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Pensionär Peter Grottian

Heute ist sein letzter Arbeitstag: Der Berliner Politik-Professor Peter Grottian tritt zum Ende des Sommersemesters in den Ruhestand. Oder auch nicht, denn Peter Grottian hat einen Ruf zu verteidigen. Mit spektakulären Protestaktionen hat der Sozialwissenschaftler bundesweit Furore gemacht, sogar ins Visier des Verfassungsschutzes ist er geraten.

Von Mirko Heinemann |
    Vor dem Berliner Landtag, gestern Nachmittag. Peter Grottian lauert Abgeordneten auf, die zur Abstimmung über den Verkauf der Landesbank Berlin gehen. Der Politik-Professor und seine "Initiative Berliner Bankenskandal" wollen erreichen, dass der gesamte Kaufvertrag der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird.

    Peter Grottian, 65 Jahre alt, ist eine Legende. Generationen von Studierenden haben in seinen Seminaren an der Freien Universität Berlin nicht nur die Theorie, sondern auch die Praxis des zivilen Ungehorsams gelernt.

    " Wenn Menschen zum ersten Mal im Leben Regelverletzungen begangen haben, dann ist das prägend. Das heißt, sie trauen sich auch mehr. Nicht nur der Erfolg zählt, sondern auch, dass Menschen demokratische Kultur lernen. Und zur demokratischen Kultur gehört eben auch, dass Minderheiten sich gegenüber Mehrheiten so verständlich machen, dass sie in ihrer Not regelverletzende Aktionen betreiben. "

    An "regelverletzenden Aktionen" ist wahrlich kein Mangel im Leben des Peter Grottian. Er hat zum Schwarzfahren und zur Besetzung von Arbeitsämtern aufgerufen. Er hat Hartz-IV-Demos initiiert, Bankmanager aus Protest zu Hause besucht und Feierlichkeiten von McKinsey gestört. Als Beamter hat Peter Grottian mehrfach gestreikt und zum Streik aufgerufen.

    Doch er hat auch einstecken müssen. Der Politik-Professor hat Strafbefehle und Disziplinarverfahren kassiert, Bußgelder und Gehaltskürzungen. Er wurde sogar vom Verfassungsschutz observiert.

    Nachdem er sich für einen gewaltlosen 1. Mai in Berlin eingesetzt hatte, wurde sein Auto von Autonomen angezündet. Und als Peter Grottian kürzlich zum Hungerstreik gegen Hartz IV aufrief, sahen auch viele Gesinnungsgenossen die Verhältnismäßigkeit der Mittel nicht mehr gewahrt.

    " Das Projekt ist gescheitert daran, dass es zu wenige Menschen gibt, die das ernsthaft als Hungerstreik machen würden. Und es ist daran gescheitert, dass wir in der sozialen Protestszene doch erheblich Widerstand dagegen hatten. Das gehört möglicherweise zu meinen Fehlentscheidungen, dass ich gehofft habe, dass man ein solches Projekt machen könnte und dass diese Hoffnung getrogen hat. "

    Von Rückschlägen lässt sich Peter Grottian nicht aufhalten. Motiv seines Handelns sei immer die soziale Gerechtigkeit gewesen. 1985 ging er zusammen mit einem Kollegen in Teilzeit, damit eine zusätzliche Professur geschaffen werden konnte.

    Für den Teilzeitprofessor wird sich mit der Emeritierung nicht allzu viel ändern. Sein Büro wird er behalten und weiter für die Studierenden da sein, Lehrveranstaltungen abhalten und Prüfungen abnehmen. Nur eben als Pensionär.

    " Es gibt sicherlich an der Universität einige Leute, die das gut finden, dass ich weg bin. Aber ich finde, es muss sehr unterschiedliche Typen von Hochschullehrern geben. Und diese Pluralität geht zurück. Wir haben zu sehr den Typus von Hochschullehrern unter den 40- bis 50-Jährigen, die doch den Charme von Sparkassendirektoren haben - glatt, freundlich, kooperativ. Aber man hat auch den Eindruck, dass diese Kollegen manchmal nichts mehr wollen als ihre Karriere und ihren Forschungsumsatz. "

    Für eine Karriere im Wissenschaftsbetrieb war Peter Grottian nicht zu haben. Für den Ruhestand allerdings auch nicht. Nachdem er den Berliner Abgeordneten ausreichend zugesetzt haben wird, will er sich einem neuen Projekt widmen. Von Peter Grottian wird man weiterhin hören. Dies ist gewiss.