, also die Wahrheit sozusagen zu liefern. Das ist aber auch eigentlich ganz spannend, weil man sozusagen dadurch jeden Montag den Druck hat, sozusagen schnell Schätzungen durchzuführen, diese entsprechend zu veröffentlichen und hinterher auch belegen zu können. Und das ist eigentlich ganz spannend, denn es zeigt sich doch, dass, wenn man mit ein bisschen Aufwand und ein bisschen Geschick an die Sache herangeht, dann kann man ganz gute Schätzungen auch schon vor Ort mit direkten Methoden, also zum Beispiel einer direkten Zugzählung mit einem Handklicker oder einer Schätzung über die Fläche und entsprechend der Hochrechnung, wie viele Personen denn auf dem Quadratmeter stehen, durchführen.
    Böddeker: Sie haben es ja eben schon gesagt, über die Anzahl der Teilnehmer gab es in der Vergangenheit schon öfter Kontroversen. Was waren so bisher die Reaktionen auf Ihre Zählungen?
    Schuh: Auf der einen Seite kommt relativ viel Unterstützung, also es gibt Zuspruch von Menschen, die sich dafür begeistern. Es gibt auch Menschen, die uns sozusagen im Internet auch gern mal kontrollieren. Wir stellen ja unser Forschungsmaterial, unser Bildmaterial auch online, soweit das möglich ist. Und so kann uns jeder kontrollieren. Das heißt, wir hatten auch schon Fälle, da haben uns einfach Leute kontrolliert, haben unsere Videos nachgezählt, haben entsprechend die Zahlen uns geliefert. Und wir veröffentlichen das natürlich auch gerne als Gegendarstellung oder einfach als Replikation der Untersuchung.
    Böddeker: Die Methoden, die Sie jetzt anwenden, um die Demonstrationen zu zählen, geben Sie die auch noch weiter an andere Menschen, die vielleicht auch mal Schätzungen über Menschenmengen anstellen wollen?
    Schuh: Genau, das ist auch eigentlich der Plan und letzten Endes das große Ziel. Also letzten Endes, wir versuchen momentan, so eine Art Handbuch zu erarbeiten, wo man einfach verschiedene Schätzmethoden den Menschen, die am Thema interessiert sind, an die Hand gibt und auch eben so zum Beispiel Reportern, Sicherheitsbehörden und so weiter die Möglichkeit gibt, einfach vor Ort direkt eine Schätzung durchzuführen, die dann relativ gut sozusagen stimmen und eine hohe Genauigkeit aufweisen.
    Böddeker: Sagt Mathias Schuh von der studentischen Initiative "Durchgezählt", die jeden Montag und auch heute Abend wieder ermittelt, wie viele Menschen an den Pegida-Demos in Dresden teilnehmen. Das Gespräch haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.