
Der Choreograph Philipp Enders und die Lyrikerin und Übersetzerin Monika Rinck rezitieren Texte von Romarie Waldrop. Hinter ihnen glitzert der Wannsee durch die Fenster. Die Sommerhitze lässt die Kleidung am Leib kleben an diesem Abend im Literarischen Colloquium und die "widerspenstige Schwerkraft" zieht mächtig. Zum Glück liegen Sitzkissen auf dem Parkett. In einem Stück zum Beispiel werden die Sätze durch ihre Platzierung auf der Bühne erklärt. In einem Stück, aber wie erklären Autoren und Performer literarische Texte und Lyrik. Beim "Performance-Parcours" "Steptext" geht es nicht darum, ...
"...Texte zu vertanzen, wie man es vielleicht früher gedacht hat, Handlungsballett, es gibt einen Plot", ...
... erklärt Kuratorin Gabriele Brandstetter. Und ..
"... es geht auch nicht darum, dass Literaten Schriftsteller abbilden. Was denn Tanz sein könnte, indem sie erzählen, wie sie Bewegung beobachten oder Tänzer nachahmen mit literarischen Mitteln."
Tanz mit Alltags-Prosa
Aber worum geht es dann? Texte gibt es ja genug beim zeitgenössischen Tanztheater. Kaum eine zeitgenössische Tanz-Performance, in der die Tänzer sich nicht auch sprachlich mitteilen. Nur eben meist mit eigener Alltags-Prosa. Auf Literatur greifen die tanzenden Darsteller so gut wie nie zurück. Das war nicht immer so. Um 1900 etwa schrieben Rilke, Hoffmannsthal oder Mallarmé begeistert über Tanz als eine Art Über-Kunst.
Um dessen Tanz-Beschreibungen geht es im Nachbarzimmer, in dem die Texte wortwörtlich zum Tanzen gebracht werden. Ein Türsteher schlägt den schwarzen Vorhang zur Seite. Der Schriftsteller und DJ Thomas Meinicke steht am DJ-Pult. Im schwarzen Disconebel tanzt der Choreograph und Tänzer Jochen Roller mit einem weißem Tuch vor der Brust, auf dass Texte projiziert werden.
"Der Körper erzeugt den Raum seiner Erscheinung...",
... lese ich, während die Tanzmusik von meinem Körper Besitz ergreift. Wie ein Text von meinem Körper Besitz ergreift, erlebe ich draußen im Garten. Ausgestreckt auf einer Yogamatte folge ich Anne Juren und Monika Rink auf einer Reise in mein Körperinneres. Was wie ein New-Age Selbsterfahrungsseminar beginnt, endet in einer surrrealen Reise in eigene Innenwelten, wenn, ja, wenn nur nicht ausgerechnet jetzt ein paar Ameisen meinen rechten großen Zeh als Berg-Autobahn entdecken würden.
"Was ist gehen? Stehen? Was bedeutet eigentlich unsere Orientierung im Raum?"
Das sind die Fragen, die sich zeitgenössische Choreographen stellen.
"Was bedeutet es, wenn wir schwindelig werden, wenn wir im Wasser treiben auf dem Floß und die Orientierung verlieren?"
Die Schriftstellerin stößt mich vom Ufer ab wie Charon
So wie auf dem Plastikfloß am Seeufer. Das Programmheft verspricht Texte von Monika Rink. Ich lege ich mich auf die schwimmende Plattform und die Schriftstellerin stößt mich vom Ufer ab wie Charon, der finstere Fährmann der Unterwelt.
Ich lausche angestrengt auf meinem Floß. Ist das Rhythmus oder sind das Wellen? Sind das zufällige Gesprächsfetzen von irgendwo oder ist das ein literarischer Text?
Es gibt noch einiges zu entdecken auf diesem Parcours durch die Gründerzeit-Villa des literarischen Kolloquiums: Einen "Theorieraum" unter dem Dach oder merkwürdige Gestalten, die einem auffordern eigene Texte auf ihren Körpern zu schreiben und im Gegenzug Postkarten mit Gedichten von Silke Scheuermann verteilen
"... wäre nicht plötzlich ein Schatten über dein Gesicht gefallen und mir klar geworden bist, dass Du hier fremder bist als all die anderen hier."
Viele der Texte lassen mich weiter nachdenken. Das, was ich an Tanz gesehen habe, hinterlässt dagegen nur verschwommene Bilder, fast als wären den Performern vor lauter Hab-Acht Stellung vor der Literatur die Glieder steif geworden an diesem Abend im literarischen Kolloquium.