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Peter Wawerzinek: "Bin ein Schreiberling"
Die Erinnerungen des Wort-Arbeiters

Der Berliner Autor Peter Wawerzinek hat seine Erinnerungen fortgeschrieben – und führt uns in den Maschinenraum des Literaturbetriebs. Herausgekommen ist ein kraftvolles, erhellendes, höchst unterhaltsames Werk über die Lehr- und Wanderjahre eines unangepassten Dichters in zwei Gesellschaftssystemen.

Von Nils Kahlefendt | 22.05.2017
    Der Schriftsteller Peter Wawerzinek zu Gast bei Deutschlandradio Kultur.
    Der Schriftsteller Peter Wawerzinek hat seine Erinnerungen fortgeschrieben - kraftvoll, erhellend und höchst unterhaltsam. (Deutschlandradio / Cornelia Sachse)
    Was bringt einen introvertierten Jungen, der Liebesbriefe für die Raubeine der Klasse verfasst, auf den Pfad des "Schreiberlings"? Unser Schreibzeug arbeitet mit an unseren Gedanken, wusste schon Nietzsche. Gut möglich also, dass bei der Selbsterfindung des Autors Peter Wawerzinek eine Schreibmaschine die tragende Rolle spielte. Die Reiseschreibmaschine Kolibri, unter einer Lederhaube im Wohnzimmerschrank der Adoptiveltern verwahrt, zieht ihn magisch an. In der nach Metallspänen und Maschinenöl duftenden Garage eines Freundes stapelt sich schon bald eine ganze Sammlung von Hermes Baby, Erika & Co.
    "Dass man quasi wie ein Trommler eben so mit den Fingern richtig reinhauen muss… oder, wie ein Klavierspieler bei den Tasten nen gewissen Druck ausüben muss, um das hinzukriegen, einen Text… Das Bemühen, mit der Schreibmaschine eine Seite fehlerfrei zustande zu bringen! Und dann dies viele Knüllpapier um mich rum, wenn’s dann doch nicht geklappt hat."
    Handwerker mit Farbband und Tipp-Ex
    Ein Handwerker mit Farbband und Tipp-Ex will Wawerzinek sein, ein Schreiberling – für die ehrgeizige Adoptivmutter, die den talentierten Sohn zum Schriftsteller berufen sieht, duftet das Wort nach Schlafsack, Hartbrot und Fusel.
    "Da ich ja Autodidakt bin, also überhaupt nie ne Schreibschule - außer dem Literatur-Unterricht in der Schule - gehabt habe, fand ich das ehrlicher, zu sagen: Ich bin Schreiberling! Ich wollte immer das Handwerk betonen. Und sagen: Jawohl, ich bin der Lernende. Bin nicht perfekt, habe immer noch Lektoren nötig, also Helfershelfer, so wie das andere Arbeiter auch haben. Also, Kraftfahrer haben den Beifahrer, Piloten haben den Co-Piloten. Und andere sind eben in einem Werk, in einer Fabrik, in einem Kollektiv, in einem Team oder so"
    Das "Normalleben" als Grundlage
    Wawerzinek, der Wort-Arbeiter, erwirbt sich "das Rüstzeug und den Heißhunger aufs Schreiben" durch Teilnahme am "Normalleben". Nach dem Abbruch der Kunsthochschule Berlin-Weißensee rackert er zehn Jahre als Postbote, Hausmeister, Zugkellner oder Telegrammzusteller; mit 30 schreibt er seine ersten Gedichte. In der Prenzlauer-Berg-Szene, die Ende der 80er-Jahre "voll wie ein Rettungsboot" ist, sitzt scHappy, so sein damaliger Künstlername, zwischen allen Stühlen: Er will Anerkennung, ohne "Sprecher der Entrechteten" sein zu müssen; den Staat, der von seiner langsam wachsenden Literatur keinen Schimmer hat, ignoriert er. Wenigen Autoren kommt er nahe, Wolfgang Hilbig, Elke Erb oder Adolf Endler etwa, dem Gros der schreibenden Dissidenten ist er suspekt. Der Stachel der Zurückweisung ist noch immer zu spüren; zugefügter Schmerz altert nicht.
