Seit der Uraufführung von Hochhuths "Stellvertreter", die 1963 in Berlin einen Skandal auslöste, kann - wer immer Vatikan und Drittes Reich zusammenbringt - der Aufmerksamkeit sicher sein. Erst recht, wenn er, als Kirchenhistoriker, neue Archivalien präsentiert mit dem verkaufsfördernden Titel "Papst und Teufel".
Handfest polarisiert scheinen Gut und Böse einander im Kampf gegenüberzustehen. Der Schutzumschlag suggeriert dem Leser, endlich erfahre er solide Dokumentiertes über Pius XII. und Hitler-Deutschland während der schwärzesten Jahre des letzten Kriegs. Die Irreführung ist perfekt. Tatsächlich geht es um die vor zwei Jahren freigegebenen Archive für die Zeit des Pontifikats Pius XI. Das währte bis Februar 1939 - die Akten aus den entscheidenden Jahren sind nach wie vor unter Verschluss.
Anders gesagt: mit dem Papst des Buchtitels ist Achille Ratti und nicht Eugenio Pacelli gemeint; und als Teufel erschien beiden weniger der Faschismus Mussolinis oder der Nationalsozialismus Hitlers, mit denen der Vatikan bis heute gültige Konkordate schloss; vielmehr galt der "gottlose" Bolschewismus unter Stalin als das Böse schlechthin. Und da musste Hitler, der dieses Feindbild teilte, streckenweise als Verbündeter erscheinen. Worum es Wolf geht, findet sich am Ende seiner Einleitung:
Die vatikanische Einschätzung der Vorgänge im Reich, der Blick von Rom auf Deutschland.
In den Jahren zwischen dem ersten und dem zweiten Weltkrieg, wäre hinzuzufügen, mithin der Weimarer Republik und der Vorkriegsphase des Dritten Reichs. Es war eine Phase der Umbrüche und Erschütterungen, in der Pacelli - erst als Nuntius in Deutschland, dann als Staatssekretär, das heißt Außenminister und Deutschlandexperte - zahlreiche Berichte und persönliche Notizen verfasste. Sie in Verbindung mit den offiziellen Dokumenten vorzustellen, die zum Teil kontroversen Diskussionen innerhalb der Kurie aus den freigegebenen Unterlagen zu erschließen, darin besteht das Informative des Buchs. Es bringt manche Präzisierung, jedoch kein wesentlich neues Bild. Das hätte sich vielleicht aus den Archiven Pius XII. ergeben können. Diese aber sind in Teilen weiterhin gesperrt. Bestärkt - freilich auch nuanciert - wird, was schon bekannt war: das Interesse an religiös-politischem Machterhalt, der entschiedene Antibolschewismus, die seelsorgerischen Motive und das Bemühen, Schlimmeres zu verhüten. Mit dem Blick auf Deutschland und die NSDAP: der Versuch zu trennen zwischen
einem "guten" politisch deutschnationalen und einem "bösen" weltanschaulichen Nationalsozialismus.
Böse insofern, da der Nationalsozialismus - als politische Religion - der römischen Kirche den Wahrheits- und Ausschließlichkeitsanspruch streitig mache; wie in noch schlimmerem Maße der Kommunismus. Wolf rückt die seit den zwanziger Jahren miteinander konkurrierenden, einander ausschließenden Groß-Ideologien in einer Kapitelüberschrift in eine Reihe:
Katholischer Totalitarismus gegen weltanschauliche Totalitarismen.
Katholischer Totalitarismus? Der Begriff dürfte manchen Katholiken die Stirn runzeln lassen. An anderer Stelle heißt es:
Pacelli selbst war weit stärker mit den Umtrieben des deutschen Protestantismus befasst als mit der Beobachtung jüdischer Gemeinden.
Die Umtriebe stehen nicht in Anführungszeichen und sind auch nicht ironisch gemeint - was wiederum evangelische Leser irritieren dürfte, die solche Saloppheiten, die sie sprachlich einer Sekte annähern, wenig goutieren und ein römisches Monopol der "Moral" kaum zu akzeptieren bereit sind.
Bei Wolfs Bemühen um gängige Redeweisen, die seinem Buch eine breite Leserschaft sichern sollen, bleibt die Schärfe des Begriffs oft auf der Strecke. Auch hätte man sich gewünscht, dass er sich für eine stärker vergleichende Betrachtungsweise entschieden hätte. Um etwa die Beziehungen des Vatikans zum Dritten Reich ins Relief zu setzen, zu jenen zum faschistischen Italien, zum autoritär regierten Österreich oder zur als Renegatin betrachteten "Ältesten Tochter der Kirche", Frankreich.
