Ich finde es tödlich, wenn man versucht, das Stück zu illustrieren, zu bebildern, zu verorten. Das ist bereits zweimal gebrochen, durch Maeterlinck und durch Debussy. Und bei aller Bewunderung für manche Versuche, so etwas in einer U-Bahn-Röhre oder in einem Friseurladen in Texas spielen zu lassen, das kann ja manchmal was bringen. Hier, denke ich, erschlägt es die Musik. Total. Ich hab auch andere Versuche ja gesehen, die mit einer unglaublichen Natur, weil vieles in der Natur spielt, meiner Meinung nach die Musik erschlagen haben. Weil: das ist so'n anderer Bezugspunkt für Debussy: die Natur. Aber seine Musik ist für mich das Vegetabile. Und wenn dann irgendeine Pflanze auf der Bühne stehen würde, wär alles kaputt.
Kein Wald also, kein Schloß, keine märchenhafte Einkleidung. Statt dessen: Lichträume. Für jedes der 15 Bilder einen. Lichträume und klare Farben. Räume für Musik und für Paradoxien: Räume, in denen Musik die Stille verstärkt! Weite, klare Räume - in denen das Grauen zu Hause ist. Ein Halb-rund als Spielfläche, der hintere Bogen von einem leuchtenden Neonband begrenzt. Wenn nötig: ein Brunnenrund, ein hohes Fenster, ein erleuchteter Glasboden, eine pespektivisch verzerrte, stürzende Tür. Eine Licht-Insel im Ungewissen des leeren Raums. Ausblicklos. Immer. Mal tiefblau wie die Nacht, mal oszillierend im Rot der Liebe oder in giftigem Grün - bis schließlich die Farben verlöschen und tödliches Schwarz mit wenigen weißen Lichtbahnen an ihre Stelle tritt. Affektfarben statt Requisiten und Dekoration. Gerd Heinz und sein Bühnenbildner Rudolf Rischer treten den Beweis an, dass diese Partitur geradezu für Lichtregie, wie schon Baudelaire sie visionierte, geschrieben ist. Die große Kunst aber dieser Aufführung besteht darin, dass sie, trotz der bedrückenden Düsternis, die z.B. in Arkels Schloss herrscht, trotz des Waldesdämmers, in dem sich sein Enkel Golaud verirrt und Mélisande findet, dass sie, obwohl vieles bloß angedeutet wird, das meiste unausgesprochen bleibt und die Dialoge abbrechen oder verebben, weder Einsinnigkeit behauptet, wo Mehrdeutigkeit herrscht, noch die bedrückende Stimmung bedeutungsschwer auflädt, noch selber in Geraune und wabernde Unschärfe abdriftet. Im Gegenteil. Die szenische Genauigkeit, Klarheit und Überschaubarkeit verstärken den Sog dieser Angstmusik - von Hans Drewanz bis in die feinsten Verästelungen des Pianissimo über den bisweilen hervorbrechenden inneren Aufruhr bis zu Auflösung und Verebben des Klangs bravourös entfaltet. Und von wunderbar einander verstörenden Sängern glaubhaft gemacht. Den aufs Wesentliche reduzierten Räumen, den bloß noch anzitierten, erinnerten Opern-Arien und musikalischen Abbrüchen entsprechen die von den Darstellern durch verhaltene Gesten, Mimik, Zwischentöne nuancengenau definierten Situationen. Erst die subtilen Klang-, Licht- und Bewegungsveränderungen zusammen sind Gefühlsäquivalente. Und das Grauen wird umso stärker, je weniger benennbar der Schrecken ist. Eine der Psychoanalyse und dem Märchen wohl bekannte Paradoxie, die in der aller Märchenelemente entkleideten Berner Aufführung nichts Tröstliches hat. Debussys Latenz-Musik begleitet nicht den Gefühlsausdruck der Sänger, sie drückt Seelenzustände aus. Sie erzeugt eine Anspannung des Wartens - doch es ist ein Warten ohne Hoffnung. Und Mélisande, die als Fremde fremd bleibt in Arkels Reich, ist bloß Katalysator eines unabwendbaren Verhängnisses. So wie Gerd Heinz das zeigt, sind weder Golauds Wut- und Eifersuchtsausbrüche, ja nicht einmal der Mord an seinem glücklicheren Bruder Pelléas dieses Verhängnis, sondern bereits die Folge einer unüberwindlichen, tiefgreifenden Verständigungsstörung: Das ganze Werk ist ein Angsttraum, in den der kleine, an das Kind in Büchners Märchen erinnernde Yniold schon genauso einsam eingesperrt ist wie der alte König, wie dessen Enkel Golaud und Pelléas, von denen der eine, Pelléas, immer weg will und nicht kann, und der andere, Golaud, seine Frau Mélisande zu ergründen sucht und nicht kann. Nur in dem Schwebezustand einer niemals endenen, also weder planvollen noch zielstrebige Annäherung, und NUR in diesem undefinierbaren Zwischenstadium vor dem bösen Erwachen erleben Pelléas und Mélisande einige wenige glückliche Momente der inneren Nähe.