    "Es war wirklich das Gefühl damals, dass man nur zum Rand dazugehört. Dass man also wirklich nur die Petersilie, nur der Schmuck ist, oder die Sättigungsbeilage… im Nebenzimmer die Fische im Aquarium haben mehr mitbekommen als wir. Und diese Aussicht, so lange zu machen, so gut mit anderen befreundet zu sein, dass man irgendwann mal verboten wird, oder dass irgendein Buch auf den Index kommt - das hat mich auch nicht gelockt. Ich wollte ja, im Prinzip, schon noch Leute erreichen - und nicht nur ein Ost-Phänomen für den Westen werden."
    Auftritte mit Punk-Bands
    Wawerzinek tritt mit Punk-Bands wie "Feeling B" oder "Die Firma" auf, mit "matthias" BAADER Holst vagabundiert er durch die Ost-Provinz und erzeugt auf Hochzeitsfeiern und in Schrebergärten eine genial-verstörende Mischung aus Performance und Stegreifpoesie. Die Erinnerung an diese "Rebellenzeit" gehört zu den intensivsten Passagen des Buchs: Mit zwei Künstlerfreunden zieht Wawerzinek als Wanderdichter durch die im Untergehen begriffene DDR. Ihr ausgelebter Dadaismus lockt Hausmeister, Traktoristen und Wirtinnen ebenso aus der Reserve wie Parteibonzen und Dorfpolizisten.
    "Wir sind mit so nem LADA durch die Gegend gefahren, das war ja in der DDR auch ein Super-Auto. Eigentlich schon ein Auto der höheren Verdienstklasse… Und dass wir das so bemalt haben, das hat teilweise die Leute erschreckt… Teilweise haben sie gesagt: Is ja irre! Ihr habt das Auto so gestaltet - das würden wir uns nie trauen. Wir würden’s ja immer nur putzen!"
    Fortsetzung der Wanderdichter-Existenz
    War Wawerzinek in den frühen 90ern mit der wilden Gang des Verlegers Erich Maas unterwegs, konnte er ein sich selbst und andere verletzender Amokläufer sein. scHappy im Klammergriff des Saalschutzes, fast schon Routine. Woher der Furor, mit dem Bühnen geentert, Moderatoren beleidigt, Polizei und Justiz auf Trab gehalten wurden? Wir erfahren es nicht. Wawerzineks Karawanserei als Stadtschreiber und Stipendiat von Langenbroich bis Ahrenshoop ist dann die konsequente Fortsetzung der Wanderdichter-Existenz unter den Bedingungen des modernen Literaturbetriebs. Dass er dem noch immer eine Nase drehen kann, zeigt der Gewinn des Bachmann-Preises 2010 in Klagenfurt. Eine, glauben wir dem Autor, schauspielerische Großleistung: Bis zum maßgeschneiderten Russenhemd ist der Auftritt durchchoreografiert. Und nun? Alles wie immer: Der Schreiberling begibt sich auf Montage, packt seinen Laptop in die Werkzeugtasche und die am neuen Ort aus. Heimarbeit ist seine Sache nicht.
    "Ich muss raus, ich muss mit Leuten zu tun haben, ich muss schnuppern, riechen, fühlen. Und mir Dinge sagen lassen, die ich sonst so nie hören würde."
    Sieht man von gelegentlichen Selbstverliebtheiten und dem zuweilen arg klischeehaft geschnitzten Gegensatz zwischen "ehrlichem" Schreib-Handwerk und Betriebsnudel-Existenz ab, ist Wawerzineks Buch ein kraftvolles, erhellendes, höchst unterhaltsames Stück Erinnerungs-Literatur über die Lehr- und Wanderjahre eines unangepassten Dichters in zwei Gesellschaftssystemen. Dass der Autor Abstürze und Widersprüche nicht ausspart, nimmt für ihn ein. Der Schreiberling ist lange genug im Geschäft, um zu wissen: "Missernten sind möglich, aber nicht schlimm."
    Peter Wawerzinek: "Bin ein Schreiberling"
    Transit Verlag, 143 Seiten, 18 Euro.