Wolf hebt zurecht hervor, dass das Schweigen des Vatikans bereits zu den Nürnberger Rassegesetzen und zur "Reichskristallnacht" den Anspruch des Vatikans, für die Menschenrechte einzutreten, de facto dementierte. Dennoch tragen seine wiederholten Hinweise auf diplomatische Sachzwänge apologetische Züge. Gerne hätte man die Grenze zwischen außenpolitischer Klugheit und Opportunismus bezeichnet gesehen.
Aufschlussreich und gut herausgearbeitet ist, wie das Verhältnis zwischen Rom und den deutschen Bischöfen (auch untereinander) je nach Aufgabe eine Haltung der reservatio mentalis oder der Arbeitsteilung zeitigte; so bei der Vorbereitung des berüchtigten Konkordats von 1933 oder dem Widerstand des Münsteraner Bischofs Galen gegen die Euthanasie, der keineswegs Widerstand gegen die Judenverfolgung mit umschloss. Rom hielt sich bedeckt und überließ die öffentliche Kritik einzelnen Bischöfen - oder verklausulierte sie in Enzykliken derart, dass das Gemeinte von vielen Gläubigen nur selten eindeutig zu identifizieren war. Deutliche Signale blieben aus. Wolf:
Von der Einleitung eines Exkommunikationsverfahrens gegen Adolf Hitler finden sich in den Vatikanischen Archiven keinerlei Spuren. Die Beugestrafe des Kirchenbanns kam für einen Reichskanzler als staatliche Obrigkeit schlicht nicht in Frage.
Am Ende von Wolfs Buch mit seiner Fülle von Details steht das Bekenntnis:
Angesichts von über hunderttausend archivalischen Einheiten ist es für den Historiker schlicht unmöglich, eine "Gesamtdarstellung" zum Verhältnis von Vatikan und Nationalsozialismus oder gar eine abschließende Biographie der beiden Pius-Päpste vorzulegen.
Albrecht Betz über Hubert Wolf: "Papst und Teufel. Die Archive des Vatikan und das Dritte Reich". Erschienen im C.H. Beck Verlag, 360 Seiten für 24 Euro und 90 Cent.
Handfest polarisiert scheinen Gut und Böse einander im Kampf gegenüberzustehen. Der Schutzumschlag suggeriert dem Leser, endlich erfahre er solide Dokumentiertes über Pius XII. und Hitler-Deutschland während der schwärzesten Jahre des letzten Kriegs. Die Irreführung ist perfekt. Tatsächlich geht es um die vor zwei Jahren freigegebenen Archive für die Zeit des Pontifikats Pius XI. Das währte bis Februar 1939 - die Akten aus den entscheidenden Jahren sind nach wie vor unter Verschluss.
Anders gesagt: mit dem Papst des Buchtitels ist Achille Ratti und nicht Eugenio Pacelli gemeint; und als Teufel erschien beiden weniger der Faschismus Mussolinis oder der Nationalsozialismus Hitlers, mit denen der Vatikan bis heute gültige Konkordate schloss; vielmehr galt der "gottlose" Bolschewismus unter Stalin als das Böse schlechthin. Und da musste Hitler, der dieses Feindbild teilte, streckenweise als Verbündeter erscheinen. Worum es Wolf geht, findet sich am Ende seiner Einleitung:
Die vatikanische Einschätzung der Vorgänge im Reich, der Blick von Rom auf Deutschland.
In den Jahren zwischen dem ersten und dem zweiten Weltkrieg, wäre hinzuzufügen, mithin der Weimarer Republik und der Vorkriegsphase des Dritten Reichs. Es war eine Phase der Umbrüche und Erschütterungen, in der Pacelli - erst als Nuntius in Deutschland, dann als Staatssekretär, das heißt Außenminister und Deutschlandexperte - zahlreiche Berichte und persönliche Notizen verfasste. Sie in Verbindung mit den offiziellen Dokumenten vorzustellen, die zum Teil kontroversen Diskussionen innerhalb der Kurie aus den freigegebenen Unterlagen zu erschließen, darin besteht das Informative des Buchs. Es bringt manche Präzisierung, jedoch kein wesentlich neues Bild. Das hätte sich vielleicht aus den Archiven Pius XII. ergeben können. Diese aber sind in Teilen weiterhin gesperrt. Bestärkt - freilich auch nuanciert - wird, was schon bekannt war: das Interesse an religiös-politischem Machterhalt, der entschiedene Antibolschewismus, die seelsorgerischen Motive und das Bemühen, Schlimmeres zu verhüten. Mit dem Blick auf Deutschland und die NSDAP: der Versuch zu trennen zwischen
einem "guten" politisch deutschnationalen und einem "bösen" weltanschaulichen Nationalsozialismus.