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Kein Wald also, kein Schloß, keine märchenhafte Einkleidung. Statt dessen: Lichträume. Für jedes der 15 Bilder einen. Lichträume und klare Farben. Räume für Musik und für Paradoxien: Räume, in denen Musik die Stille verstärkt! Weite, klare Räume - in denen das Grauen zu Hause ist. Ein Halb-rund als Spielfläche, der hintere Bogen von einem leuchtenden Neonband begrenzt. Wenn nötig: ein Brunnenrund, ein hohes Fenster, ein erleuchteter Glasboden, eine pespektivisch verzerrte, stürzende Tür. Eine Licht-Insel im Ungewissen des leeren Raums. Ausblicklos. Immer. Mal tiefblau wie die Nacht, mal oszillierend im Rot der Liebe oder in giftigem Grün - bis schließlich die Farben verlöschen und tödliches Schwarz mit wenigen weißen Lichtbahnen an ihre Stelle tritt. Affektfarben statt Requisiten und Dekoration. Gerd Heinz und sein Bühnenbildner Rudolf Rischer treten den Beweis an, dass diese Partitur geradezu für Lichtregie, wie schon Baudelaire sie visionierte, geschrieben ist. Die große Kunst aber dieser Aufführung besteht darin, dass sie, trotz der bedrückenden Düsternis, die z.B. in Arkels Schloss herrscht, trotz des Waldesdämmers, in dem sich sein Enkel Golaud verirrt und Mélisande findet, dass sie, obwohl vieles bloß angedeutet wird, das meiste unausgesprochen bleibt und die Dialoge abbrechen oder verebben, weder Einsinnigkeit behauptet, wo Mehrdeutigkeit herrscht, noch die bedrückende Stimmung bedeutungsschwer auflädt, noch selber in Geraune und wabernde Unschärfe abdriftet. Im Gegenteil. Die szenische Genauigkeit, Klarheit und Überschaubarkeit verstärken den Sog dieser Angstmusik - von Hans Drewanz bis in die feinsten Verästelungen des Pianissimo über den bisweilen hervorbrechenden inneren Aufruhr bis zu Auflösung und Verebben des Klangs bravourös entfaltet. Und von wunderbar einander verstörenden Sängern glaubhaft gemacht. Den aufs Wesentliche reduzierten Räumen, den bloß noch anzitierten, erinnerten Opern-Arien und musikalischen Abbrüchen entsprechen die von den Darstellern durch verhaltene Gesten, Mimik, Zwischentöne nuancengenau definierten Situationen. Erst die subtilen Klang-, Licht- und Bewegungsveränderungen zusammen sind Gefühlsäquivalente. Und das Grauen wird umso stärker, je weniger benennbar der Schrecken ist. Eine der Psychoanalyse und dem Märchen wohl bekannte Paradoxie, die in der aller Märchenelemente entkleideten Berner Aufführung nichts Tröstliches hat. Debussys Latenz-Musik begleitet nicht den Gefühlsausdruck der Sänger, sie drückt Seelenzustände aus. Sie erzeugt eine Anspannung des Wartens - doch es ist ein Warten ohne Hoffnung. Und Mélisande, die als Fremde fremd bleibt in Arkels Reich, ist bloß Katalysator eines unabwendbaren Verhängnisses. So wie Gerd Heinz das zeigt, sind weder Golauds Wut- und Eifersuchtsausbrüche, ja nicht einmal der Mord an seinem glücklicheren Bruder Pelléas dieses Verhängnis, sondern bereits die Folge einer unüberwindlichen, tiefgreifenden Verständigungsstörung: Das ganze Werk ist ein Angsttraum, in den der kleine, an das Kind in Büchners Märchen erinnernde Yniold schon genauso einsam eingesperrt ist wie der alte König, wie dessen Enkel Golaud und Pelléas, von denen der eine, Pelléas, immer weg will und nicht kann, und der andere, Golaud, seine Frau Mélisande zu ergründen sucht und nicht kann. Nur in dem Schwebezustand einer niemals endenen, also weder planvollen noch zielstrebige Annäherung, und NUR in diesem undefinierbaren Zwischenstadium vor dem bösen Erwachen erleben Pelléas und Mélisande einige wenige glückliche Momente der inneren Nähe.
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