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Pflanzen statt Polder

Seit fünf Jahren betreibt der Naturschutzbund NABU das Projekt "Lebendiger Rhein". Ziel ist ein ökologisch guter Zustand des gesamten Flusses, und dazu gehört ein naturnahes Ufer.

Von Christoph Gehring |
    Wenn es um den Rhein geht, sind Umweltpolitiker normalerweise sehr zufrieden mit sich. Die rheinland-pfälzische Umweltministerin Margit Conrad ist da keine Ausnahme, aber sie sagt auch, was noch zu tun ist:

    "Der Rhein ist auch ein Zeugnis dafür, dass Umweltpolitik tatsächlich erfolgreich sein kann. Wir haben Enormes geleistet was die Gewässergüte betrifft, aber wir müssen noch mehr tun, um die Strukturgüte der Gewässer zu verbessern. Und dazu gehören natürlich insbesondere die Uferbereiche."

    Und die Ufer des Rheins sind weitgehend zugebaut: Wo nicht Bahn- und Straßentrassen direkt am Fluss verlaufen, Industrieanlagen und Kraftwerke nicht die Nähe zum Wasser suchen und nicht städtische Uferpromenaden den Strom säumen, da engen Leitwerke für die Schifffahrt, Mauern, Dämme und Polder den Rhein ein. Denn der Rhein ist nicht einfach ein Fluss, er ist vor allem die verkehrsreichste Wasserstraße Europas, die schiffbar gehalten werden muss. Der Bundeswasserstraßenverwaltung sind deswegen befestigte Ufer sehr lieb, von denen kein Sand und kein Erdreich in die Fahrrinne gespült werden kann. Wie es dahinter aussieht, ob Auen verlanden und ufernahe Ökosysteme vom Rheinwasser abgeschnitten werden, war bisher jedenfalls kein Thema für die Schifffahrtsbehörde. Klaus Markgraf-Maué, der Leiter des Projekts "Lebendiger Rhein", über den Widerstreit zwischen Schifffahrt auf dem Fluss und naturnahen Habitaten am Ufer:

    "Wie geht man mit den Sicherheitsansprüchen einer Wasserstraße und mit den Dynamikansprüchen eines Flusses um? Welche Spielräume gibt es überhaupt für Flussdynamik an der Wasserstraße? Und wie können konkrete Maßnahmen aussehen ohne eben die Schifffahrt zu beeinträchtigen?"

    So wie in Ingelheim, zum Beispiel: Hier, nur ein paar Kilometer stromabwärts von Mainz, hat der NABU ein paar hundert Meter Rheinufer renaturiert, die früher einmal mit illegalen errichteten Wochenendhäuschen zugestellt waren.

    "Das Land Rheinland-Pfalz hat für 400.000 Euro hier die Wochenendhäuser weggerissen. Zurück blieb eine Ufermauer von 700 Metern Länge, und wenn so eine Mauer als Barriere da ist, findet zum Beispiel der Übergang von Organismen, von Lebewesen, Tieren, Pflanzen vom Rhein an die Ufer gar nicht statt","

    erklärt Robert Egeling, der Leiter des NABU-Naturschutzzentrums Bingen. Um das Ufer zu revitalisieren, hat die Naturschutzorganisation die Ufermauer abreißen, Schotter und Müll entfernen und das Uferprofil abflachen lassen. Insgesamt 6000 Kubikmeter Material wurden dabei entfernt.

    ""Das heißt, es sind wieder 6000 Kubikmeter mehr Platz für Wasser, und das heißt halt auch: Der Übertritt vom Wasser zum Land hin wird erleichtert, die Auen können wieder leichter mit Wasser beschickt werden, und das Wasser kann sich leichter ausdehnen auch dadurch, dass Hemmnisse am Ufer beseitigt werden."

    Das renaturierte Uferstück sieht nun so aus, wie man sich ein Flussufer eben vorstellt: Es ist locker bewachsen und fällt zum Wasser hin leicht ab. Unten gluckern die Wellen träge an Land, angeschwemmte Äste liegen im Unterholz. Fachleute aber sehen mehr, zum Beispiel, dass hier der Weidenblättrige Alant zurück ist, der auf der Roten Liste der gefährdeten Pflanzenarten steht, und der Laufkäfer Bembidion striatum, auch eine vom Aussterben bedrohte Gattung. Deren Rückkehr nach nur zwei Vegetationsperioden ist das Ergebnis der neuen Freiheit für den Rhein an dieser Stelle erklärt Robert Egeling:

    "Der Rhein kann in diesem Abschnitt wieder gestalten am Ufer. Er kann was abreißen, er kann was ablagern, er kann alte Baumstämme ablagern. Tiere und Pflanzen, die früher da nicht vorkamen, können sich wieder an dem rohen Boden ansiedeln. Das ist ein ganz großes Freilandexperiment. Solche Abschnitte am Rhein gibt es bisher fast nirgendwo."

    So wie in Ingelheim hat der NABU mit Unterstützung der Behörden an 14 anderen Stellen entlang des Rheins Uferabschnitte so revitalisiert und renaturiert, dass selbst die Schifffahrtsämter keine Bedenken hatten. Nach dem Willen der Naturschützer soll das Experimentierstadium jetzt ein Ende haben, sollen die Modellprojekte im großen Stil auf möglichst viele Uferabschnitte übertragen werden. Keine kleine Aufgabe: Es warten am Rhein noch 800 Kilometer Ufer darauf, revitalisiert zu werden.