Böse insofern, da der Nationalsozialismus - als politische Religion - der römischen Kirche den Wahrheits- und Ausschließlichkeitsanspruch streitig mache; wie in noch schlimmerem Maße der Kommunismus. Wolf rückt die seit den zwanziger Jahren miteinander konkurrierenden, einander ausschließenden Groß-Ideologien in einer Kapitelüberschrift in eine Reihe:
Katholischer Totalitarismus gegen weltanschauliche Totalitarismen.
Katholischer Totalitarismus? Der Begriff dürfte manchen Katholiken die Stirn runzeln lassen. An anderer Stelle heißt es:
Pacelli selbst war weit stärker mit den Umtrieben des deutschen Protestantismus befasst als mit der Beobachtung jüdischer Gemeinden.
Die Umtriebe stehen nicht in Anführungszeichen und sind auch nicht ironisch gemeint - was wiederum evangelische Leser irritieren dürfte, die solche Saloppheiten, die sie sprachlich einer Sekte annähern, wenig goutieren und ein römisches Monopol der "Moral" kaum zu akzeptieren bereit sind.
Bei Wolfs Bemühen um gängige Redeweisen, die seinem Buch eine breite Leserschaft sichern sollen, bleibt die Schärfe des Begriffs oft auf der Strecke. Auch hätte man sich gewünscht, dass er sich für eine stärker vergleichende Betrachtungsweise entschieden hätte. Um etwa die Beziehungen des Vatikans zum Dritten Reich ins Relief zu setzen, zu jenen zum faschistischen Italien, zum autoritär regierten Österreich oder zur als Renegatin betrachteten "Ältesten Tochter der Kirche", Frankreich.
Wolf hebt zurecht hervor, dass das Schweigen des Vatikans bereits zu den Nürnberger Rassegesetzen und zur "Reichskristallnacht" den Anspruch des Vatikans, für die Menschenrechte einzutreten, de facto dementierte. Dennoch tragen seine wiederholten Hinweise auf diplomatische Sachzwänge apologetische Züge. Gerne hätte man die Grenze zwischen außenpolitischer Klugheit und Opportunismus bezeichnet gesehen.
Aufschlussreich und gut herausgearbeitet ist, wie das Verhältnis zwischen Rom und den deutschen Bischöfen (auch untereinander) je nach Aufgabe eine Haltung der reservatio mentalis oder der Arbeitsteilung zeitigte; so bei der Vorbereitung des berüchtigten Konkordats von 1933 oder dem Widerstand des Münsteraner Bischofs Galen gegen die Euthanasie, der keineswegs Widerstand gegen die Judenverfolgung mit umschloss. Rom hielt sich bedeckt und überließ die öffentliche Kritik einzelnen Bischöfen - oder verklausulierte sie in Enzykliken derart, dass das Gemeinte von vielen Gläubigen nur selten eindeutig zu identifizieren war. Deutliche Signale blieben aus. Wolf:
Von der Einleitung eines Exkommunikationsverfahrens gegen Adolf Hitler finden sich in den Vatikanischen Archiven keinerlei Spuren. Die Beugestrafe des Kirchenbanns kam für einen Reichskanzler als staatliche Obrigkeit schlicht nicht in Frage.
Am Ende von Wolfs Buch mit seiner Fülle von Details steht das Bekenntnis:
Angesichts von über hunderttausend archivalischen Einheiten ist es für den Historiker schlicht unmöglich, eine "Gesamtdarstellung" zum Verhältnis von Vatikan und Nationalsozialismus oder gar eine abschließende Biographie der beiden Pius-Päpste vorzulegen.
Albrecht Betz über Hubert Wolf: "Papst und Teufel. Die Archive des Vatikan und das Dritte Reich". Erschienen im C.H. Beck Verlag, 360 Seiten für 24 Euro und 90 Cent.