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Per Basejump in Sicherheit

Technik. - Für die Personen oberhalb brennender Stockwerke in einem Wolkenkratzer wird die Situation schnell ausweglos. Neue Fluchtwege ersannen jetzt zwei Arnsberger Erfinder: ein Fallschirm-Rettungssytem für Hochhäuser.

Von Michael Boom |
    Dachdecker Otto Strauß und sein Kollege Peter Trautes fahren mit dem Auto von Nürnberg nach Hause und hören im Radio vom einstürzenden World Trade Center in New York, von den Tausenden Menschen, die sich nicht aus den Türmen retten konnten. Den beiden Erfindern kam dabei die Idee, die Leute aus Hochhäusern mit Fallschirmen zu evakuieren:

    "Da ich früher Ultraleichtflugzeuge geflogen bin, wusste ich eben, dass man dort ein Rettungssystem dran hat, mit dem das ganze Flugzeug runter kommt. So, wenn man ganze Flugzeuge daran hängen kann, dann kann man auch einen Sitz daran hängen. Hinsetzen, ja! So und den Sitz hängen wir unter die Decke an eine Schiene und dann schmeißen wir den da oben aus dem Fenster raus. Dann ist das ganz einfach."

    Die Idee ist mittlerweile in die Tat umgesetzt. Der Rettungssitz mit Fallschirm ist Wirklichkeit. Der Arnsberger Tüftler Otto Strauß stellt sich das zukünftig so vor:

    "Viele Rettungssitze aus weichem Kunststoff, die die Form von Schalen besitzen, hängen im Büroschrank nacheinander aufgereiht an einer Schiene wie Einkaufswagen. Auf einen Meter kommen zehn Sitze. Die Schiene führt zu einer Rettungsöffnung in der Wand, die im Notfall geöffnet wird. Jede Gebäudeseite ist mit mehreren solcher Rettungsöffnungen ausgestattet. Diese sind versetzt am Gebäude angebracht, damit sich die Sitze im Ernstfall nicht in die Quere kommen. Aus mehreren Etagen können so im Notfall Dutzende Menschen gerettet werden. Beim Alarm schnallt man sich im Rettungssitz an und rollt an der Schiene durch die Öffnung ins Freie. Pro Schiene kann alle zehn Sekunden ein Sitz aus dem Gebäude heraus gleiten."

    In diesem Moment beginnt im Sitz ein elektronischer Countdown. Je nach Fallhöhe soll im richtigen Moment der Fallschirm zünden. Dieser Moment liegt allerdings weit unterhalb der Austrittshöhe, deshalb ist der nachfolgende Teil nichts für schwache Nerven. Denn der Sitz rast im freien Fall in Richtung Erdboden. Wenn die Sitze dort eingesetzt werden, wofür sie entworfen wurden, dann kann das heißen: 500 Meter freier Fall oder auch mehr. Erfinder Otto Strauss:

    "Ich will eine ganz geringe Schwebephase haben, damit das System nicht so windanfällig wird. Also, es darf nur ganz kurz öffnen, voll abbremsen und dann soll es auch schon unten sein."

    Auf der Flugbahn entlang eines Wolkenkratzers werden die Sitze maximal 150 Stundenkilometer schnell. Diese Geschwindigkeit wird in vier Sekunden erreicht. Beim World Trade Centers schlugen auch Flammen aus dem Wolkenkratzer, sie hätten einem Rettungsschirm gefährlich werden können. Dieses Problem wurde durch ein Material gelöst, das auch in der Formel Eins verwendet wird: Normex. Dieser Stoff ist nicht entflammbar und schrumpft auch nicht. Der Sitz kann also durch Feuer fallen. 30 Meter vor dem Boden gibt die Elektronik im Sitz den Impuls zur Zündung des Fallschirms. Bei diesem Ruck wird der Körper kurzfristig mit dem Sechsfachen seines Gewichtes in den Rettungssitz gedrückt. Dann schwebt der Rettungssitz langsam zu Boden. Den Aufschlag dämpft ein Airbag im Fuß des Sitzes.

    "Man braucht Mut, aber der Ernstfall…..wenn es soweit ist, dann werde ich mich selbst zum Beweis in meinen Sitz setzen."

    Noch basteln Otto Strauss und sein Kollege Peter Trautes an ihrem Rettungssystem. Zum Test haben sie ihren Rettungssitz auch schon mal von einem Windrad oder auch von einem Hochhaus herunter geworfen. Nicht immer waren die Tests erfolgreich. Die Sauerländer Erfinder konnten zumindest wichtige Erkenntnisse gewinnen. So zum Beispiel zur hohen Materialbelastung des Systems. Der Entwicklungsingenieur des Fallschirms, Heinrich Mertins, kennt nun die Anforderungen an sein Produkt. Der eingesetzte Schirm wäre demnach ohne Sitz in der Lage, bis zu einer Auslösehöhe von 25 Metern Personen zu retten. In Tests geriet der Rettungssitz aber oft ins Trudeln und der Schirm konnte dadurch nicht richtig öffnen. Damit der Schirm also nicht von diesen Turbulenzen gestört wird, haben sich Erfinder Strauß und der Fallschirmproduzent Mertins auf eine Auslösehöhe von 30 Meter geeinigt. So bleibt Zeit, um den Schirm aus dem Turbulenzbereich herausschießen zu können.

    "Der Schirm ist mit 30, 40 Metern angespielter Öffnungshöhe an und für sich schon sehr stark ausgereizt. Es gibt noch Einsatzzwecke, da wird der Schirm sogar noch für tiefere Werte eingesetzt, noch für tiefere Höhen eingesetzt, allerdings ist das in diesem Fall technisch nicht mehr machbar."

    150.000 Euro hat der Dachdeckermeister Strauss und sein Kollege Trautes aus Arnsberg inzwischen in die Entwicklung ihres Rettungssitzes investiert. 50.000 Euro haben sie für Patentrechte ausgegeben. Aber bis zur Marktreife sind noch etliche technische Hürden und Tests zu bestehen. Der TÜV hat noch nicht sein OK gegeben. Die Prüfer mussten gemeinsam mit Strauß Tests für das System entwickeln, da es etwas Vergleichbares nicht gibt.